Mission Ein Plädoyer für einen anderen Kapitalismus

„Wir haben uns entschlossen, unser Land noch in diesem Jahrzehnt CO2-neutral zu machen, nicht weil es leicht wäre, sondern gerade weil es schwer ist, weil diese Aufgabe uns helfen wird, unsere besten Energien und Fähigkeiten einzusetzen und zu erproben, weil wir bereit sind, diese Herausforderung anzunehmen und sie nicht widerwillig aufschieben werden und weil wir beabsichtigen, zu gewinnen.“

Diese Rede von Olaf Scholz in der Münchner Allianz-Arena vor 70.000 begeisterten Menschen … Nein, natürlich nicht. – Es sind die Worte von US-Präsident Kennedy, verkündet 1962 im Football-Stadion in Houston, mit dem Unterschied, dass er nicht von CO2-Neutralität sprach, sondern von der Mondlandung.

Und die ist gelungen. Ein für un-möglich gehaltener Erfolg. Welche Ressourcen, welche organisatorischen Maßnahmen und koordinierten Anstrengungen dazu erfordert und geleistet wurden, das hat die italienisch-amerikanische Ökonomin Mariana Mazzucato in ihrem jüngsten Buch „Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“ eindrücklich beschrieben.

Dabei gilt ihr Interesse weniger der Raumfahrt an sich, stattdessen stellt sie das Apollo-Programm und den Mondflug als Beispiel vor für eine historische Großtat, wie sie nur infolge einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung gelingen kann. Und eine solche Anstrengung sei heute nötiger denn je, wenn Umwelt- und Klimakrise nicht zum globalen Desaster führen sollen.

Dennoch seien alle Gegenmaßnahmen bisher völlig unzureichend, und das ist auch Ausdruck einer wirt-schafts- und staatspolitischen Um-orientierung vor 40 Jahren, in deren Folge es zu einer Spreizung von Bereicherung und Verarmung kam, zudem der Vorrang des „Shareholder Value“ das Unternehmensmanagement auf kurzfristige Aktionärs- und Chefrenditen orientierte zu Lasten nachhaltiger Investitionen, und die öffentliche Verwaltung personell ausdünnte.

Nach vorherrschender Volkswirtschaftslehre gilt der Staat nur als Mittler, nicht als Schöpfer von Wert. Er soll nur reparierend eingreifen bei sogenanntem Marktversagen, und ist dabei selbst zu führen wie ein Business, indem er Kosten spart, sich schlank macht. In der Covid-19-Krise habe sich gezeigt, beklagt Mazzucato, dass „einige Regierungen ihre Fähigkeiten in einem Maße an den privaten Sektor und Consultings outgesourct hatten, dass sie zu einem effektiven Krisenmanagement schlicht nicht mehr in der Lage waren.“ Dem Mantra von der unzureichenden Funktionsweise des Staates und der größeren Effizienz privater Unternehmen, hält sie eklatante Beispiele privatwirtschaftlichen Versagens entgegen. „Eine mit Mängeln behaftete ideologische Auffassung von der Rolle des Staats hat unsere Erwartungen dessen untergraben, was er leisten kann.“

Lethargie

Der gegenwärtige Kapitalismus habe sich in erschreckendem Ausmaß als unfähig erwiesen, den ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. „Unser, global gesehen, geradezu lethargischer Wandel ist eine Lektion dafür, was passieren kann, wenn der Staat allein dem Markt die Problemlösung überlässt und sich seiner Verpflichtung zu einer unternehmerischen Rolle in der Gesellschaft entzieht.“ Es bedürfe dringend gemeinsamer koordinierter Anstrengungen von Staat, privater Wirtschaft und Gesellschaft, wofür Mazzucato den Begriff Mission benutzt, der im Deutschen etwas anders konnotiert ist als im Englischen und vielleicht als ›konzertierte Aktion‹ verstanden werden kann.

