Pandora Papers: Weißwäsche des westlichen Finanzsystems

Es fehlen die wichtigsten Finanzoasen und deren Nutzer

Das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) hat mit Hunderten Journalisten aus 117 Staaten über mehrere Monate 11,9 Millionen Dokumente zusammengestellt: In Tausenden von Briefkastenfirmen in einem Dutzend Steueroasen verheimlichen demnach 330 Staats- und Regierungschefs, sonstige Politiker, Sport- und Kulturprominente ihre Aktivitäten wie Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Betrug, und einige Tausend Geschäftsleute und Milliardäre tun Ähnliches. Ob es sich um Gesetzesverletzungen handelt, ist unklar. Da müssten nun Staatsanwälte ermitteln.

Aus kleinen und fernen Staaten

Die 330 Genannten kommen vor allem aus kleineren Staaten wie Ukraine, Kasachstan, Jordanien, Montenegro, Kenia, Kongo, Katar, Honduras, Panama, Peru. Auch größere und entfernte Staaten wie Indien, Brasilien, Argentinien, Philippinen und Indonesien werden aufgeführt. Westliche Politiker sind Ausnahmen, und die meisten sind nicht mehr im Amt: der britische Ex-Premier Tony Blair, der italienische Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi, der israelische Ex-Vizepremier Haim Ramon, Jerusalems Ex-Bürgermeister Nir Barkat, der Ex-Europa-Kommissar John Dalli. Nur drei amtierende westliche Politiker werden genannt, in kleineren Staaten: Der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra, der tschechische Premierminister Andrej Babiš und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. USA, Deutschland, Frankreich, Kanada, Skandinavien – alles sauber.

Alles normal: Immobilien in London

Bei den westlichen Personen handelt es sich um deren persönliche Geschäfte. So kaufte Tony Blair in Lon-don standesgemäß für umgerechnet 7,5 Millionen Euro eine Immobilie. Immobilien in Großbritannien sind beliebt. So kaufte der jordanische König Abdullah II. hier 14 Häuser, auch von Crown Estate, der Verwaltung des britischen Königshauses. Auch Präsident Ilham Älijew von Aserbaidschan kam im Vereinigten Königreich ohne Probleme an immerhin 27 Liegenschaften.

Tschechiens Babiš kaufte sich ein Schloß in Frankreich. Der niederländische Finanzminister Hoekstra begnügte sich mit Peanuts, er beteiligte sich über seine Briefkastenfirma mit gut 20.000 Euro an einem Touristikunternehmen, zusammen mit Freunden. Also alles normal, nicht wahr?

Aber Putin!

Aber nein: Die medial am heftigsten angeprangerte Gruppe aus einem Staat sind ein gutes Dutzend russischer Geschäftsleute, die als „enge Freunde“ von Präsident Wladimir Putin be-zeichnet werden. Und eine Svetlana Krivonogikh: Sie wurde einst von der Bild-Zeitung als „frühere Geliebte“ Putins präsentiert, gehört seit 20 Jahren im Fürstentum Monaco zum Jetset und wurde nun vom ICIJ pünktlich wieder entdeckt, mit „angeblichen“ 85 Millionen Euro im Briefkasten.

Russische Eigentümer von Briefkastenfirmen waren mal sehr viel besser angesehen, ja umworben. Als der westfreundliche russische Oligarch Michail Chodorkowski, Eigentümer des zusammengerafften Öl-Konzerns Jukos, mithilfe westlicher Berater mehrere westliche Finanzoasen nutzte, wurde er mit Krediten und Beteiligungen überhäuft. Er wurde später, als Putin regierte, in Russland wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Chodorkowski bestritt die Fakten nicht. Aber das für internationale Finanzbeziehungen zuständige private Schiedsgericht im niederländischen Den Haag verurteilte 2014 den russischen Staat zu einem Schadenersatz von 50 Milliarden Dollar an die Aktionäre des zerschlagenen Yukos-Konzerns. Da waren Finanzoasen integraler Teil westlicher Rechtsstaatlichkeit, und keine ICIJ-Investigativler fanden daran etwas Schlechtes.

Und Xi Jinping!

