Fläche: 6,5 Quadratkilometer
Einwohnerzahl: 34.571
Amtssprache: Englisch
Staatsform: Britisches Überseegebiet
Staatsoberhaupt: Königin Elisabeth II
Nationalhymnen: God Save the Queen; Gibraltar Anthem
[Kurze Einführung]
Gibraltar: Weit mehr als nur ein Affenfelsen
Viele Menschen kennen Gibraltar wegen der großen Berberaffenpopulation. Nirgendwo sonst in Europa lassen sich Affen in freier Wildbahn beobachten und außerdem füttern. Eine Legende besagt, dass die an Spanien angrenzende Halbinsel so lange britisches Eigentum sein wird, wie noch ein Berberaffe den Fels bevölkert. Winston Churchill ließ aus diesem Grund neue Berberaffen nach Gibraltar einführen, um die Population zu sichern.
Gibraltar war über Jahrhunderte hinweg umstrittenes und umkämpftes Gebiet. Araber, Berber, Holländer, Briten und Spanier beanspruchten zeitweise den Felsen. Großbritannien und Spanien tun dies immer noch. Der geplante EU-Austritt Großbritanniens hat die Spannungen zwischen beiden Ländern wieder hochkochen lassen. Nur mühsam konnte ein brüchiger Kompromiss gefunden werden, der im Fall eines „No Deal“-Brexit allerdings hinüber sein könnte.
Die Einwohner Gibraltars haben britische, spanische, italienische oder portugiesische Herkunft. Alle von ihnen haben einen britischen Pass. Die große Mehrheit der Bevölkerung sieht sich als britisch und hat dies in verschiedenen Volksabstimmungen immer wieder bestätigt. Das war zum Beispiel 2002 der Fall, als 99% der Abstimmenden für einen Verbleib unter britischer Herrschaft stimmten. Gleichzeitig haben 95 Prozent der Einheimischen bekundet, in der EU bleiben zu wollen. Nur 4,1 Prozent wollten den Brexit. Somit wird die Felsenhalbinsel zum Spielball geopolitischer Machtspiele. Das war allerdings schon immer der Fall.
Gibraltar: Militärstützpunkt und Steueroase
I>Fast wäre er an Gibraltar gescheitert, der Entwurf des EU-Austrittsvertrages. Spanien drohte wegen der Halbinsel sogar mit einem Boykott des EU-Gipfels vom 25. November 2018, auf welchem die 27 EU-Staaten (also alle außer Großbritannien) dem Entwurf zustimmten. Nur durch den Beschluss eines Zusatzprotokolls machte Spanien doch noch mit. Darin wurde vereinbart, dass sich Großbritannien und Spanien auch nach dem Brexit einig darüber sind, dass sie sich bezüglich des Affenfelsens uneinig sind. Das ist natürlich alles viel umständlicher formuliert. Mit geschwurbelten Sätzen wird dargelegt, dass der Brexit an der bestehenden Situation nichts ändert. Weder britische noch spanische Ansprüche werden im Vertragsentwurf bestätigt oder verworfen.
Spanien kämpft schon seit Jahrhunderten für Gibraltar. Fast nichts wird unversucht gelassen. Im 18. Jahrhundert versuchte Spanien drei Mal vergeblich, die Halbinsel durch Belagerungen zu erobern. Die Grenze zum spanischen Festland wurde von Spanien von 1969 bis 1985 blockiert. Franco probierte es nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit einer Annektierung Gibraltars, die aber scheiterte.
Gibraltar hat einen Flughafen. Der steht auf von Spanien beanspruchtem Gelände. Spanien bezieht sich dabei auf einen Friedensvertrag aus dem Jahr 1713, welcher genau festlegt, welche Teile Gibraltars zu Großbritannien gehören. Immerhin darf Spanien den Flughafen heute mitbenutzen. Linienflüge zwischen Gibraltar und Spanien gibt es aber erst seit 2006. Heute ist der Flughafen ein wichtiger Arbeitsplatz auch für aus Spanien nach Gibraltar pendelnde Beschäftigte.
In den 2000er Jahren kam es immer wieder zu Zwischenfällen. Britische Militärschiffe beschossen spanische Bojen im Mittelmeer, zu Trainingszwecken, wie man sagte; aus Spaß, wie manche vermuteten. Zu einem anderen Zeitpunkt verhafteten gibraltesische Polizisten spanische Polizisten, die Schmuggler nach Gibraltar verfolgt hatten, um diese dort festzusetzen. Allein dieser Vorfall birgt reichlich Potential für Agentenkomödien. Die Machtspiele zwischen bürgerlichen Staaten haben schon eine Tendenz zum Absurden.
