Bernhard Knierim (LP21-Redaktion)
Als ich Mitte März zum letzten Mal bei meiner Arbeitsstelle im Bundestag war, war schon absehbar, dass alle Mitarbeitenden dort für längere Zeit im Home-Office arbeiten würden. Anfangs stellte ich mir das recht gemütlich vor ohne Arbeitswege – bis einen Tag später klar wurde, dass auch Schulen und Kitas mit sofortiger Wirkung geschlossen würden. Seitdem begann für uns ein ständiges Jonglieren der Überforderungen: Jeder Partner arbeitet einen halben Tag – abwechselnd morgens und nachmittags – einigermaßen ungestört, während die oder der andere sich jeweils in der Zeit um Haushalt und Kinder kümmert. Effektiv reicht die Zeit nie aus. Das hat zur Folge, dass all das hinten runterfällt, was nicht absolut notwendig ist – z.B. die freiwilligen Engagements und nicht zuletzt die Zeit zum Ausruhen alleine.
Die Arbeitsorganisation wurde schon nach wenigen Tagen komplett an die neuen Gegebenheiten angepasst: Statt physischer Treffen gibt es nun regelmäßige Telefon- und Videokonferenzen, und auch politische Veranstaltungen finden inzwischen kaum weniger statt als früher – nur eben jetzt per Internet-Stream. Für Menschen mit kleinen Kindern hat das durchaus auch Vorteile, zumal bei Abendveranstaltungen, die man auch ohne Corona aus zeitlichen Gründen kaum alle besuchen könnte. So anstrengend die Situation des Alles-Gleichzeitig zu Hause auch ist, könnte davon doch auch etwas bleiben: Viele haben jetzt die Erfahrung gemacht, dass man sich nicht für jede Besprechung physisch treffen muss, zumal wenn das mit einer Reise quer durchs Land verbunden ist, und dass es durchaus nutzbare Videokonferenzsysteme gibt. Und wenn Veranstaltungen ins Internet verlegt werden, verliert man dabei zwar Teilnehmende, gewinnt aber meist auch welche dazu, die eher die technischen Hürden auf sich nehmen als den Anfahrtsweg.
Aber nach so vielen Wochen immer in der Familie ist die Situation trotz der schönen Seiten des intensiven Zusammenlebens sehr auslaugend. Dabei ist das letztlich Leiden auf hohem Niveau, denn wir leben als Kleinfamilie in einem Wohnprojekt mit viel Natur. Unsere früheren Nachbarinnen und Nachbarn in Berlin hatten viele Wochen nicht einmal mehr Spielplätze, um den Bewegungsdrang der Kinder ausleben zu können. Und wie Alleinerziehende den Spagat zwischen Home-Office, Kindern und Haushalt bewältigen, davor habe ich großen Respekt, ebenso vor Angehörigen von Kindern mit Behinderungen. Zudem weiß bisher niemand, in wie vielen Familien die allgemeine Überforderung – oft vor dem Hintergrund einer ohnehin schon schwierigen Situation – dazu geführt hat, dass es zu Misshandlungen kam. All das sind Folgen des Lockdowns, die bisher in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle gespielt haben.
Wie viele Eltern und Kinder benötigen jetzt mindestens eine Kur als Erholung der anstrengenden Zeit, wenn nicht gar eine Therapie zur Bewältigung von Traumata – etwa dem völligen Ausgeliefertsein gewalttätiger Eltern? Während nun ein Rettungspaket nach dem anderen für die Großunternehmen geschnürt wird (meist unter Missachtung jeglicher Klimaschutzbestrebungen), ist von einem Wiederaufbauprogramm für Familien keine Rede. Familien und Kinder – oder „Frauen und Gedöns“, wie Gerhard Schröder es abfällig nannte – haben wieder einmal keine Lobby; die Care-Arbeit bleibt Privatsache. Kein Wunder, wenn die Familienministerin nicht einmal für wichtig genug erachtet wird, um Mitglied des sogenannten Corona-Krisenkabinetts zu sein.
Bernhard Knierim ist aktiv im LP21-Team. Er lebt zusammen mit Simone Holzwarth, die ebenfalls für LP21 schreibt (u.a. zur TV-Serie „Löwenzahn“ in LP21 Heft 33) und zwei Kindern (8 und 4 Jahre alt) in Werder (Havel) und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Bundestagsbüro.