Die größte nationale Gruppe bilden 1892 Chinesen, darunter ein Schwager des Staatschefs Xi Jinping und eine Tochter des Ex-Premiers Li Peng. Aber das ICIJ vermeidet eine klare Unterscheidung: Bei Personen aus Russland und China wird zwar angedeutet, dass die Briefkastenfirmen auch anderen als persönlichen Zwecken dienen. So organisierte das größte chinesische Handelsunternehmen Alibaba den Börsengang in New York über eine Briefkastenfirma. Das war der US- wie der chinesischen Seite bekannt – es ging nicht anders, aufgrund der US-Regeln. Und wenn die chinesische Führung damit die chinesische Volkswirtschaft stärkt und später Alibaba, wie geschehen, regulatorisch ordentlich in die Zange nimmt, dann ist dies etwas anderes als der Schutz, den westliche korrupte Politiker für ihre Privatgeschäfte erhalten. Dass es auch russische und chinesische Neureiche gibt, die heimlich Kapital ins Ausland schaffen, steht auf einem anderen Blatt, und da müsste das westliche Finanzsystem angeprangert werden, dessen Finanzoasen Kunden aus aller Welt professionelle Flucht-Angebote macht.

Es fehlen: Die wichtigsten Finanzoasen

ICIJ nennt am häufigsten die Finanzoasen Panama, die Britischen Jungferninseln, Belize, Monaco und die Seychellen. Der größte Standort von Unternehmens- und Banken-Briefkästen der Welt, der US-Bundesstaat Delaware, wird genausowenig erwähnt wie der größte Kapitalorganisator der Welt, BlackRock, der hier seinen rechtlichen und Steuersitz hat und für einen Teil seiner Kunden hier Briefkästen unterhält. In Delaware haben auch die meisten der 500 US-Unternehmen aus der Forbes- und S&P-Liste ihren rechtlichen und Steuersitz. Neben Delaware fehlen alle weiteren Finanzoasen, die für westliche Konzerne, Banken und Investoren zentral sind. In der EU sind für Steuervermeidung, Kreditvergaben und Lizenzverkäufe die wichtigsten Finanzoasen Irland, Luxemburg und die Niederlande. Hinzu kommen vor allem das britische Überseegebiet Cayman Islands, die britischen Kanalinseln Jersey und Guernsey, Singapur und Malta.

Es fehlt: Deutsche Bank

So unterhält die Deutsche Bank – in der BlackRock zu den führenden Aktionären zählt – viele Dutzend Briefkastenfirmen u.a. in Delaware, Luxemburg, Niederlande und auf den Cayman Islands:

• In Delawares Finanzzentrum Wil-mington die Briefkästen Deutsche Bank Capital Finance LLC I, Deutsche Bank Contingent Capital LLC II, Deutsche Bank Contingent Capital Trust II und vier weitere Dutzend.

• In Luxemburg z. B. die Briefkästen Deutsche Bank Luxembourg S.A., Fiduciary Deposits, Deutsche Bank Luxembourg S.A., Fiduciary Note Programme und vier weitere Dutzend.

• In Irland die Briefkästen Eirles Three Designated Activitiy Company, Eirles Two Designated Acitivity Company und so weiter.*

Es fehlen: Die führenden Kapitalorganisatoren BlackRock & Co.

Es fehlen in der umfangreichen ICIJ-Aufstellung auch die heute führenden Investoren, Kapitalorganisatoren und Vermögensverwalter, denen die wichtigsten westlichen Unternehmen und Banken gehören – auch die fünf größten Wohnungskonzerne in Deutschland. An erster Stelle ist dies heute BlackRock: So hat BlackRock die Aktien im Braunkohle-Konzern RWE namens seiner superreichen Kapitalgeber auf zirka 200 Briefkastenfirmen verteilt, darunter BlackRock Cayman West Bay IV, BlackRock Holdco 3 (Delaware), BlackRock Luxembourg Holdco S.a.r.l., BlackRock (Netherlands) B.V., BlackRock Management Ireland Holdings.

Es fehlt: Der Pate von Delaware, Joe Biden

Mit dem Aufstieg von Delaware zur größten Unternehmens- und Investoren-Finanzoase stieg auch Joe Biden auf, seit 2021 Präsident von „America First“. Biden war von 1973 bis 2009 Senator für den winzigen US-Bundesstaat Delaware. Schon als 29jähriger Wirtschaftsanwalt hatte er sich um dieses Amt beworben und hielt es 35 Jahre lang. Die Zahl der Briefkastenfirmen in Bidens homeland ist mindestens doppelt so hoch wie die Zahl der Wahlberechtigten. Biden stimmte als Senator in Washington bei wichtigen Deregulierungen des Finanzsektors immer mit den Republikanern ab. Zur größten Finanzoase gehört auch eine extrem „liberale“ Unternehmensverfassung mit extrem geringer Haftung, geringer Publizitätspflicht und einer dazu gehörenden Justiz.