Hier sieht man übrigens auch, dass es gar nicht so ungewöhnlich ist, dass NATO-Partner langwierige Fehden miteinander ausfechten. Zwar ist die Kriegsgefahr zwischen Spanien und Großbritannien äußerst gering, viel geringer als etwa zwischen Griechenland und der Türkei. Doch unterschwellig besteht sie, und beide am Konflikt beteiligten Staaten lassen in mehr oder weniger regelmäßigen Zeitabständen die Muskeln spielen.
Warum hält Großbritannien an einem dämlichen Felsen fest, den man bestenfalls für ein Relikt längst vergangener kolonialer Zeiten halten könnte? Was ist so besonders an einer Halbinsel, die international vor allem für den Massentourismus bekannt ist?
Da ist zum einen die geografische Lage. Wer Gibraltar beherrscht, kontrolliert damit auch die dazugehörige Meerenge, und somit einen wichtigen Teil des Mittelmeeres. So kann man auch Spanien in die Zange nehmen. Das wussten schon arabische Eroberer, die hier im Jahr 711 ihren ersten Brückenkopf für die spätere Eroberung Spaniens einrichteten. Bis zur Reconquista im Jahr 1462 blieb Gibraltar muslimisch.
Heute hat das britische Militär eine starke Präsenz auf Gibraltar. Genaugenommen ist die Halbinsel eine regelrechte Festung. Der Felsen ist durch 50 Kilometer lange Tunnelanlagen fast völlig ausgehöhlt. Im Zweiten Weltkrieg hat sich hier die britische Armee eingegraben, um eventuellen Landemanövern der deutschen Wehrmacht begegnen zu können. 15.000 Soldaten wurden hier seinerzeit stationiert. Schon 300 Jahre hat die britische Armee hier eine Präsenz. Bis heute existiert dort ein Infanterieregiment. Neben zeremoniellen Zwecken steht es auch für Auslandseinsätze zur Verfügung, beispielsweise in Irak und Afghanistan.
Der Marinestützpunkt auf Gibraltar ist ein wichtiger Zwischenstopp für Truppenbewegungen in Richtung des Nahen Ostens, sowie Marinemissionen im Mittelmeer. Gibraltar beherbergt die meistgenutzte Schiffstankstelle der Welt. Tausende Schiffe versorgen sich hier jedes Jahr mit Treibstoff für die Weiterfahrt. Sowohl für die zivile als auch die militärische Seefahrt stellt Gibraltar somit eine wichtige Schnittstelle dar. Kein Schiff kommt an Gibraltar vorbei, ohne dass die britische Marine dies mitbekommt. Wenn sie will, kann sie die Durchfahrt von Schiffen verhindern. Allein dieser Fakt ist für Spanien ein wunder Punkt.
Auch für die britische Luftwaffe ist Gibraltar relevant. Der Flughafen von Gibraltar ist eigentlich ein Luftwaffenstützpunkt, der auch für die zivile Luftfahrt freigegeben ist. Von hier sind verschiedene Länder des Nahen Ostens für die Luftwaffe direkt anfliegbar. Missionen zur Eindämmung der russischen Luftwaffe werden ebenfalls von hier gestartet. Zusätzlich sind Lausch- und Abhörstationen auf Gibraltar positioniert. Sie richten sich ebenfalls gegen Russland und nahöstliche Staaten.
Die militärische Bedeutung Gibraltars für Großbritannien wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit herausgestrichen. Am 4. September sagte der „Chief Minister“ Gibraltars dem Onlineportal „forces.net“: „Man kann Gibraltar nicht ohne die britischen Streitkräfte und ohne die königliche Marine denken. Und man kann auch die britischen Streitkräfte nicht ohne Gibraltar denken.“
Neben der militärischen Bedeutung gibt es noch einen finanzpolitischen Aspekt. Dieser ergibt sich aus dem Status als „britisches Überseegebiet“. Britische Überseegebiete sind die Bestandteile von dem, was der Finanzjournalist und Autor des Buches „Treasure Islands“, Nicholas Shaxson, als „zweites Imperium“ bezeichnet. Dieser Begriff bezeichnet das weit verzweigte und aus der City of London gesteuerte Netzwerk von Steueroasen in den Kronkolonien und britischen Überseegebieten. Ein berühmtes Beispiel sind die Cayman Islands. Großbritannien nutzt diese Territorien, um internationale Steuerhinterziehung zu ermöglichen und so Profite für in Großbritannien angesiedelte Großbanken zu erwirtschaften.
