Ravensburg und s´Bähnle

Umgehungsstraßen produzieren neuen Kfz-Verkehr

Als Anfang der 1980er Jahre auf der B30 in Oberschwaben tagtäglich eine Blechlawine durch die historische Altstadt von Ravensburg rollte, gab es das Projekt einer B30 neu: einer gigantischen Umgehungsstraße um die Orte Baindt, Baienfurt, Weingarten, Ravensburg und Weissenau. Als Gegenprojekt entwickelte ich damals gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Leuten um das alternative Blatt Südschwäbische Nachrichten die Wiedereinführung des Bähnle, einer Straßenbahn, die es in der Region zwischen 1887 und 1959 verkehrte. Diesen Plan veröffentlichten wir in der genannten Zeitschrift bzw. er erschien kurz darauf im Rahmen einer Buchveröffentlichung.1

Da sich die Bebauung in der Region seit der Einstellung der Tram erheblich verändert hatte, sollte die Straßenbahn anstelle nur einer Nord-Süd-Strecke zwei Linien haben: eine „Linie 1“, auch Talbahn genannt, die in Teilen wie die traditionelle Tram in der Nord-Süd-Achse zwischen Baienfurt und Weissenau/Eschach verlaufen sollte. Und eine „Linie 2“, auch als „Berg- und Talbahn“ bezeichnet, die in Ost-West-Richtung zwischen der Ravensburger Weststadt und Schornreute verlaufen würde. Beide Linien hätten in Ravensburg den zentralen Marienplatz gequert und sich dort gekreuzt. Wir hatten das Projekt von einem Fachmann (Karl Klühspies, München) durchrechnen und planen lassen. Der Buchveröffentlichung lag auch ein Faltplan im Maßstab 1:25.000 bei. Wir gingen bei dem Projekt von drei Voraussetzungen aus:

Die Entlastungswirkung der B30neu würde nur 15, maximal 20 Jahre Wirkung zeigen. Danach wären die Stadtzentren von Weingarten und Ravensburg erneut mit der gleichen Pkw- und Lkw-Zahl belastet wie Anfang der 1980er Jahre. Mit dem Unterschied, dass es jetzt zusätzlich diese Umgehungsstraße, genauer: die Autobahn-ähnliche, auf weiten Teilen vierspurige B30neu geben würde, für deren Bau wichtige Erholungsgebiete zerstört und mehrere zehntausend Bäume gefällt werden mussten.2

Mit dem Bähnle hätten 80 Prozent der damals bereits 80.000 Menschen in der betreffenden Region (als „Mittleres Schussental“ bezeichnet) – oder 64.000 Leute – maximal 10 Minuten zur nächsten Tram-Haltestelle gehabt. Der allergrößte Teil der Bevölkerung hätte also eine optimale Anbindung an ein modernes und bequemes Verkehrsmittel erhalten.

Die gesamten Kosten für die 17 Kilometer Gesamtlänge der Tram hätten, einschließlich des Wagenparks, damals bei 125 Millionen Mark gelegen. Das wäre weniger als die Hälfte dessen gewesen, was dann real der Bau der B30neu verschlang.

Es kam, wie so gut wie überall im Autoland Deutschland: Die B30neu wurde gebaut. Unser Plan wurde immerhin zur Kenntnis genommen, aber vom OB Hermann Vogler als „utopisch“ abgetan. Es kam dann aber auch so, wie von uns vorhergesagt: Die B30neu zieht eine enorme Menge neuen Verkehr an; der Satz „Wer Straßen baut, wird Straßenverkehr ernten“, bewahrheitete sich. Heute wälzt sich längst mindestens dieselbe Kfz-Lawine durch die Stadt wie Anfang der 1980er Jahre.3

1991 erklärte dann die SPD Ravensburg, der Vorschlag zur Wiedereinführung des „Bähnle“ müsse „ernsthaft geprüft“ werden. Dieses Thema taucht immer wieder in den verkehrspolitischen Debatten auf. Am 2. Juli 2019 sprach ich das letzte Mal in Ravensburg auf einer verkehrspolitischen Veranstaltung. Als ich die Notwendigkeit der Wiedereinführung vom Bähnle erwähnte, gab es spontanen Zwischenapplaus.

Anmerkungen

1 Erstveröffentlichung in: Südschwäbische Nachrichten Nr. 2/1988. Kurz daraus in: Winfried Wolf, Sackgasse Autogesellschaft – Höchste Eisenbahn für die Alternative, Februar 1988 und (2. erweiterte Auflage) Januar 1989, S.69ff. Ausführlich zur Geschichte der Tram: Raimund Kolb, Bähnle – Mühle. Zug und Bus, Bergatreute 1987.

2 Allein im Altdorfer Wald wurden für die B30neu 20.000 Bäume gefällt. Aktuell steht hier eine weitere große Abholzaktion an, um weitere Teile des Waldes für Gewerbegebiete, Kiesabbau und Besiedlung zu opfern. Siehe: https://altdorferwald.org/

3 Dafür habe ich keine neuen Zahlen eingeholt. Anfang der 1980er Jahre waren es im gesamten Gebiet täglich 140.000 Kfz-Fahrten und davon auf der B30 („alt“) 20.000 Pkw und Lkw am Tag. Basis: Generalverkehrsplan Mittleres Schussental, Prof. Karlheinz Schaechterle, Ulm-Neu-Ulm 1981.