Und so wurden 2021 drei Top-Manager von BlackRock Mitglied der US-Regierung. Biden machte Brian Deese, Chef der BlackRock-Abteilung für weltweit nachhaltiges Investieren, zum Direktor des Nationalen Wirtschaftsrats. BlackRocks-Chef Lawrence Fink ist ja der Sprecher des westlichen Weltkapitals für „Nachhaltigkeit“. Und „Nachhaltigkeit“ soll auch das Markenzeichen der neuen Regierung werden. Wally Adeyemo wurde stellvertretender Finanzminister. Michael Pyle ist jetzt Chefökonom der Vizepräsidentin Kamala Harris.

Pandora Papers: Von Soros‘ Open Society Foundations finanziert

Wie schon die Panama Papers und Paradise Papers wurden auch die Pandora Papers vom ICIJ koordiniert. Zu den assoziierten Medien gehören vor allem sich als „liberal“ gebende Medien wie die New York Times (USA), Guardian und BBC (Großbritannien), Asahi Shimbun (Japan), die Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR (Deutschland). Die Millionensummen für die aufwendigen internationalen Recherchen und die Koordination durch die ICIJ, Sitz in Washington, kommen von den Open Society Foundations des bekannten Großspekulanten und US-Multimilliardärs George Soros. Er finanzierte die Öffnung ganzer Staaten Osteuropas für die westlichen „Werte“ und Investoren mit Hilfe zahlreicher „bunter Revolutionen“ und mit Hilfe von Stipendien für Journalisten, Oppositionsgruppen und Jungpolitiker, zum Beispiel für Viktor Orban, der dann zum Ministerpräsidenten Ungarns aufstieg.

Solange „Enthüllungen“ im Stile von ICIJ so ausfallen wie jetzt wieder die Pandora-Papers, dienen sie nicht der Aufklärung, sondern der Gegen-Aufklärung: Greenwashing des westlichen Finanzsystems und Hetze gegen die von der US-Regierung vorgegebenen Hauptfeinde Russland und China.

G20/Olaf Scholz: Globale Mindeststeuer für Unternehmen?

Die ICIJ-„Enthüllungen“ braucht auch der deutsche Bundeskanzler nicht zu fürchten. Olaf Scholz rühmt sich der Vereinbarung der G20-Staaten über eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent für große Unternehmen. 136 Staaten haben sich dem angeschlossen. Bringt das eine Verbesserung für die überschuldeten Staatshaushalte des kapitalistischen Westens? Endlich erfolgreicher Kampf gegen die Finanzoasen? Nein, es sieht nicht so aus.

Erstens: Bisher liegen die Steuersätze für Kapitalgesellschaften in den wichtigsten kapitalistischen Staaten wie USA und Japan bei 30 Prozent, in Deutschland bei 27, in Frankreich und Kanada bei 26, in Belgien, Niederlande und Österreich bei 25 und in Italien bei 24 Prozent. Und die neuen 15 Prozent von G20/Scholz schließen genau an den gegenwärtig untersten Wert von 15 Prozent an, der in der traditionellen Finanzoase Schweiz gilt.

Über diese 15 Prozent können sich Amazon, Apple, Google, Facebook, Microsoft, VW, Schaeffler, Audi, BMW und vor allem BlackRock & Co. sehr freuen, die auch schon die niedrigeren Steuersätze in Irland (12,5 Prozent) und Ungarn (9 Prozent) nutzen und auch die sowieso mithilfe der genannten Finanzoasen umgehen.

Zweitens: Alle wichtigen Finanzoasen für die großen Unternehmen, Banken und Investoren bleiben unangetastet, ungenannt. Der großartige G20-Scholz-Plan kann sich auf die gleichzeitig aktualisierte „Schwarze Liste“ der Finanzoasen der EU vom 22. Februar stützen: Dort sind nach jahrzehntelanger Diskussion nur noch die allerkleinsten Finanzoasen für die gehobenen Kleinkriminellen enthalten: Anguilla, Dominica, Fidschi, Guam, Palau, Panama, Samoa, Seychellen, Trinidad&Tobago, Vanuatu.

Diese EU-Liste deckt sich weitgehend mit der Liste der ICIJ-Enthüller – und gewiss auch mit der Liste der BlackRock-Manager in der US-Regierung von Joe Biden.

Von Werner Rügemer erschien zuletzt: BlackRock & Co. enteignen! Auf den Spuren einer unbekannten Weltmacht. 176 Seiten, Nomen Verlag Frankfurt/Main, 12 Euro.

* Beteiligungsverzeichnis der Deutschen Bank, letzte Veröffentlichung 2019