Das deutsche Krankheitswesen
Das deutsche Gesundheitswesen krankt an allen Ecken und Enden und ist daher in Wirklichkeit ein Krankheitswesen. Bernd Hontschik kennt es aus eigener Erfahrung, denn in seinem Berufsleben war er über viele Jahrzehnte praktizierender Chirurg und zudem als Notarzt tätig. Wer die Frankfurter Rundschau liest, kennt seine Gesundheitskolumnen, und die sind stets mit leichter Hand geschrieben, sehr fundiert, nie moralisierend und zuweilen ätzend-kritisch. So auch sein im Mai erschienenes Buch „Heile und herrsche“.
Die Hauptursache für die vom Autor analysierte „gesundheitspolitische Tragödie“ sieht er in der Kommerzialisierung der Medizin. Es geht nicht mehr um die Kranken, sondern nur noch um Krankheiten, vor allem um solche, bei denen die Aussichten auf Heilung gering sind, denn Heilung ist schlecht für das Geschäft. So jedenfalls das Fazit einer Expertise, die der Pharmaindustrie von Goldman Sachs (also von Investmentbankern!) zur Verfügung gestellt worden ist. Als Beispiel wurde ein Medikament gegen Hepatitis C genannt mit Heilungsraten von 90 Prozent, wodurch zwar die Zahl der Neuinfektionen reduziert wird, aber auch Umsatz und Profit. Am besten sind stark ansteigende Krankheitszahlen, wie die durch Covid 19 auf das Tausendfache gestiegenen Umsätze der Impfstoffe produzierenden Firmen zeigen. Die schlimmsten Fälle sind demnach die Gesunden, die sich nur den Gesundheits-Checks unterziehen und keine Medikamente benötigen.
Konkurrenz belebt das Geschäft, und nur deshalb gibt es in Deutschland immer noch über achtzig Krankenkassen, die um Klienten buhlen. Zwar zahlen die Versicherten seit 2009 nicht mehr direkt an die Kassen, sondern ihre Beiträge fließen in einen sogenannten Gesundheitsfonds, aus dem die Kassen dann, der Zahl der Kranken und der Schwere der Krankheiten entsprechend, ihre Gelder bekommen. Auch hier ist also eine hohe Morbidität von Vorteil – je kränker die Versicherten, desto besser. Und zu Recht stellt der Verfasser die Frage, warum das zentral eingesammelte Geld bürokratisch umverteilt werden muss, statt die Gesundheitseinrichtungen direkt daraus zu finanzieren, wie dies in anderen nord- und westeuropäischen Ländern der Fall ist. Damit würden zwar Tausende Bürokraten und Betriebswirte arbeitslos werden, aber denen könnte die Suche nach einer sinnvollen Arbeit durch eine Überbrückungszahlung von einem Jahr erleichtert werden. Das käme der Gesellschaft immer noch billiger.
Nur teuer sind dagegen die seit Jahren in die Entwicklung einer sogenannten elektronischen Gesundheitskarte investierten Millionenbeträge. Übrigens ist Deutschland das einzige Land weit und breit, in dem man sich durch den Abschluss einer privaten Krankenversicherung (PKV) aus dem Solidarsystem verabschieden kann. Aber auch das hat seinen Preis: Junge Leute werden mit niedrigen Beitragssätzen in die PKV gelockt und übersehen dabei, dass sie, wenn die Sätze mit zunehmendem Alter steigen, nicht mehr in eine gesetzliche umsteigen können, und ihre Rente von den steigenden Beiträgen aufgefressen wird (ein Aspekt, der im Buch keine Rolle spielt, aber nicht unwichtig ist).
In dem Buch werden, teilweise weit in die Geschichte zurückreichend und zumeist international vergleichend, viele weitere Aspekte untersucht, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Am besten einfach lesen. Die Investition lohnt sich.