Gibraltar ist Teil dieses Netzwerkes. In der Rangliste der wichtigsten Finanzzentren weltweit belegt Gibraltar Platz 66. Das Offshore-Finanzwesen generiert rund ein Viertel des britischen Bruttoinlandproduktes. Daneben boomt die Glücksspielindustrie. Zahlreiche international tätige Anbieter von Online-Sportwetten sowie Casinos haben sich hier niedergelassen. Ohne den Status als britisches Überseegebiet könnte dieses Geschäftsmodell auf Gibraltar nicht funktionieren. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die überwiegende Mehrheit der Lokalbevölkerung bei Großbritannien bleiben möchte, obwohl nur eine Minderheit der dort lebenden Menschen britische Wurzeln hat.
Gibraltar und der Nordirlandkonflikt
Gibraltar ist ein Beispiel für den langen Schatten, den teilweise Jahrhunderte zurückliegende Ereignisse werfen können. Imperiale Kriegszüge der Vergangenheit färben in vielen Weltgegenden die Politik der Jetztzeit. Viele Auseinandersetzungen im Nahen Osten haben ihre Wurzeln in der Besatzung durch das britische Empire. Gibraltar ist bis heute vom britisch-spanischen Territorialkonflikt gezeichnet.
Doch auch eine andere Erbschaft des Empire hinterließ hier ihre Spur. Am 6. März 1988 kam der Nordirlandkonflikt nach Gibraltar. An diesem Tag erschoss dort ein Kommando der britischen militärischen Spezialeinheit SAS drei Aktivisten der nordirischen republikanischen IRA. Dieser Vorgang gilt als Beweis dafür, dass der britische Staat im Nordirlandkonflikt eine „shoot to kill policy“ gegenüber der IRA verfolgt und somit Todesschwadronen gegen diese eingesetzt hat. Die SAS-Aktion auf Gibraltar gibt somit Aufschlüsse darüber, wie weit die im Großbritannien Herrschenden bereit sind zu gehen, um ihre Interessen zu verteidigen.
Man kann die Vorgänge rund um diesen Vorfall auch nutzen, um Parallelen zu Ungereimtheiten rund um heutige Terroranschläge zu ziehen. Die britische Regierung rechtfertigt die SAS-Aktion bis heute damit, dass akute Gefahr im Verzug bestanden habe. Die Mitglieder der SAS-Einheit hätten laut der offiziellen Darstellung davon ausgehen müssen, dass die IRA-Aktivisten unmittelbar vor der Zündung einer Autobombe gestanden hätten. Deren Tötung sei somit gerechtfertigt gewesen, um unschuldige Leben zu retten.
Tatsächlich hatte die IRA einen Anschlag auf eine Zeremonie von auf Gibraltar stationierten britischen Militäreinheiten mittels einer Autobombe geplant. Dieser Anschlag hätte mit ziemlicher Sicherheit nicht nur das Leben vieler einfacher Soldaten, sondern auch von vielen völlig unbeteiligten Menschen aus der lokalen Zivilbevölkerung gekostet. Der Anschlag war als Aktion ohne Vorwarnung geplant. In den 1980er Jahren führte die IRA eine Bombenkampagne in Großbritannien durch, warnte aber in der Regel vorher telefonisch vor einer kommenden Explosion. Für den Anschlag auf Gibraltar war das nicht angedacht.
Allerdings wurden die Mitglieder des IRA-Kommandos seit ihrer Ankunft in Spanien sowohl von spanischen als auch britischen Polizeieinheiten beschattet. So wussten die staatlichen Behörden beider Länder minutiös über alle Bewegungsabläufe der drei IRA-Kämpfer Bescheid. Sie wussten damit auch, dass ein mit Sprengstoff beladenes Auto in der spanischen Küstenstadt Marbella bereitstand, diese aber noch nicht verlassen hatte.
Hätte man das IRA-Kommando lebendig fangen wollen, man hätte jederzeit die Gelegenheit dazu gehabt. Doch weder die spanische noch die britische Polizei trat in Aktion. Stattdessen wurde auf direkten Befehl Thatchers ein SAS-Spezialkommando nach Gibraltar eingeflogen. Dieses Kommando feuerte 27 Schüsse, darunter direkte Kopfschüsse, auf die IRA-Leute ab. Einige dieser Kopfschüsse wurden aus nächster Nähe abgefeuert, nachdem die drei Männer bereits tot waren. Man wollte absolut sicher gehen, dass es keine Überlebenden gibt. Direkt nach der Aktion wurde die SAS wieder ausgeflogen.
Dem britischen Staat ging es darum, ein Zeichen zu setzen. Dieses Zeichen richtete sich hauptsächlich gegen die IRA, wurde und wird aber auch von linken britischen Aktivisten verstanden, die nichts mit den terroristischen Methoden der IRA gemein hatten und haben. Wer dem britischen Staat zu gefährlich wird, spielt mit seinem Leben. Für die Verteidigung von Krone, Steueroasen und Neoliberalismus sind die Herrschenden bereit zu töten.