Name Diamond Princess

Mit Corona an Bord

„Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“ ist ein recht bekannter, feucht fröhlicher Gassenhauer. Für zehntausende Beschäftigte und Passagiere zahlreicher Kreuzfahrtschiffe wurde dieser Liedtext in den letzten Wochen in aktualisierter Form zur Realität. Denn Kreuzfahrtschiffe, jedes von ihnen eine Kleinstadt mit tausenden Menschen auf engstem Raum, entwickelten sich zu regelrechten Schnellbrutkästen für den Covid 19-Erreger. Ganze Schiffe und ihre Besatzungen durften keine Häfen mehr ansteuern oder wurden unter Quarantäne gestellt. So erging es auch der Diamond Princess. Für dieses Schiff war es bereits die zweite Epidemie. Schon 2014 hatte ein Norovirus 60 Menschen an Bord infiziert.

Insgesamt 3.600 Menschen befanden sich an Bord dieses Kreuzfahrtschiffes, als am 1. Februar 2020 der erste Passagier positiv auf das Covid-19 Virus getestet wurde. Er hatte sich bei einem Landgang in Hongkong angesteckt. Als die Diamond Princess am 3. Februar japanische Gewässer erreichte, wurde sie unter Quarantäne gestellt. Bis Mitte April infizierten sich 712 Menschen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Krankheit. Sowohl Reisende als auch Mitglieder des Bordpersonals steckten ihre Bettnachbarn in den Kabinen an. Infizierte Crewmitglieder arbeiteten Seite an Seite mit gesunden Kollegen. Im Durchschnitt verbreitete eine erkrankte Person das Virus auf sieben weitere Menschen. Infizierte und nicht-infizierte Menschen wurden nicht voneinander getrennt. Scharfe Bewegungseinschränkungen wurden initiiert. Mitglieder der Crew patrouillierten die Gänge, um die Menschen in ihren Kabinen zu halten. Es wurde eine Art Gefängnisregime installiert. An die frische Luft durfte man nur eine Stunde pro Tag, wobei das mit der frischen Luft auf Kreuzfahrtschiffen ohnehin so eine Sache ist, wie wir noch sehen werden. Nach und nach wurden die Menschen evakuiert. Am 2. März verließ der Kapitän als letzter das Schiff. Inzwischen waren zwölf Menschen an den Folgen der Erkrankung gestorben.

Kreuzfahrtschiffe – die globalisierten Kapitalismusminiaturen

Christan Bunke

Kreuzfahrten sind ein Symbol der globalisierten Welt und des Bedürfnisses, in einer relativ kurzen Zeitspanne an möglichst vielen Orten vorbeizukommen, um später behaupten zu können, man habe sie gesehen. Sie sind außerdem ein Ausdruck moderner imperialer Machtstrukturen, die durch Corona nun auch in westlichen Ländern sichtbar geworden sind. Und sie sind Teil einer umweltzerstörerischen, verschwenderischen Wirtschaftsweise, welche keine Zukunft haben darf, wenn die Menschheit eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten haben will.

Wer mit einem Schiff wie der Diamond Princess auf die Reise geht, möchte die Welt sehen. Wir beginnen unsere große Fahrt deshalb an einen Ort, welcher für westliche Touristen durchaus eine Destination ist – in Manila, auf den Philippinen. Dort hat in einem unscheinbaren Bürogebäude der Magsaysay-Konzern seine Firmenzentrale. Die allermeisten auf Kreuzfahrtschiffen eingesetzten Arbeitskräfte sind Filipinos. Und Magsaysay ist die weltweit agierende Leiharbeitsfirma, welche diese rekrutiert. Der Konzern ist für jedes große Kreuzfahrtunternehmen tätig, auch für Carnival, den Eigentümer der Diamond Princess.

