„Wir entwickeln eine nachhaltige Wirtschaft“

quartalslüge II/MMXXIII

„Zu einer nachhaltigen Lebensweise gehört so ziemlich alles, was wir im Leben so treiben. Zuerst haben wir selbstverständlich nachhaltige Ideen, mit denen wir dann eine nachhaltige Entwicklung beginnen. Daraus entwickeln wir eine nachhaltige Wirtschaft mit nachhaltiger Wirtschaftsweise.“ Endlich bewegt sich etwas. Und wenn wir den Versprechungen des Ökostromanbieters Naturstrom Glauben schenken wollen, kommt es noch besser: „Diese nachhaltige Wirtschaft schafft jede Menge nachhaltige Produkte aus nachhaltigen Rohstoffen, erzeugt nachhaltige Energie mit nachhaltigen Energiesystemen. Mit unserem Geld führen wir ein nachhaltiges Konto bei unserer nachhaltigen Bank, die sich um unsere nachhaltigen Finanzen kümmert und nachhaltig für uns vorsorgt. Die nachhaltige Bank tätigt ausschließlich nachhaltige Investitionen. Wir bauen auch nachhaltig und verwenden nur nachhaltige Wärme für unsere Wohnungen. Im nachhaltigen Urlaub sind wir nachhaltig unterwegs  und reisen auch sonst nachhaltig.“ Reicht, oder? Was sich wie eine Satire liest, ist durchaus ernst gemeint, und Naturstrom ist noch nicht am Ende: „Unser Nachhaltigkeitsengagement macht vor nichts halt, dazu entwickeln wir Nachhaltigkeitskriterien und legen Nachhaltigkeitsstandards fest, z.B. für nachhaltige Lieferketten mit nachhaltigem Lieferkettengesetz.“

„Nachhaltig leben: 10 nützliche Tipps für den Alltag“, haben die Tierschützer*innen von Peta anzubieten. „Nachhaltiger Konsum ist Teil einer nachhaltigen Lebensweise“, weiß die Bundesumweltministerin an Weisheit beizusteuern, und der Naturschutzbund Nabu pflichtet bei: „Wir alle können dazu beitragen, unsere Umwelt ökologischer und nachhaltiger zu gestalten. Mit einfachen Mitteln lässt sich vieles erreichen.“

„Es ist wahr, es ist wahr, dass die Kühe das Gras nicht rauchen, sondern fressen. Aber sonst: alles Lüge. Alles Lüge“, hatte Rio Reiser schon Mitte der achtziger Jahre erkannt.

Unsere sogenannte zivilisierte Welt ist alles andere als nachhaltig, und mit einfachen Mitteln lässt sich kaum etwas erreichen. Das Weltfinanzsystem steht vor dem nächsten Kollaps, die Landwirtschaft betreibt im großen Stil Raubbau, privatisierte Verkehrs- und Gesundheitsbetriebe sind ihren Shareholdern und der Rendite verpflichtet. Und die Grünen müssen noch an olivgrünen Nachhaltigkeitskriterien für die Nato arbeiten. Einzig die deutsche Forstwirtschaft ist ernsthaft bemüht, nachhaltig zu arbeiten: Einem Wald soll man nicht mehr Holz entnehmen, als über längere Perioden nachwächst.

Nachhaltigkeit wurde nicht in Deutschland erfunden. Im Ausland hatte man die Bedeutung von „Sustainability“ früher erkannt. Der Ausdruck wäre adäquat mit Erträglichkeit oder Durchhaltbarkeit zu übersetzen und meint, dass anderes eben nicht durchzuhalten sei. „Nachhaltig“ klingt vergleichsweise harmlos und zeigt sich nachsichtig gegenüber Lebensstil und Interessen von Wählerinnen und Konsumenten und will uns weismachen, wir hätten es in der Hand.

Mehr als 7200 Bestellungen stehen bei Airbus im Auftragsbuch. Boeing hat gut 4600 Aufträge abzuarbeiten. Das ist im laufenden Jahrzehnt gar nicht mehr zu schaffen. Mit einer Verdoppelung der zivilen Luftflotten in den nächsten 20 Jahren rechnen die Hersteller. Weit über 40.000 Jets werden dann den blauen Himmel mit ihren Kondensstreifen übermalen.

400 Millionen Tonnen Plastik, die pro Jahr in die Welt gedrückt werden, lassen unsere Jutebeutel lächerlich aussehen. Kunstoffmaterialien haben sich als extrem langlebig erwiesen im krassen Gegensatz zur Kurzlebigkeit vieler Gebrauchsgüter. Schneller Verschleiß, Wechsel der Moden, früher Defekt sind der Kapitalverwertung förderlich. „Geplante Obsoleszenz“ lautet der Fachbegriff, unter dem wir unsere alten Mobiltelefone und Smartphones ablegen dürfen. Aber wenn es nachhaltig sein soll, entsorgen wir sie in einen dafür vorgesehenen Cotainer.

Apropos „entsorgen“. – Aber das ist eine andere Geschichte.