Klimakriminelle

Das ist eine echte Premiere. Dass der Staat ziemlich rabiat und nicht immer psychologisch klug gegen Leute vorgeht, die ihn in Frage stellen, vor allem gegen linke Revoluzzer und Anarchist:innen, die ein ganz neues System einführen wollen, das kennen wir. Ist ja sogar irgendwie verständlich. Aber dass er Menschen als kriminell einordnet, die nichts anderes als die Realisierung seines eigenen Regierungsprogramms beschleunigt sehen wollen, das ist tatsächlich eine Novität – und kein Wunder, dass er da (fast) die gesammelte Opposition im Rücken hat.

Konsequent ist es immerhin, wenn diese Regierung, die für mehr Fortschritt angetreten, vom ersten Moment an den Rückwärtsgang eingelegt hat, im Rahmen der Zeitenwende auch in Sachen Polizeipsychologie in die alten Überreaktionen zurückfällt. Da fühlen sich nicht nur Altlinke an die 70er Jahre erinnert, da fürchten sogar ansonsten sture Juristen, Teilen dieser höflichen jungen Menschen könnten die Emotionen durchgehen und in weniger harmlose Handlungen eskalieren. Dabei wäre es so einfach, die Situation zu entschärfen, erfüllten die Regierenden einfach mal ganz leger ein paar dieser – manchen Sympatisant:innen viel zu schlichten – Forderungen, wenigstens solche, um die sie eh auf Dauer nicht herumkommen, wie das Tempolimit, statt sich trotzig („wir lassen uns nicht auf der Nase herumtanzen“) in Formaljuristisches zu verrennen und selbsterfüllende Prophezeiungen zu produzieren.

Wer nun aber der „Letzten Generation“ Nötigung vorwirft, weil ihre Aktionen die eine und den anderen Autofahrer:in nicht pünktlich zur Arbeit kommen oder jemand mit Zahnschmerzen etwas länger im Stau statt in der Zahnarztpraxis warten lassen, müsste auch die LKW-Fahrer kriminalisieren, die übermüdet immer wieder ihre Fahrzeuge auf der Autobahn querstellen und kilometerlange Staus verursachen, die sehr viele von der Arbeit abhalten. Ganz zu schweigen von der Deutschen Bahn, die so manches wichtige Geschäft und viele private Planungen mit einer simplen Bitte um Verständnis platzen lässt.

Wer gar die Kosten für die Steuerzahlenden ins Feld führt, die durch notwendige Sicherheitskräfte verursacht werden, ärgert sich doch hoffentlich auch über deren öffentlich zu finanzierende Einsätze bei Fußballspielen oder bei G20-Gipfeln.

Überhaupt die Kosten für die Allgemeinheit: Da müssten die Regierungsvertreter:innen für ihre alles andere als umweltschonenden Waffenorgien geradezu wegen Veruntreuung von Steuergeldern belangt werden. Und was die „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ angeht, offenbar das größte Vergehen der jungen Leute: Die kann kaum an die bewusste Inkaufnahme eines möglichen Einsatzes von taktischen Atomwaffen heranreichen (nach dem Motto „das wird er schon nicht tun“), mit der unsere so moralisch agierenden Politiker:innen Tote und Umweltschäden in einem Ausmaß riskieren, das sich nicht vorstellen möchte, wer sich über bekleckerte Schutzscheiben von Kunstwerken erregt. Das ist durch den Regierungsauftrag abgedeckt und keine kriminelle Handlung? Was, wenn das gar nicht der Wähler:innenauftrag war? Ja nun, dem Volkeswillen ist bekanntlich auch nicht immer zu trauen.