[kolumne winfried wolf] … und jetzt noch Italien: Das Ende der Sonderfälle – die neue europäische Krise

Aus: LunaPark21 – Heft 18

Spätestens seit dem Offenbarungseid der Regierung Rajoy, wonach die spanische Bankenkrise nicht mehr mit eigenen Mitteln eingedämmt werden kann, ist offenkundig: Griechenland ist keine Ausnahme. Und Portugal und Irland sind keine Sonderfälle. Die grundlegenden Elemente dieser strukturellen Krise – ein aufgeblähter Bankensektor mit vielen faulen Krediten, eine hohe öffentliche Schuld, die mit Bankenhilfen erhöht wurde, eine von der EU diktierte „Stabilitätspolitik“, mit der man sich in die realwirtschaftliche Krise hineinspart – sind in den meisten Ländern der Eurozone anzutreffen.

Das „Besondere“ bestand bisher lediglich darin, dass es sich bei den ersten Krisenopfern um relativ kleine Länder wie Griechenland, Irland und Portugal (und inzwischen auch Zypern) handelte, bei denen es eher um überschaubare Summen ging. Dass dabei der mit Pomp aufgespannte Rettungsschirm immer eher ein Knirps war, fiel hier kaum auf. Mit Spanien betritt das erste Schwergewicht die Arena der Krisenstaaten. Obgleich der Verschuldungsgrad Spaniens deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt, ist bereits die Summe der öffentlichen Schulden mit 735 Milliarden Euro größer als die öffentlichen Schulden Griechenlands, Portugals und Irlands zusammengenommen. Hinzu kommen die Schulden der privaten Haushalte, der Banken und der übrigen Wirtschaft, das Zusammenspiel von Immobilienkrise und diesen verschiedenen Ebenen der Verschuldung und die bereits existierende Rezession der Realwirtschaft. Die Sparpolitik, die unter dem EU-Rettungsschirm nun nochmals verschärft wird, muss die Krise vertiefen. Die bisher erst bröckelnden Immobilienpreise werden auf breiter Front einbrechen und Banken und Baukonzerne in den Pleite-Schlund schleudern. Die 100-Milliarden-Euro-Hilfe der EU dürfte lediglich die erste Tranche einer weit größeren Hilfsaktion sein.

Vor zwei Jahren führten Beschlüsse über größere Hilfsaktionen der Eurozone dazu, dass sich die Märkte zumindest für einige Wochen beruhigten. Nach der Zusage der Hilfen für Spanien glätteten sich die Wogen gerade mal für 48 Stunden – um dann erneut hochzugehen … und um sich, wie von Geisterhand gesteuert, Italien zuzuwenden: „The waves lapping at Rome´s door“, schlagzeilte die Financial Times am 13. Juni. Die Wellen dürften nicht nur an der Tür Roms lecken; sie könnten über der Eurozone zusammenschlagen und dabei den Euro unter sich begraben. Italiens öffentliche Schulden in Höhe von 1900 Milliarden Euro sind – absolut – zweieinhalb Mal so groß wie die spanischen. Vor allem liegt hier auch die Schuldenquote massiv über derjenigen Spaniens und just auf dem Niveau der griechischen Schuldenquote im Jahr 2008, zu Beginn der Hellas-Tragödie. (Siehe Grafik 1, S. 5).

Als die österreichische Finanzministerin Maria Fekter die neue Orientierung der Spekulation umgehend, gewissermaßen „shortly , without von delay“ [1], dahingehend interpretierte, dass als nächstes auch Italien sich unter den EU-Rettungsschirm begeben würde, konterte Italiens Ministerpräsident Mario Monti: „Italien ist in keiner Weise mit Spanien vergleichbar“. So sei der italienische Bankensektor solide. Unterschiede gibt es zweifellos. Doch solide geht anders. Die beiden größten Banken des Landes – Unicredit und Banca Intesa – wiesen für das vergangene Jahr 2011 riesige Verluste aus (9,2 bzw. 10,1 Milliarden Euro). Unicredit, die siebtgrößte Bank in der EU, ist – vor allem über die Tochter Bank Austria – massiv im Osteuropageschäft engagiert und exponiert: Hier bestehen erhebliche Risiken. Die drittgrößte Bank Italiens, die altehrwürdige, 1492 gegründete Monte dei Paschi di Siena, ist ähnlich angeschlagen wie Bankia in Spanien. Schließlich steckt Italien seit dem vierten Quartal 2011 in einer neuen Rezession, die sich im restlichen Verlauf des Jahres 2012 verschärfen wird. Doch, doch, die Spekulanten und Frau Fekter haben recht: Italien wird der nächste Rettungsschirm-Kandidat sein. Doch darunter ist dann kein Platz mehr.

In den ersten Jahren der neuen weltweiten Krise, 2007 bis 2009, konnte man mit einer gewissen Berechtigung sagen, Ausgangspunkt und Epizentrum des Krisen-Bebens seien die USA. Doch die Geographie der Krise hat sich völlig verändert. Die aktuelle Krise ist primär eine europäische. Im Zentrum steht die Eurozone – auch weil ein wesentlicher Treiber der Krise der Euro selbst ist, indem eine Einheitswährung in einer krass uneinheitlichen Welt eingesetzt wurde und die schwachen Länder schwächer und die starken stärker macht. Derzeit sind es – neben China und anderen Schwellenländern – die USA, die die Konjunktur in Europa stützen. Und es geraten immer neue EU-Länder in den Krisenreigen. Auch die französische Wirtschaft befindet sich am Rande einer Rezession – was, zusammen mit dem neuen Präsidenten und der neuen linken Mehrheit in der Nationalversammlung kaum abschätzbare Folgen für das innereuropäische Machtgefüge und die Krisenbewältigungspolitik der EU hat.

