„Nur Bares ist Wahres.“ Getreu dem alten Spruch konzentrierte sich die Berichterstattung über die Währungsumstellung in der DDR am 1. Juli 1990 auf das, was zu sehen und anzufassen war, das Bargeld. Der Bargeldumlauf machte in der DDR Ende 1989 jedoch nur knapp vier Prozent der Bilanz aus. Wie in modernen Gesellschaften basierte das Geldwesen der DDR auf Kreditgeld. Die Lohntüte gehörte der Vergangenheit an.
Für die Währungsumstellung waren zwei Bereiche zu regeln. Die Umstellung der laufenden Zahlungen von Löhnen, Renten, Mieten. Zweitens die Umstellung des DDR-Kreditwesens, der Bankguthaben, der Sparguthaben, der Schulden.
Seit Anfang 1990 liefen Untersuchungen über die voraussichtliche Konkurrenzsituation der DDR-Firmen, Preis- und Produktivitätsvergleiche zwischen Ost und West. Man rechnete mit einem Einbruch der DDR-Betriebe nach Einführung der DM. Formale Preisvergleiche ergaben bei den Erzeugerpreisen ein Verhältnis von etwa 2,5 Mark der DDR zu einer DM.
Um die Konkurrenzfähigkeit der DDR-Betriebe zu erhöhen, erwog die Bundesbank einen Umtauschkurs für die laufenden Zahlungen von 2:1, zwei Mark der DDR für eine DM. Solche Halbierung nach der Währungsunion hätte für die Bevölkerung ein Einkommensniveau auf dem westlichen Sozialhilfesatz festgeschrieben. Hinzu trat ein weiteres Problem. In der DDR waren die Preise für den Grundbedarf fixiert worden. Die dafür nötigen Subventionen stiegen in den 1980er Jahre stark an und machten im Staatshaushalt 1989 mit 51 Milliarden Mark etwas mehr als 18 Prozent aus. Mit der Währungsunion wurde die Preisbildung freigegeben, nur die Mietpreise sollten für eine längere Übergangszeit staatlich reguliert bleiben. Die Subventionierung des Grundbedarfs entfiel. Die Pläne der Bundesbank sahen sogar einen Teuerungsausgleich von 25 Prozent vor, womit ein Einkommen von 1000 DM erreichbar sein sollte. Sparguthaben sollten nur bis zu einer Höhe von 2000 Mark im Kurs 1:1 umgetauscht werden.
Als am 31. März 1990 der Berliner Tagesspiegel die Pläne der Bundesbank bekannt machte, entstand in der Noch-DDR ein Sturm der Empörung, der beunruhigte Anschlusswähler:innen und Altoppositionelle, ehemalige und verbliebene SED-Genossen vereinte. Der DDR-Gewerkschaftsbund FDGB rief für den 5. April zu landesweiten Protesten auf. Für den Fall einer Ablehnung der Forderung wurde mit Kampfmaßnahmen gedroht: »Wir sind ein Volk! Eins zu eins!« Hunderttausende beteiligten sich an den Protesten. Und tatsächlich wurden die laufenden Zahlungen (Löhne, Renten, Mieten) 1:1 umgestellt, auch um der Vorstellung vieler DDR-Bürger von innerdeutscher Gleichberechtigung zu genügen. Das Bundesfinanzministerium glaubte, dass die resultierenden Einkommen von etwa 40 Prozent des Westniveaus der Produktivität der DDR-Wirtschaft in etwa entsprachen. Ein Teuerungsausgleich erfolgte nicht. Er wurde den Tarifparteien als Aufgabe überlassen.
Nicht beabsichtigt war die heftige Wirkung dieser Proteste im DGB. Der beabsichtigte mitnichten, die Brüder und Schwestern im Osten zu unterstützen und dem Verbot politischer Streiks zu trotzen. Vielmehr brach man sofort die Verbindungen zum FDGB ab. Anfang Mai löste sich der ostdeutsche Dachverband auf.
Die Planungen für die Umstellung der Bestände setzte an der konsolidierten Bilanz des DDR-Kreditwesens an. Die Herkunft der Mittel – die Passiva – wiesen zwei große Brocken auf: die Einlagen der privaten Haushalte (182 Milliarden Mark) und die Auslandsverbindlichkeiten (152,5 Milliarden Mark). Die großen Brocken bei der Mittelverwendung – den Aktiva – waren Kredite an die volkseigene Wirtschaft (231,7 Milliarden Mark) und das Wohnungswesen (102,6 Milliarden Mark).
