Das Geschäft mit der Fruchtbarkeitsindustrie

Viele Frauen wollen keine Kinder. Sie haben es oft schwer, in einer familistischen Gesellschaft, in der sie dauernd gefragt werden: „Wann ist es denn so weit?“  Viele Menschen sind aber auch aus medizinischen Gründen ‚ungewollt kinderlos‘. Sie leiden ebenfalls unter der Familienideologie – ich nenne es Familismus – nach der es keine gesellschaftlich akzeptierte Alternative zur leiblichen Vater-Mutter-Kind Familie zu geben scheint. Kinderwunsch-Ärzte und Kliniken werben auf vielen Webseiten: ÄrztInnen, die gleichzeitig UnternehmerInnen sind, aber auch größere Kliniken und Klinikketten. Sie konkurrieren um ihre „Erfolgsraten“. Beispiel einer Berliner Klinik: „Nach aktuellen Auswertungen stehen wir mit unserer Geburtenrate nach künstlicher Befruchtung auf vordersten Positionen“. Das meint 44,8 % Erfolgsquote nach einer Eizellentnahme, bei einem weltweiten Durchschnitt von 30 Prozent. Beim Transfer von zuvor eingefrorenen befruchteten Eizellen liegt die „Erfolgsrate“ deutschlandweit bei 18,2 Prozent.
Ausländische Reproduktionskliniken vermitteln und betreuen auch „Leihmütter“, die ihre Dienste gegen Entgelt anbieten und dafür die Schwangerschaft auf sich nehmen. Christa Wichterich spricht von einem „Fruchtbarkeitstourismus“ und berichtet darüber, dass der indische Staat Reproduktionsunternehmen als medizintouristische Ziele und als Exportsektor mit Steuer- und Zollvergünstigungen fördert. Leihmutterschaft wurde dort zu einer Wachstumsbranche. Seit 2013 ist sie de jure lediglich auf heterosexuelle Paare beschränkt und seit 2016 gibt es einen Gesetzentwurf zum Verbot von Leihmutterschaft, die dann nur die ‚altruistische‘ Leihmutterschaft im Verwandtenkreis erlauben soll. Schon geistern protestierende Leihmütter durch die Medien, weil armen Frauen damit eine lukrative Einkommensmöglichkeit entzogen würde. In Deutschland ist Leihmutterschaft verboten. Dafür bieten die Dienstleister In-Vitro-Fertilisation (IVF), Einfrieren und Lagerung von Eizellen, Social Freezing zum Aufschub der Familiengründung an. Der größte Teil der Nachfrage ist erst mit dem Angebot der Dienstleistungen entstanden.

„Ungewollte Kinderlosigkeit“ ist in Deutschland teilweise als therapierbare Krankheit anerkannt. Eine Behandlung kostet – je nach Aufwand – bis zu 7.000 Euro. Die wenigsten Firmen nennen Preise. Eine tschechische Kinderwunschklinik gibt im Internet für IVF-Behandlungen zwischen 2.200 und 4.700 Euro an. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten einen Teil der Kosten für eine begrenzte Zahl von Behandlungszyklen. Das gilt nur für verheiratete Paare; die Frau muss älter als 25 Jahre sein und der Mann jünger als 50 Jahre. Eheleute können die Kosten für eine Kinderwunschbehandlung auch steuerlich absetzen (!). Diese Regelung unterstützt die Bindung des Kinderwunsches an die „ordentliche“ heterosexuelle Kleinfamilie.

