Taras Bulba: Ein ukrainisches Heldenepos

Russisch oder Ukrainisch? „Ich weiß selbst nicht, welche Seele ich habe“, gestand Gogol, der große russische Dichter.

Nikolai Wassiljewitsch Gogol wurde 1809 in der Ukraine geboren. Im Alter von 19 Jahren ging er nach Sankt Petersburg und etablierte sich allmählich als russisch schreibender Autor. 1835 veröffentlichte er die Erzählung „Taras Bulba“ über einen Vollblut-Kosaken in der Mitte des 17. Jahrhunderts.

„Ukraina“ bedeutet Grenzland und bezeichnete die Region nördlich des Schwarzen Meeres. Es war der westliche Teil des eurasischen Steppengürtels, ein unzugängliches und unbefestigtes Gebiet, über Jahrhunderte umstritten zwischen Polen, Russen und Osmanen. In diesen Steppen lebten Nomaden, darunter Geflüchtete aus dem Kiewer Reich, das Mitte des 13. Jahrhunderts unter dem Mongolensturm zerfiel. Später kamen Geflüchtete aus polnischer und russischer Leibeigenschaft hinzu, die sich ein Leben in der Steppe zutrauten.

„Kosak“ entstammt den Turksprachen und bedeutet „freier Mann“ oder „freier Krieger“. Im Frühjahr bildeten die Kosaken Gruppen für die Dauer der Steppensaison zum gemeinsamen Fischfang, zu Jagd und Bienenzucht, wozu jede Gruppe jährlich einen Anführer wählte. Und wie Gogols Taras Bulba unternahmen sie auch Beutezüge außerhalb der Steppe, überfielen und brandschatzten Siedlungen.

Im 16. Jahrhundert vereinten sich diverse Gruppen und waren im Stande, kurzfristig große militärische Verbände zu bilden, die Kriegszüge in die benachbarten Reiche unternahmen, meist erfolgreich, da ihnen dort kein stehendes Heer gegenüberstand und sie sich anschließend wieder in die Weiten der Steppe zurückzogen.

Ursprünglich waren alle Männer gleichgestellt und, damit kein Hausstand den Kosaken von seinen Pflichten abhielte, ehelos. Später lebten Kosaken mit Familien in Dörfern, ihre Bauern, meist Gefangene, als Hirten in den Steppen.

Die Kosaken bekannten sich zum christlich-orthodoxen Glauben. Sie fochten nicht nur zu Lande, sondern überquerten auch das Schwarze Meer und überfielen die Muslime. Seit Ende des 16. Jahrhunderts lagen sie im Dauerstreit mit Polen-Litauen, dessen Katholizismus ihnen wie der Islam als Unglaube galt. Die gemeinsame Religion begründete eine gewisse Anlehnung an Russland, dennoch kam es zu Auseinandersetzungen, und die freien Grenzlandhorden, keiner Macht hörig, waren dem Zarentum grundsätzlich inakzeptabel.

1775 machte Fürst Potjomkin – ja, der mit den Dörfern – unter Katharina der Großen dem freien ukrainischen Kosakentum schließlich ein Ende. Aber über hundert Jahre hatte eine autonome, quasi staatliche Formation in der Ukraine existiert, so etwas wie eine Kosakenrepublik, im Grenzland zwischen Polen, Russland und Osmanischem Reich und im Dauerstreit mit den Tataren auf der Krim.

Diesen Kosaken, ihrem Freiheitsethos, ihrer Zügellosigkeit, ihrem Kampfesmut, „weil ein Leben in Frieden eines anständigen Menschen unwürdig“, und ihren roten Pluderhosen „weit wie das Schwarze Meer“ hat Gogol mit Taras Bulba ein Denkmal gesetzt. Die Geschichte ist weniger in der ironischen Distanz anderer Gogolscher Erzählungen geschrieben, eher in kosakischem Pathos. Die Kampfesszenen sind nichts für empfindliche Mägen und sicherlich keine Bettlektüre, auch wenn „rundum das tausendstimmige Schnarchen des schlafenden Heeres erscholl; wie eine Antwort darauf kam von den Feldern das helle Wiehern der Hengste, die unwillig an ihren Koppeln zerrten. Und etwas war da, was der Schönheit der Julinacht eine unheimliche Erhabenheit lieh. Das war der Schein der ferne brennenden Dörfer.“

Unheimlich mag es auch den heutigen Invasoren werden, wenn der Refrain der ukrainischen Nationalhymne erklingt: „Leib und Seele geben wir für unsere Freiheit / und bezeugen, dass unsere Herkunft die Kosakenbrüderschaft ist.“