Verheerende Stürme

Trump oder Biden – beides bedeutet verstärkte Kriegsgefahr

In der europäischen Öffentlichkeit wird davon ausgegangen, dass ein neuer US-Präsident Joe Biden die Rückkehr zu einer rationalen und „europafreundlichen“ Politik bringen, wohingegen die Wiederwahl von Trump den erratischen Kurs der US-Politik verstärken würde. Tatsächlich wird diese Präsidentschaftswahl die grundlegende Ausrichtung der US-Politik in keiner Weise ändern: nicht hinsichtlich der immer krasser werdenden sozialen Ungleichheit im Land und nicht hinsichtlich der Vorbereitung der niedergehenden Hegemonialmacht USA auf einen Krieg mit China (und gegebenenfalls mit Russland). Das, was wir nach der Wahl von Barack Obama 2008 an Enttäuschungen erlebt haben1, werden wir dann, wenn Biden/Harris ins Weiße Haus einziehen sollten, in nochmals stärkerer Form erleben.

Wohlgemerkt: Der Milliardär Trump verkörpert all das, was die herrschende Klasse als zynisch und inhuman charakterisiert. Das neue Trump-Buch von Bob Woodward dokumentiert die Doppelzüngigkeit des US-Präsidenten aufs Neue.2 Und natürlich freue ich mich, wenn Trump am 3. November abgewählt würde, zumal dann, wenn die befürchteten bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, mit denen Donald Trump und ein weißer Mob seine Niederlage in Frage stellen könnten, ausbleiben. Dennoch – die US-Politik wird dadurch nicht wesentlich beeinflusst. Es gilt der Spruch von Bill Clinton: „It´s the economy, stupid!“ oder, etwas altmodischer: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“.

Zur Weltwirtschaft hieß es an dieser Stelle im vorausgegangenen Heft „Eine vergleichbar tiefe Krise gab es zuletzt 1930.“ Ein Vierteljahr danach gibt es zwar einige Indikatoren für einen begrenzten Aufschwung, aber eben auch viele Anzeichen für ein sich auffächerndes Krisenpanorama: In Israel liegt die Arbeitslosenquote bei 25 Prozent; ein zweiter Lockdown wurde beschlossen. Die Staatspleite des Libanon wurde um die Zerstörung von Beirut ergänzt. In Spanien und Italien vertieft sich die Krise; in Frankreich wird ein zweiter Lockdown nicht ausgeschlossen. Südafrika erlebte im 2. Quartal 2020 eine Halbierung des Bruttoinlandsprodukts. Das Mini-Wirtschaftswachstum in China produziert bis zu 200 Millionen Erwerbslose.3 Die weltweiten Geldspritzen, mit denen ein kompletter Absturz der Weltwirtschaft bislang verhindert wurde, wurden um 2 Billionen US-Dollar auf unvorstellbare 10 Billionen US-Dollar aufgestockt. Hongkong droht ein Immobilien-Crash. Die weltweiten Aktienkurse taumeln Höchstwerten entgegen.4 Die Zahl der Corona-Toten hat sich im Zeitraum 25. Juni bis 25. September von 500.000 auf eine Million verdoppelt.

Entscheidend ist jedoch die tiefe Krise in den USA. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung wird 2020 ein Rekordniveau von rund 10 Prozent erreichen (im 2. Quartal gab es einen BIP-Absturz um 32 Prozent). Die offizielle Arbeitslosenquote lag im August bei 8,4 Prozent – im Januar lag die Rate noch bei 3,6 Prozent. Im Spätherbst wird US-weit eine Entlassungswelle bei kleinen Unternehmen und bei Selbständigen erwartet. Bis Ende 2020 sind 30 bis 40 Millionen Mieterinnen und Mieter in Gefahr, aus ihren Wohnungen geworfen zu werden (u.a. weil Mieterschutzmaßnahmen auslaufen). Große Städte befinden sich – durch Krise, Brände und Polizeigewalt – in einer existenziellen Krise. In New York schrieben Mitte September 160 Firmenbosse in einem Brief an Bürgermeister Bill de Blasio, aktuell drohe „jedem Dritten der 240.000 Mittelständler der Stadt“ die Pleite. Die Stadt hat bereits 20.000 Angestellte entlassen – unter anderem bei der Stadtreinigung, aber a uch bei der Polizei. Die USA werden von der Klimakrise getroffen wie kein anderer OECD-Staat. Die Brände an der Westküste sind zeitweilig außer Kontrolle; Mitte September war mehr als eine halbe Million Menschen auf der Flucht. Private Versicherungen sind nicht mehr bereit, Häuser in kritischen Gebieten zu versichern, was den Wert der Immobilien drückt. Eine Arbeitsgruppe der US-Derivateaufsicht – wahrlich keine Frontorganisation von Fridays for Future – warnte im September wie folgt: „Der Klimawandel stellt ein großes Risiko für die Stabilität des US-Finanzsystems (!) und seiner Fähigkeiten dar, die amerikanische Wirtschaft am Laufen zu halten.“5 Parallel zum Anstieg von Armut und Arbeitslosigkeit wachsen Reichtum und private Macht. Die zwölf reichsten US-Bürger haben ein Privatvermögen von mehr als einer Billion US-Dollar; die drei reichsten US-Familien haben ein Vermögen von weiteren 450 Milliarden US-Dollar angehäuft.6