In seiner heutigen Zurichtung trete der Staat in den kapitalistischen Ländern nur reaktiv als Reparaturinstanz für Märkte auf. Nicht zu viel oder zu wenig Staat sei das Problem, sondern was und wie er es tut. „Der öffentliche Sektor zeigt wenig Sinn für die Sorge des Wählers um saubere Luft, eine robuste staatliche Gesundheitsfürsorge, die Regulierung der Wirtschaft und die Gesundheit des Planeten.“ Klarheit müsse gewonnen werden, welche Art von Wert überhaupt geschaffen werden soll. Doch „die gegenwärtige Form typisch staatlicher Instrumente wie Steuer-, Finanz- und Geldpolitik ist orientierungslos.“

Es bedarf eines fundamentalen Umdenkens hinsichtlich der Rolle des Staates, ein fundamentales Ausscheren aus dem Status quo. Vor allem müsse staatliches Handeln wieder auf Fürsorge statt auf Profit gerichtet sein. Der öffentliche Zweck, das Gemeinwohl sei zum Prinzip von Politik zu erheben, was undenkbar sei, so Mazzucato, „ohne Revolution der strukturellen Beziehungen zwischen öffentlichen und privaten Organisationen.“

Missionen seien nach Resultaten zu beurteilen, nicht nach Kosten im üblichen Sinn. „Hätte man Apollo, wie heute jeden Haushaltsposten, einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen, dann hätten Neil Armstrong und Buzz Aldrin wohl nie einen Fuß auf den Mond gesetzt“. – ›Wieviel Geld ist da?‹ sei für einen missionsorientierten Ansatz die falsche Frage. Die richtige laute: Was ist zu tun?

Mit Austeritäts- und Schwarzer-Null-Politik ist da wenig zu machen. Die Rolle der öffentlichen Hand sei nicht die des Geldgebers letzter Instanz, sondern die des Investors erster Instanz.

Kühnheit

Das Mondlandeprogramm führt Mazzucato an, „weil es um die Setzung von Zielen geht, die ehrgeizig und inspirierend genug sind, um auf zahlreiche Sektoren und Akteure der Wirtschaft als Katalysatoren für innovatives Denken wirken zu können. (…) Die Ambitionen des Staates sollten darauf abzielen, quer durch die Gesellschaft für katalytische Reaktionen zu sorgen, (…) den Wandel auf die gesellschaftlichen Herausforderungen ausrichten, indem er Unternehmen belohnt, die den Willen zur Mitarbeit in diese Richtung an den Tag legen und indem er die hochriskanten Anfangsinvestitionen aufbringt. (…) Zielvorgaben, denen es an Ehrgeiz fehlt, spornen weder zu einschlägigen Anstrengungen an noch zu Investitionen.“

Eine Mission müsse kühn sein, inspiriert von breiter gesellschaftlicher Relevanz. Es gehe um das qualitative Ziel, nicht um Vermarktung.

„Weit entfernt davon, eine langweilige Bürokratie zu sein, war die Nasa der denkbar aufregendste Arbeitsplatz der Welt!“

Die Männer und Frauen im Kontrollzentrum waren gut ausgebildet, mutig und arbeiteten Tag und Nacht. Das Durchschnittsalter lag bei 26 Jahren. Management und Organisation der Nasa wurden einer Generalüberholung unterzogen, mit zentraler Planung und dezentraler Abwicklung Hunderter von Einzelprojekten, so dass Innovationen von oben und unten wirken konnten. „Für gewöhnlich tritt diese Art von Flexibilität und ergebnisorientiertem Handeln nur zu Kriegszeiten auf den Plan, wenn man militärischen Organisationen Autonomie gegenüber eher bürokratischen Zweigen des Staats gewährt.“

Mazzucatos Missionen sind auf gesamtgesellschaftliche Ziele gerichtet, unter Betonung der Teilhabe politischer, wirtschaftlicher, sozialer Interessengruppen, entgegen gewinnmaximierenden Kapitalinteressen und entgegen einer sozialistischen Staatskunst, die sich immer auf Bevormundung und Repression verließ, zum hehren Zwecke, den eine sich abschirmende Parteielite allein zu kennen glaubte.

Mariana Mazzucato lehrt in England, genießt international Renommee und berät viele Regierungen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte das von ihr 2019 vorgestellte Konzept eines Green Deal dann auch ›Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment‹.

Zurück auf der Erde, sagte der Apollo-11-Astronaut Buzz Aldrin 1969, ihn habe beeindruckt, dass die Mondlandung überall als Großtat der Menschheit angesehen wurde mit dem Tenor ›wir haben es geschafft‹. „Seiner Ansicht nach sollte das Raumfahrtprogramm dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit und des gemeinsamen Zwecks auch weiterhin fördern“.

Mariana Mazzucato „Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“
Campus Verlag 2021, 300 Seiten, 26 Euro