Jamaika – wie könnte die Verkehrspolitik aussehen?

Jamaika – das klingt entspannt, nach Sonne, Reggae und Joints am Strand. Aber Klischees sollte man bekanntlich hinterfragen – zumal wenn es sich um schlechte Kopien handelt. Nach der euphorisch bejubelten Ankündigung von Martin Schulz, dass die SPD in die Opposition gehen wolle, scheint es für eine Regierungsbildung momentan keine andere realistische Möglichkeit als eine Einigung zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen zu geben. Wie eine solche Einigung aussehen könnte und welche Politik diese Fraktionen gemeinsam verfolgen könnten, ist allerdings auch nach bereits länger andauernden Sondierungen mehr als offen.

Fest steht schon jetzt, dass einige der Parteien sich gehörig werden verbiegen müssen – allen voran vermutlich die Grünen. Am Ende dürfte die Verlockung lukrativer Posten aber wieder einmal größer sein als die politischen Ideale. Eine große Formbarkeit haben die Grünen hier ja schon in mehreren Landesregierungen bewiesen. Und Winfried Kretschmanns Äußerung vom Wochenende, alles sei besser sei als Neuwahlen, sind nicht gerade zur Stärkung der grünen Positionen geeignet.

Völlig unklar ist die Gestaltung einer möglichen Einigung besonders im Bereich Verkehrspolitik. Während CDU und CSU die Machenschaften des „Abgaskartells“ im Dieselskandal von Beginn an gedeckt und eine wirkliche Aufklärung verhindert haben, sind die Grünen in der Opposition gemeinsam mit der LINKEN bislang als Aufklärer aufgetreten. Sie fordern ein Aus für den Verbrennungsmotor bis 2030, während die anderen Parteien sogar für den schmutzigen Diesel weiter eine Zukunft sehen. Und auch gegen den fortgesetzten Straßen- und Autobahnbau, der mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan im letzten Dezember wieder für ein weiteres Jahrzehnt festgeschrieben wurde, gepaart mit einem sehr halbherzigen Ausbau des Schienennetzes, hatten die Grünen bislang vehement opponiert. Jetzt müssten sie eigentlich die Wiederaufrollung eben dieses Plans verlangen, um im Sinne einer Verkehrswende Geld zum öffentlichen Verkehr umzuschichten. Die anderen Parteien werden dazu aber wenig Lust haben. Und während die Grünen sich – wenn auch im Widerspruch zur Flugbegeisterung ihrer angeblich ökologisch orientierten Kernklientel – zumindest rhetorisch für eine Reduktion des klimaschädlichen Luftverkehrs aussprechen, setzen CDU, CSU und FDP auch hier ganz offen auf ein fortgesetztes Wachstum.

Überhaupt ist das Auseinanderklaffen zwischen den zuletzt in Paris vereinbarten Klimazielen, über deren Konkretisierung momentan in Bonn verhandelt wird, und der tatsächlichen Entwicklung in keinem Bereich so eklatant wie im Verkehr. Während der Kohlendioxidausstoß in den anderen Sektoren in Deutschland immerhin – wenn auch in zu geringem Maße – zurückgeht, stagniert der reale Ausstoß klimaschädlicher Gase aus dem Verkehr bestenfalls. Der Grund dafür ist das immer weitere Wachstum insbesondere des Güterverkehrs. Viele Güter haben einen immer größeren „Rucksack“ an Transportkilometern. Die Rede von der kompletten Dekarbonisierung des Verkehrs bis 2050 wirkt in Anbetracht des immer weiter zunehmenden Verkehrs mehr als hilflos. Eine grundlegende Veränderung der Verkehrspolitik, in der endlich die Verkehrsvermeidung im Mittelpunkt stünde und die Verlagerung auf die Verkehrsträger des Umweltverbundes (Fußverkehr, Fahrrad und öffentlicher Verkehr) nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, wäre überfällig.

Einigen könnten sich die zukünftigen Koalitionspartner hingegen voraussichtlich bei einem anderen höchst schädlichen verkehrspolitischen Projekt: dem Bahnbörsengang. Dieser war zuletzt 2008 gescheitert – einerseits aufgrund der Wirtschaftskrise, aber auch weil zu dem Zeitpunkt immer deutlicher wurde, dass das Mehdornsche Sparen um jeden Preis für die „Börsenfähigkeit“ massive Konsequenzen auf die Zuverlässigkeit hatte und sogar die Sicherheit des Bahnverkehrs gefährdete. Alle drei Parteien sind aber noch immer von den Segnungen des Marktes auch bei einem natürlichen Monopol wie der Bahn überzeugt. Sie könnten sich daher auf ein Modell einigen, bei dem das Schienennetz im Besitz des Bundes bleibt, die Transportsparten jedoch nicht nur wie bislang organisatorisch privat sind, sondern auch tatsächlich verkauft werden. Während sich auf den gut gebuchten Metropolenverbindungen dann vielleicht bald immer mehr Unternehmen gegenseitig den Rang ablaufen, wird bei anderen Strecken der Staat einiges drauflegen müssen, damit dort noch Zugverkehr stattfindet. Wie ein solches Modell in der Realität aussieht, kann man schon heute in Großbritannien sehen: Die Fahrpreise sind mit die höchsten in ganz Europa, und gleichzeitig ist die angebotene Leistung eine der schlechtesten. Für eine wirkliche Verkehrswende mit einer zunehmenden Verlagerung von Personenverkehr und Transporten auf die Bahn wäre hingegen ein integriertes öffentliches Unternehmen, das an verkehrspolitischen und nicht an Renditezielen ausgerichtet ist, die sehr viel bessere Wahl.

 

Bernhard Knieriem ist Mitglied der Redaktion von Lunapark21 und Verkehrsexperte

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