Die USA befinden sich in einem dramatischen Prozess der gesellschaftlichen Zersetzung und des wirtschaftlichen Niedergangs. Das Geheimnis des New Deal in den 1930er Jahre, der die damals vergleichbar schwer angeschlagene US-Wirtschaft neu aufleben ließ, waren nicht die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Anfang der 1930er Jahre. Es war der militärische Keynesianismus der 1940er Jahre. Trotz der faschistischen Gefahr dauerte es damals acht Friedensjahre und zwei Weltkriegsjahre, bis sich im Kongress eine Mehrheit für die Aufrüstung und den Eintritt der USA in den Krieg fand. Der Feind war keineswegs sofort identifiziert.

Heute ist in den USA parteiübergreifend der Feind identifiziert. Biden überbietet Trump darin, China als „Diktatur“ zu bezeichnen und einen „harten Umgang mit Peking“ anzukündigen.7 Auch Trump ist ein Zündler. Andererseits sagte er jüngst, die „Führung im Pentagon“ liebe ihn nicht, „weil sie nichts anderes wollen, als Kriege zu führen, um alle diese wunderbaren Firmen, die die Bomben, die Flugzeuge und alles andere herstellen, glücklich zu machen.“8 Von Biden kann man einen solchen Satz nicht erwarten. Der Mann wird nicht müde zu betonen, dass es mit ihm „keine Einschnitte im Rüstungsetat“, der sich auf Rekordniveau befindet, geben wird. Stolz verweist er darauf, dass die Mehrheit der aktiven Militärs ihn unterstützt.9

Diese Krise wird verheerende Stürme auslösen: in der Wirtschaft, hinsichtlich der Weltgesundheit, in der Klimakrise, mit Blick auf den Weltfrieden. Jeder Ansatz, eine humanistische Politik zu stärken – etwa im Fall Moria – verdient es, unterstützt zu werden. Friedenspolitik heißt heute unter anderem, für einen kompletten Abzug der US-Militärs aus Deutschland und aus ganz Europa einzutreten.10

Anmerkungen:

1 In LP21 war vor der Wahl von Obama zum US-Präsidenten (LP21 Nr. 3) zu lesen, es komme mit einem US-Präsident Obama zu Aufrüstung und zu einer Intensivierung des „Kriegs gegen den Terrorismus“. Wir ernteten dafür heftige Kritik. Leider sollten wir Recht bekommen.

2 Bob Woodward, Rage, New York, September 2020. Woodward dokumentiert u.a., dass Trump von Anfang an wusste, wie gefährlich das Corona-Virus sein würde („tödliches Zeug“), bei seinen Auftritten in der Öffentlichkeit jedoch das Gegenteil behauptete („wie eine Grippe“).

3 Philip S. Golup, Die neue Weltordnung, in: Le Monde Diplomatique, Juni 2020. Die Führung der KP Chinas ging immer davon aus, dass ein Wirtschaftswachstum von „mindestens 6 Prozent“ notwendig sei, um einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Für 2020 wird ein BIP-Wachstum von 2,4 Prozent erwartet.

4 „Über dem lange Jahre teuersten Immobiliensektor der Welt [Hongkong] ist ein perfekter Sturm aufgezogen.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. September 2020. Wir erleben aktuell nicht nur einen irrationalen Boom der Aktienkurse, sondern auch ein Abheben des Technologie-Sektors wie im Fall der „New Economy Bubble“ vom März 2000. Während im Zeitraum Anfang 2015 bis September 2020 der MSCI World Index (ein Durchschnittswert der an den Weltbörsen gehandelten Aktien) um 60 Prozent anstieg, steigerte sich im gleichen Zeitraum der MSCI World Information Technology Index um 170 Prozent.

5 Börsen-Zeitung vom 10. September 2020.

6 Bloomberg vom 1. August 2020.

7 Josef Biden, Why America must lead again, in: Foreign Affairs, März-April 2020.

8 In: Der Tagesspiegel vom 9. September 2020.

9 Nach einer im Sommer veröffentlichten Umfrage der „Military Times“ vom Juli 2020 sprechen sich 37,4 Prozent der aktiven Armeemitglieder für Trumps Wiederwahl aus. 43,1 Prozent ziehen Biden vor. Interview mit Biden zum Rüstungsetat in: Stars & Stripes, 10, September 2020.

10 Siehe z.B. www.Ramstein-kampagne.eu. Am 29. Juli 2020 teilte Stuttgarts grüner OB Fritz Kuhn im Gemeinderat bedauernd mit, dass „die Amerikaner“ den Standort Stuttgart aufgeben wollten. Als an dieser Stelle die Gemeinderäte Tom Adler und Hannes Rockenbauch von der Fraktionsgemeinschaft LINKE-SÖS [Stuttgart Ökologisch-Sozial] applaudierten, kommentiert Kuhn dies mit, er „verbittet“ sich diesen Beifall. In vergleichbarer Weise bedauerte der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann den Teilabzug der US-Mörderbanden aus Stuttgart.