3,2 Milliarden Dollar verbuchte Magsaysay im Jahr 2018 laut Informationen des Handelsblatts – und zwar Gewinn, nicht Umsatz. Und dies unter anderem dadurch, dass die angeheuerten Leiharbeitskräfte ihre Ausbildung selber bezahlen müssen. Angehende Servicekräfte der Bord-gastronomie kostet die viermonatige Ausbildung 2.600 Euro. Dafür erhalten sie einen auf neun Monate befristeten Dienstvertrag an Bord eines Schiffes. Gearbeitet wird sieben Tage pro Woche, zwölf Stunden am Tag. Urlaub gibt es meist nur am Ende der Dienstzeit – unbezahlten, versteht sich. Der Stundenlohn liegt weit unter allem, wofür europäische Lohnabhängige bereit sind zu arbeiten, jedoch wesentlich höher als die meisten der auf den Philippinen angebotenen Jobs. Die Jugend eines ganzen Landes wird so in den Dienst einer globalen Tourismusindustrie gelockt. Rund 300.000 Filipinos sollen auf See arbeiten.

Den Reiseanbietern hilft dabei die Praxis des „Ausflaggens“. Kein einziges Kreuzfahrtschiff fährt unter deutscher Flagge. Das hat einen schlichten Grund: An Bord von Kreuzfahrt- und Handelsschiffen gelten die rechtlichen Bedingungen des Landes, unter dessen Flagge es fährt. Und natürlich suchen sich die Reedereien in der Regel Länder aus, deren Umwelt-, und arbeitsrechtliche Auflagen der Profitmarge am meisten dienlich sind, den Unternehmen also am wenigsten kosten. Kündigungsschutz gibt es nicht. Wem das an Bord nicht gefällt, der oder die fliegt raus. Zahlreiche Medienberichte und Dokumentarfilme über die Kreuzfahrtbranche berichten über die Angst vor „schwarzen Listen“, also darüber, bei Beschwerden über die Arbeitsbedingungen nach Ende der Befristung keine neue Anstellung zu finden. Unter diesen Bedingungen ist es für die Branche höchst hilfreich, wenn die Beschaffung von Arbeitskräften an Leiharbeitsfirmen wie Magsaysay ausgelagert ist.

Großen Leiharbeitsmonopolen wie Magsaysay stehen die Monopole in der Kreuzfahrtbranche selbst gegenüber. Die Diamond Princess gehört zu Princess Cruises. Princess Cruises ist Teil des weltumspannenden Carnival Corporation & plc-Imperiums. Carnival operiert von den USA und von Großbritannien aus und ist die Königin der Branche. Zu den Marken gehören klangvolle Namen wie AIDA Cruises, Costa Crociere, Holland America Line oder P&O Cruises Australia. Das Unternehmen wird an der New Yorker Börse gehandelt, ist aber letztendlich ein Familienbetrieb. Gegründet wurde die Firma von Ted Arison, dessen Sohn Micky Arison ist sein Nachfolger als Firmenboss. Arison erfreut sich freundschaftlicher Beziehungen zu US-Präsident Trump. Steuern zahlt man so gut wie keine: Der Konzern ist in der Steueroase Panama registriert.

Legal, illegal, scheißegal – die Umweltzerstörer auf hoher See

Auf hoher See kreuzt man als Umweltsau. Princess Cruises wurde im Jahr 2016 von einem US-Gericht zu einer Rekordstrafe von 40 Millionen US-Dollar verurteilt, weil deren Kreuzfahrtschiffe regelmäßig giftige Abfälle im Meer entsorgten. 2019 musste der Mutterkonzern Carnival wieder 20 Millionen US-Dollar Strafe zahlen, weil man mit dieser Praxis einfach nicht aufgehört hat. Dass ein Konzern sich ohne mit der Wimper zu zucken solche Bußgelder leisten kann, sagt einiges über die gewaltigen Profite aus, die sich hier verbergen müssen. 16,4 Milliarden US-Dollar Umsatz macht Carnival pro Jahr.

