Die Vorgeschichte der (von der spanischen Regierung des Ministerpräsidenten Rajoy auf den 21.12. 2017 datierten) vorgezogenen Neuwahlen in Katalonien besteht aus einer Entwicklung, die Julia Macher das Ergebnis einer kalkulierten Eskalation nennt (vgl. Blätter für deutsche und internationale Politik 11.2017 S. 11ff). Als Kontrahenten sieht sie einerseits die letzte katalanische Regionalregierung unter Puigdemont, die mit gezielten Provokationen unter Einschluss von bewusster Verletzung rechtsstaatlicher Spielregeln einen Prozess auf die Spitze getrieben hat, der auf der Grundlage des ersten Autonomiestatuts im Rahmen der spanischen Verfassung nach der franquistischen Diktatur schon seit 1980 bis 2003 in der Regierungszeit des korrupten bürgerlich-nationalistischen Regionalpräsidenten Jordi Pujol systematisch als Prozess der Katalanisierung betrieben worden ist.
Auf der anderen Seite sieht sie die Partido Popular des spanischen Regierungschefs, die in einer postfalangistischen, zentralistischen Politiktradition steht, in der Verantwortung. Einmal dadurch, dass sie das von der katalanischen Regierung organisierte, umstrittene 1.Oktober-Referendum zur Unabhängigkeitsfrage mit allen Mitteln, unter Einschluss von Polizeigewalt, verhindern wollte, vor allem aber auch, indem sie ihre Regierungszeiten mit parlamentarischen Mehrheiten dazu genutzt hat, die Posten der Obersten Gerichte, vor allem auch des Verfassungsgerichts ganz überwiegend mit botmäßigen Richtern oder sogar Parteihörigen der PP zu besetzen und damit im ganzen Land der „Unabhängigkeit der Justiz“ und einen demgemäßen Ruf erheblichen Schaden zugefügt hat. So wurde auf Betreiben der PP das von allen legislativen und exekutiven Gremien Spaniens mit Mehrheit genehmigte Autonomiestatut für Katalonien aus dem Jahr 2006 von einem eigentlich gar nicht beschlussfähigen Tribunal des Verfassungsgerichts 2010 – und maßgeblicher Initiative des PP-Parteivorsitzenden Rajoy – gekippt.
Noch in den letzten Tagen des aktuellen Wahlkampfes tönte es seitens der stellvertretenden Ministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría, dass man seitens der PP mit den Wahlen die Enthauptung der Unabhängigkeitsbewegung des Katalanismus erreichen wolle. Das klingt eher nach Konfrontation und Blockadepolitik als nach einer politischen Kultur des vermittelnden Gesprächsangebots und des Versuchs, unter dem Dach der Verfassung zu einem Interessenausgleich gelangen zu wollen.
Eine erfreuliche und für Spanien wie auch deutsche Landesparlamentswahlen ungewöhnliche Rekordwahlbeteiligung von 82% (gegenüber 74,5 % im Jahr 2015) bei den vorgezogenen Neuwahlen am 21.12. 2017 zeigt ein mit den letzten Regionalwahlen vergleichbares Bild im Hinblick auf das Wählervotum und die Sitzverteilung im katalanischen Parlament: Dieses Mal gab es für die Parteien, die sich als konstitutionalistische verstehen, erneut die absolute Mehrheit der Stimmen aller Wähler/Innen, nämlich 52,5% gegenüber 47,5% für die Parteien, die für eine staatliche Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien kämpfen – die so genannten Independentistas. Diese erzielten auf Grund der Wahlkreiszuschnitte erneut die absolute Mehrheit der Parlamentssitze, nämlich 70 von 135 (also 51.85%). Während die PP in Katalonien einen grandiosen Schiffbruch erlitten hat, indem sie vom Status der Randpartei mit 10 Sitzen dieses Mal auf Splitterparteiniveau mit drei Sitzen im neu gewählten Parlament heruntergewählt worden ist, sollte nicht übersehen werden, dass eine große Wählerschar zur strikt zentralstaatlich orientierten Partei Ciutadans/Ciudadanos gewechselt hat, die mit 37 Parlamentssitzen die Spitzenposition gegenüber den beiden nachfolgenden separatistischen Parteien JxCat und ERC errungen hat, unter der Leitung eines neuen „politischen Sterns am spanischen Politikhimmel” namens Inés Arrimadas. Der Spanienkorrespondent der SZ, Thomas Urban, kommentiert am 22.12. ebenso knapp wie klar: „Es ist eine groteske Fehleinschätzung der Separatisten, wenn sie glauben, dass sie mit diesem Ergebnis – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – Staat machen könnten.