Protagonistinnen der Frauenbewegung der 1970er Jahre – allen voran Shulamith Firestone –sahen die bürgerliche Kleinfamilie als Zentrum der Frauenunterdrückung an. Firestone schrieb in ihrem bahnbrechenden Werk ‚The Dialectic of Sex‘ (1970): „Solange eine Revolution nicht die Basis jeder gesellschaftlichen Ordnung aufhebt“, und das war für sie vor allem „die biologische Familie, dieses Bindeglied, durch das die Psychologie der Macht immer wieder heimlich eingeschmuggelt wird, solange wird dieser Bandwurm von Ausbeutung nicht vernichtet werden können.“ Sie erhoffte, dass durch den Einsatz von ‚künstlicher Fortpflanzung‘ die Frauen von der Last der Schwangerschaft und Geburt befreit werden.

 

Befreiung von Fortpflanzungszwängen oder neue Unterwerfung

Shulamith Firestones Befreiungsthese, der künstlichen Fortpflanzung außerhalb des Mutterleibs und der Aufhebung der Frau an die Bindung des Gebärens und Stillens und Gleichberechtigung der Geschlechter herzustellen, wurde damals wie heute kritisch betrachtet. Heute sind viele von ihr als erstrebenswert angesehene Techniken und Methoden Wirklichkeit. Wie sie die Entwicklungen in Sachen „Social Freezing“, Reproduktionstechnologie und Leihmutterschaft heute beurteilen würde, können wir sie nicht mehr fragen. Die Tatsache, dass die Reproduktionstechnologien sich auf die genetisch verwandte Kleinfamilie beziehen und in der Regel keine Veränderung der familistischen Strukturen mit sich bringen, würde sie sicher kritisieren. Auch die mit den Reproduktionstechnologien verbundene Hoffnung auf ein gesundes, perfektes Kind würde ihr nicht gefallen. Und die Tatsache, dass es bei der Nutzung der Möglichkeiten wieder oder immer noch um individuelle Vereinbarkeit von beruflichem Erfolg und Kinderwunsch, Selbstoptimierung und um individuelle Ausnutzung von Arbeitskraft im Interesse des Kapitals geht, nicht um die Befreiung der Frauen als Kollektivsubjekt sondern eher um neue Macht- und Marktverhältnisse, die neue soziale Ungleichheiten zwischen Frauen schaffen, würde sie sicher verurteilen. Schließlich trat sie für eine doppelte Revolution ein, mit der die Klassengesellschaft und die Frauenunterdrückung abgeschafft werden sollte.

Feministinnen kritisieren aktuell  die wachsende Kommerzialisierung im medizin-technischen Sektor. Frauen mit einem „unerfüllten Kinderwunsch“ begrüßen die neuen Möglichkeiten als Lösungsstrategie um eine ‚richtige‘ – manche Kliniken versprechen sogar eine ‚glückliche‘ Familie mit einem begehrten eigenen Kind zu erkaufen, das möglichst gesund und perfekt sein soll. Die Mehrzahl der Menschen, die versuchen, ihren Kinderwunsch mit in Deutschland verbotenen Reproduktionstechniken zu befriedigen, sind heterosexuelle Paare. Felicita Reuschling führt den Erfolg des „Geschäftsmodells der Fruchtbarkeitsindustrie“, wozu auch der Fruchtbarkeitstourismus gehört, auf die Sentimentalisierung einer Lebensform (der Kleinfamilie) zurück, für die es keine Alternative zu geben scheint. Alternative Lebensformen außerhalb der Kleinfamilie – mit und ohne (eigene) Kinder – geraten aus dem Blick, Reuschling nennt das „strukturellen Konservatismus“, der im Kontrast zum Feminismus der politisierten Jahre nach 1968 steht. „Es hat sich eine Industrie entwickelt, die nach standardisierten Verfahren ihre Dienste anbietet und ihre Kundschaft findet“, schreibt Urte Sperling. Mit ihr ist zu hoffen, dass diejenigen, die auf diese kapitalistischen und familistischen Sinnversprechen verzichten, auch ohne „eigene“ Kinder ihren akzeptierten Platz in dieser Welt finden.

 

Gisela Notz ist Redakteurin von Lunapark21 und schreibt regelmäßig Beiträge für den Luna-blog

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