Auch ohne gegen gesetzliche Auflagen zu verstoßen, sind Kreuzfahrtschiffe wahre Giftschleudern. 2019 veröffentlichte die European Federation for Transport and Environment, ein Dachverband, zu dem auch der Verkehrsclub Deutschland gehört, eine Studie. Danach hat Carnival im Jahr 2017 fast zehnmal mehr Schwefeloxide entlang europäischer Küsten ausgestoßen als alle 260 Millionen Autos in Europa zusammen. Lungenfachärzte raten schon seit langem vom Antritt von Kreuzfahrten ab. Kreuzfahrtschiffe benutzen Dieselmotoren zur Verbrennung von Schweröl. Bei der Diamond Princess handelt es sich um vier Dieselgeneratoren und einen Gasturbinengenerator. Dabei werden unter anderem in erheblichen Mengen Stickstoffdioxide und Schwermetalle freigesetzt. Die Deutsche Lungenstiftung e.V. empfiehlt deshalb Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen, sich nur in bestimmten Bereichen an Deck aufzuhalten, um allzu intensiven Kontakt mit den Abgasen zu vermeiden.

Auch für den Treibhauseffekt leisten die Kreuzfahrtschiffe ihren Beitrag. Der Naturschutzbund (Nabu) hat dazu eine hilfreiche, auf Berechnungen aus dem Jahr 2012 beruhende Tabelle erstellt. Demnach emittiert ein Kreuzfahrtschiff pro Tag 476.850 Kilogramm Kohlendioxid. Das entspricht dem täglichen Ausstoß von 83.678 Autos. Der tägliche Feinstaubausstoß eines Kreuzfahrtschiffs entspricht dem von 1.052.885 Autos. Bei der Emission von Stickoxiden entspricht dieser Wert demjenigen von 421.153 Autos. Diese Abgase werden im Großen und Ganzen auch dann freigesetzt, wenn ein Kreuzfahrtschiff im Hafen liegt oder – beispielsweise Corona-bedingt – etwa in Yokohama festsitzt, wie es bei der Diamond Princess der Fall war. Denn für die Stromversorgung an Bord müssen die Dieselmotoren weiterlaufen. Einen Anschluss für die Stromversorgung an Land haben nur die wenigsten Schiffe. Küstenstädte mit Anlegestellen für Kreuzfahrtschiffe kriegen von diesen also gewaltige Schafstoffdosen ab.

Klassengesellschaft im Kleinformat

Beliebte Anlaufpunkte wie beispielsweise Venedig profitieren kaum vom durch Kreuzfahrtschiffe verursachten Touristenansturm. Die Menschen werden für wenige Stunden an Land gespuckt, in großen Massen durch die wichtigsten Sehenswürdigkeiten geschleust und anschließend wieder an Bord gebracht. Dort nehmen sie ihre Mahlzeiten zu sich, konsumieren in den Bars und besuchen kulturelle Veranstaltungen, welche sich die Kreuzfahrtkonzerne natürlich alle von der Kundschaft, den Passagieren, bezahlen lassen. In den derart heimgesuchten Orten bleibt somit wenig Geld hängen. Städte wie Venedig bleiben auf den sozialen Kosten dieses Geschäftsmodells sitzen. Kein Wunder, dass es in immer zahlreicheren Orten, an denen die großen Pötte anlegen, Bürgerinitiativen gegen Kreuzfahrtschiffe gibt.