“ (Thomas Urban in der SZ-online, Katalonien: Die Separatisten irren sich gewaltig). Es fehlt in Katalonien selbst dem seit den 80er Jahren (mit dem ganz und gar korrupten Regierungschef Jordi Pujol von 1980 bis 2003 an der Spitze) systematisch betriebenen Prozess der Katalanisierung – in Richtung eines vom spanischen Staat unabhängigen Kataloniens – an einer tatsächlichen demokratischen Legitimation, die nach allgemeinem Urteil von Staats-, Verfasssungs- und Völkerrechtlern erheblich mehr Zustimmung verlangte als nicht einmal 50% der gesamten Bevölkerung. Urban weist auf die Grundlagen des strukturellen Mangels hin: „Soziologische Untersuchungen legen einleuchtend dar, warum die Separatisten eigentlich keine Chance haben, die Mehrheit hinter sich zu bringen: Deutlich weniger als 40 Prozent der 7,5 Millionen Einwohner der Region sehen sich ausschließlich als Katalanen. Ein knappes Drittel bezeichnet sich als Spanier. Der Rest möchte beides sein: spanisch und katalanisch. Rein mathematisch betrachtet kann so keine Mehrheit für ein Projekt zustande kommen, das auf eine kulturelle Abgrenzung der Katalanen von den Spaniern setzt, beginnend mit der Sprache.“
Und ökonomisch können die Katalanen bei einer staatlichen Abtrennung vom übrigen Spanien ebenso viel verlieren, wie die BRD im Falle der Abtrennung von der EU. In beiden Fällen gehen über 70% der Exporte in die Nachbarregionen. Darauf weist Urban in einem zweiten Kommentar am 22.12. hin, indem er überlegt, was passierte, wenn der spanische Markt für Katalonien einbräche. Seine Folgerung ist eindeutig: Es „geriete der katalanische Wohlstand in Gefahr. Daran können auch Fantastereien von einer Freihandelszone mit niedrigen Steuersätzen für internationale Konzerne nichts ändern.“ Selbst wenn einer bürgerlich katalanischen Regierung es auf absehbare Zeit gelänge, sich ökonomisch zu prostituieren, indem sie handelte wie Regierungen anderer europäischer Kleinstaaten (siehe Irland, Luxembrug, Liechtenstein, Östereich, Niederlande), die transnational agierenden Weltkonzernen steuerliche Sonderkonditionen einräumen, wäre das für eine sozialstaatlich demokratische, gar sozialistische Politikperspektive keine Option.
Resultados de Cataluña (2017) die Wahlergebnisse in Katalonien ( Quelle: http://www.lavanguardia.com/elecciones/elecciones-catalanas-2017/ ) Übers. JHS
Partidos/ die Parteien | % | Escaños/Sitze |
ERC Esquerra Republicana de Catalunya (ERC+CatSí+DC+MES) | 23,7 | 32 |
JxCAT Junts per Catalunya (PDeCAT+ANC+CDC) | 25,19 | 34 |
CUP Candidatura d’Unitat Popular | 2,96 | 4 |
CatComú Catalunya en Comú-Podem (CatComú-Podem-ICV-EUiA) | 5,93 | 8 |
Cs Ciutadans – Partido de la Ciudadanía | 27,41 | 37 |
PSC Partit dels Socialistes de Catalunya-Units per Avançar | 12,59 | 17 |
PP Partido Popular de Cataluña | 2,22 | 3 |
Gesamt | 100 | 135 |
99.89% Escrutado/ausgezählte Stimmen, actualidado/aktualisiert a/am 23.12.2017 01:08
Censo/Wahlberechtigte 5.322.269
Participación/Wahlbeteiligung 81.94%
Votos Totales/abgegebene Stimmen 4.360.843
Abstenciones/Enthaltungen; nicht Teilnehmende 961.426
Votos Nulos/Ungültige Stimmzettel 16.027
Votos Blancos/ leere Stimmzettel 19.377
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