Alles zusammen – Griechenland-Wahl, Spanien unter dem Rettungsschirm, Italien in der Schusslinie der Spekulation und neue Rezession in der Eurozone – wird das Projekt Euro in seinen Grundfesten erschüttern. Die Wahrscheinlichkeit eines bank run – ausgehend von Griechenland, sich fortsetztend in Portugal, Spanien und Italien – wächst von Woche zu Woche. Das Wall Street Journal warnte bereits auf Seite 1: „Banks´ Worry Is Deposits – Die Banken fürchten um ihre Einlagen“ [2]. Das Blatt veröffentlichte Angaben zur Struktur der Bankeinlagen in Italien, Spanien und Portugal (wieviel der Gesamteinlagen umgehend abgezogen werden können) und berichtete, dass nicht nur in Griechenland, sondern auch in den drei genannten Ländern bereits seit Anfang des Jahres 2012 ein kontinuierlicher Abgang privat angelegten Geldes registriert wird. Ein Ansturm der privaten Anleger auf die Banken in Europa oder auch nur auf die Banken weniger größerer Eurozonen-Länder würde in kurzer Zeit zu einem Zusammenbruch des Bankensektors führen. Just nach Spaniens Beitritt zum EU-Rettungsschirm veröffentlichte die Europäische Zentralbank (EZB) eine Untersuchung, wonach die „Wahrscheinlichkeit für große Bankpleiten wieder bei 20 Prozent liegt“. Diese Wahrscheinlichkeit hat sich damit deutlich vergrößert – weil die Macht des Finanzsektors nicht angetastet wird, weil der Finanzsektor immer neu mit staatlichen Geldern gemästet wird, weil alle neuen Elemente großangelegter Spekulation weiter zugelassen sind und weil damit Wirtschaft und Politik „den Finanzmärkten“ – und das sind konkrete Institute, Heuschrecken, auch klassische Unternehmen, die Realwirtschaft als Nebengeschäft betreiben – überlassen werden. Sind nicht jüngst per Zufall die genauen Summen bekannt geworden, die zu „investieren“ sind, wenn man als Heuschrecke dem britischen Premier David Cameron (dessen Kabinett wiederum zu vier Fünfteln aus Vermögensmillionären besteht) unter vier Augen ein Anliegen unterbreiten will?

Eine wesentliche Ursache der aktuellen Zuspitzung der Krise ist die fortgesetzte und teilweise verschärfte Sparpolitik. Sie reduziert zusätzlich die Realwirtschaft. Sie stärkt fortgesetzt den Finanzsektor. Mit ihr kommt es, so der Ökonom James Galbraith, „in Europa zu einer Explosion der Ungleichheit“. Die deutsche Bundesregierung und die Bundesbank in Frankfurt am Main sind die treibenden Kräfte hinter dieser Politik zur Strangulation der Nachfrage. Der US-Ökonom Nouriel Roubini schrieb Mitte Juni: „Ausgerechnet Deutschland lernt nicht aus der Geschichte. Die Deutschen sind heute so sehr auf die Nichtgefahr Inflation fixiert, dass sie 1923 (dem Jahr der Hyperinflation) mehr Bedeutung beimessen als 1933, dem Todesjahr der Demokratie. (…) Deutschlands Wohlstand ist eine Folge der Währungsunion. Der hat deutschen Exportunternehmen einen viel wettbewerbsfähigeren Wechselkurs beschert, als es die D-Mark vermocht hätte. Die Eurozone ist Ziel für 42 Prozent der deutschen Exporte. Diesen Markt in eine Depression abrutschen zu lassen, kann Deutschland kaum nutzen. Die EU wurde geschaffen, damit sich die Katastrophe der 30er Jahre nicht erneut ereignet. Es ist höchste Zeit, dass Europas Regierungen – und vor allem die deutsche – erkennen, wie gefährlich nahe sie daran sind, sie doch zu wiederholen.“ [3]


Anmerkungen:

[1] Die ÖVP-Politikerin und österreichische Finanzministerin Maria Fekter erklärte im Rahmen der EU-Krisensitzung vom 13. Juli 2011: „Die Zeit, die wir uns gegeben haben, ist shortly. Und auf Ihre Frage, was das heißt, sage ich Ihnen: shortly, without von delay“. Im Dezember 2011 wurde „shortly, without von delay“ zum österreichischen „Spruch des Jahres“ gekürt. Die Jury sah ihn als „symptomatisch für die Überforderung von europäischen Politikern in der komplexen wirtschaftlichen Situation, in der sich die EU derzeit befindet.“

[2] Wall Street Journal vom 21. Mai 2012.

[3] Nouriel Roubini, Denkt an 1933, in: Financial Times Deutschland, 12.6.2012.

Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapark21 und Verfasser von Sieben Krisen ein Crash (Wien 2009).

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