Auf Kreuzfahrtschiffen offenbaren sich die Widersprüche der kapitalistischen Weltordnung auf engstem Raum. Tausende Menschen werden hier zusammengepfercht. Sie kriegen das Glücksversprechen, ihren europäischen, amerikanischen oder asiatischen Mietskasernen für eine Weile entfliehen zu können und werden doch nur auf hoher See in eine weitere – zugegebenermaßen einigermaßen luxuriöse – Mietskaserne gepfercht. Auf dieser gelten vergleichbare Klassenregeln wie an Land. Es gibt Luxussuiten für die Reichen, Kabinen mit Meerblick für die Besserverdienenden und Schlafräume ganz ohne Fenster für den Rest. Die gut bezahlten Offiziere sind überwiegend Europäer, die prekär beschäftigten Mannschaftsränge kommen aus dem globalen Süden. Gemeinsam schippern sie durch eine aus den Fugen geratene Welt. Wahrlich ein Sinnbild für die Verhältnisse von Mensch, Natur, Umwelt und Klima in den Zeiten des Spätkapitalismus.

Christan Bunke lebt in Wien. Er ist bei Lunapark21 für die Rubrik „Ort und Zeit“, die es in jedem Heft gibt, verantwortlich.


Corona-Kreuzfahrtschiff auf Kuba

Die MS Braemar war seit Ende Februar in der Karibik unterwegs. […] Am 8. März erreichte das Kreuzfahrtschiff das kolumbianische Cartagena, wo eine US-Amerikanerin von Bord ging, bei der dann eine Infektion mit dem Corona-Virus festgestellt wurde. Nach dem Ablegen wurden fünf Corona-Fälle an Bord bekannt. Curaçao und Barbados verweigerten dem Schiff daraufhin das Einlaufen. Cartagena und Barranquilla in Kolumbien wiesen die MS Braemar ebenfalls ab. […] Daraufhin bat die Regierung Boris Johnson Havanna um Aufnahme. Vier Passagiere und ein Besatzungsmitglied seien positiv auf das Corona-Virus getestet worden, während sich zwanzig weitere Passagiere und 20 Besatzungsmitglieder, darunter ein Arzt, in Quarantäne befänden, […] teilte die Reederei am Sonntag mit. Seit Samstag ankerte das Schiff mit 682 Passagieren, größtenteils Briten, sowie 381 Besatzungsmitgliedern an Bord rund 40 Kilometer vor der Küste von Freeport (Bahamas). Ein Versorgungsschiff brachte Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente, sowie zwei Ärzte und zwei Krankenschwestern zur Unterstützung.

Verwandte der auf der MS Braemar befindlichen Reisenden äußerten […] die Befürchtung, das Schiff mit den Virus-Erkrankten müsse den ganzen Weg nach Großbritannien zurücklegen. „Sie haben die absolute Zielgruppe der anfälligsten und am stärksten gefährdeten Personen auf diesem Schiff“, sagte Helen Littlewood aus Norfolk, deren 74-jährige Mutter an Bord ist. „Meine Mutter hat Bluthochdruck, Atemprobleme und sie leidet an Bronchitis und Asthma.“

„Angesichts der […] der Gefahr für das Leben kranker Menschen hat die kubanische Regierung beschlossen, das Andocken dieses Schiffes zuzulassen, und wird die Hygienemaßnahmen ergreifen, um alle Bürger an Bord gemäß den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) […] festgelegten Protokollen aufzunehmen“, hieß es in einer Erklärung des kubanischen Außenministeriums. Am Dienstag [17.3.] legte das Schiff dann im Hafen Mariel an. Mit vier Charterflügen sollen die Passagiere dann am Mittwoch direkt ausgeflogen werden.

Die Entscheidung der Regierung in Havanna, die MS Braemar in einen kubanischen Hafen einlaufen zu lassen, dürfte bei den Menschen an Bord und ihren Angehörigen für Erleichterung sorgen. „Dies sind Zeiten der Solidarität, des Verständnisses von Gesundheit als Menschenrecht, der Stärkung der internationalen Zusammenarbeit, um unseren gemeinsamen Herausforderungen und Werten zu begegnen, die der humanistischen Praxis der Revolution und unseres Volkes innewohnen“, erklärte das kubanische Außenministerium.

Andreas Knobloch, Havanna; in: Neues Deutschland vom 18. März 2020 [hier gekürzt durch LP21]