Die erste Anpassung des DDR-Kreditsystems erfolgte zum 1. April 1990 mit der Aufteilung der Staatsbank der DDR in die Staatsbank Berlin und die Deutsche Kreditbank AG (DKB). Während die Staatsbank Berlin als Notenbank fungieren sollte, übernahm die DKB das Kreditgeschäft der ehemaligen Staatsbank.
Nach der Aufteilung der Staatsbank in einen Noten- und einen Geschäftsbankanteil war die Verschuldung der Staatsbank Berlin gegenüber den Sparkassen durch Forderungen der Staatsbank an die Kreditbank AG gedeckt. Die DKB wiederum hielt die Rechte an den Schulden der Betriebe, die sich nach der Währungsumstellung auf 115 Milliarden DM beliefen, und des Wohnungsbaus (ca. 50 Milliarden DM). Das waren die sogenannten Altschulden. Die Betriebe hatten kaum Finanzvermögen, knapp 28 Milliarden DM. Wie viel das Sachkapital der DDR-Betriebe wert war, das musste sich erst noch herausstellen.
Nur ein Teil der Sparguthaben wurde 1:1 umgestellt, der Rest 2:1. Denn man wusste, dass die Vermögenswerte des DDR-Kreditwesens – vor allem Kredite an die sozialistischen Betriebe, die sogenannten Altkredite – von zweifelhafter Qualität waren. Außerhalb der Wohnungswirtschaft galten sie als weitgehend uneinbringbar. Um die Schuldenlast der Betriebe zu verringern, wurden dagegen alle Verbindlichkeiten der Betriebe und Einrichtungen im Umtausch 2:1 auf die Hälfte verringert. Die Forderungen der Banken verminderten sich deshalb stärker als ihre Verbindlichkeiten, die entstehende Differenz von etwa 26 Mrd. DM übernahm der Staat: erst die DDR, mit dem 3. Oktober 1990 die Bundesrepublik. Nur an dieser Stelle war die Währungsunion ein Geschenk.
Und die Auslandsverschuldung? Die spielte kaum eine Rolle: Der Albtraum des SED-Politbüros war für die Bundesregierung nur ein Kostenpunkt unter mehreren, keinesfalls der größte.
Im Sommer 1990 waren nicht die Altschulden der DDR-Betriebe, sondern ihre laufenden Kosten das Problem. Doch bald sollten sie im Streit um die Kosten der Einheit zu großer Prominenz gelangen. Die Fragen waren – Wieviel war die DDR wert? Welche Erblasten hat sie der Bundesrepublik hinterlassen? – Einfacher wäre gewesen, sich an der Praxis der Kapitalisten zu orientieren. Die Altkredite an die Wohnungswirtschaft waren nicht nur aufgrund der hohen Instandsetzungsrückstände und ungeklärter Vermögensfragen problematisch. Prinzipiell galten diese Kredite aber als profitabel.
Schwieriger sah es mit den Altkrediten an die Industrie aus. Zu ihnen hielten die westdeutschen Großbanken, die Deutsche und die Dresdner Bank, von Anfang an Abstand. Sie waren nur bereit, die »Geschäftbesorgung« zu übernehmen. Die Altkredite blieben in den Büchern der Deutschen Kreditbank AG. Dort waren Abschreibungen in Milliarden fällig, die in die Kosten der Einheit gebucht wurden. Danach konnte die DKB 1995 an die BayernLB verkauft werden.
Erst Ende 1992 legte die Treuhandanstalt ihre DM-Eröffnungsbilanz zum 1. Juli 1990 vor. Darin bezifferte sie den Wert ihres Anteilsbesitzes, also des Sachkapitals der Treuhandunternehmen, auf 81 Milliarden DM. Das war im Groben der Saldo aus dem Finanzvermögen der Betriebe und ihren Schulden am Stichtag. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Auch wenn es für spätere Polemiken schöner war, den Wessis die Schuld zu geben. Nach der Währungsumstellung bestand die Kaufkraft der DDR-Bevölkerung wesentlich im Anspruch auf Lohnzahlung der Betriebe und in Sparanlagen, die auf dem Umweg über die Sparkassen und die Staatsbank der DDR in genau diese Betriebe investiert worden waren. Auch nach der Umstellung auf DM standen hier ostdeutschen Forderungen ostdeutsche Verbindlichkeiten gegenüber. Wären die Altschulden komplett gestrichen worden, wären auch die Sparguthaben der Bevölkerung wertlos geworden. Oder der Staat hätte einspringen müssen. Das tat er nicht. Die DM war kein Geschenk.