Linker Corona-Alarmismus ohne Evidenz

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Die „Quartalslüge“ der Lunapark-Ausgabe Nr. 52 hatte es in sich. Da wurde nach dem einleitenden Glaubenssatz, wonach es eine Lüge sei, dass der Mensch künftig mit dem Corona-Virus leben müsse, Alarmismus der herrschaftlichen Machart betrieben.

Man mag daran glauben, dass ausgerechnet Sars-CoV-2, anders als unzählige andere, ähnliche Viren vollständig ausgerottet werden kann; dahinter mag die dystopisch anmutende Vorstellung einer Sterilisierung menschlichen Lebens mit möglichst antiseptisch ausgerichteten menschlichen Beziehungen stehen; all das mutet zwar skurril an, wurde aber in der besprochenen Quartalslüge noch von einer statistischen Zusammenschau getoppt, die Corona-Tote quer über den Globus nach Gesamt- und Prozentzahlen durcheinanderschmiss. Ohne Inbezugsetzung wurden Todeszahlen aneinandergereiht und damit den täglichen Infektionsgrafiken der „Tagesschau“ ein Lunapark-eigener Alarmismus hinzugefügt. Taiwan vor Vietnam und China, lauteten die Sieger im globalen Rennen um die niedrigsten Opferzahlen; das Schlusslicht bildete Belgien. Dort starben laut dieser Tabelle 4800 Mal (!) mehr Menschen an oder mit dem Corona-Virus als in Taiwan, Deutschland lag irgendwo dazwischen.

Was völlig fehlte, waren Relationen außerhalb des blanken Ländervergleichs an Leichenzählung, z.B. das Verhältnis von Corona-Toten zu Gesamt-Sterbefällen, die nach Ländern unterschiedliche Zählweise, welche Toten warum als Corona-Tote in die Statistik eingehen (Stichwort „mit“ oder „an“), das sehr unterschiedliche Durchschnittsalter der Bevölkerungen (Deutschland: 42,1 Jahre; Ruanda 16,8 Jahre – kein Wunder, wenn die Lunapark-Statistik Ruanda zu einem Vorzeigeland macht, weil dort kaum mehr alte Menschen leben, die Viruserkrankungen leichter zum Opfer fallen).

Alles in allem: eine unseriöse Zusammenstellung. Dass diese nicht einer schlampigen Aufarbeitung der Corona-Krise zuzuschreiben war, zeigte bald darauf die Gründung von „Zero-Covid“, an der der Quartalslügen-Gestalter führend beteiligt war. Über diese Initiative ist zwischenzeitlich viel geschrieben und viel Kritik geübt worden. Anstatt den Ausnahmezustand eines bürgerlich-kapitalistischen Staates zu kritisieren, fordert Zero-Covid dessen Ausweitung und Übertreibung, mithin mehr vom Schlechten. Man unterstützt damit indirekt die Hardliner in der immer autoritärer auftretenden CDU/CSU-SPD-Regierung in Deutschland und der ÖVP-Grünen-Regierung in Österreich; und gibt andererseits in wirtschaftspolitischer Hinsicht Flankendeckung für einen staatlichen Corona-Keynesianismus im Dienste einer kybernetischen Wende. Mittels eines gigantischen staatlichen Investitions- und Geldausschüttungsprogramms sollen neue Leitsektoren wie Biotechnik, Pha rma, Medizin und Kontrollindustrien die strukturelle kapitalistische Verwertungskrise, die seit 2008 unübersehbar geworden ist, überwinden helfen. Der Lockdown dient als Trägerrakete zur ökonomischen Umstrukturierung.

Dass „Zero-Covid“ die eingemahnte Verschärfung des Lockdowns mit dem Adjektiv „solidarisch“ versieht, ist weltfremd und verkennt völlig, dass die Schere zwischen Arm und Reich gerade im Lockdown auseinandergeht. Übrigens: Wäre „Zero-Covid“ eine linke Antwort auf den herrschenden Ausnahmezustand, dann hätte man anstatt der Forderung nach härteren Einschränkungen einen Aufruf zum Generalstreik gegen den Ausnahmezustand stellen müssen (Die mediale Reaktion wäre dann allerdings eine andere gewesen).

Um die „Quartalslüge“ im Lunapark-Heft Nr. 52 ist redaktionsintern ein heftiger Streit ausgebrochen. Neben der von mir oben beschriebenen Kritik ging es zuletzt und zugespitzt um die Frage der Übersterblichkeit. Mit einer solchen, so die Befürworter eines harten Lockdowns, wäre der Beweis für dessen Notwendigkeit erbracht. Mittlerweile sind die Daten zu den Sterbefällen in Deutschland für das Jahr 2020 vorhandenen. Demnach starben im Corona-Jahr 982.489 Menschen, das waren um 27.615 mehr als im Grippejahr 2018. Übersterblichkeit! So einfach ist die Lesart der Statistik freilich nicht.

Lassen wir einmal beiseite, an welchen Krankheiten die Menschen gestorben sind, wie viele z.B. als sogenannte medizinische Kollateralschäden der Corona-Maßnahmen nicht operiert werden konnten, wie viele sich scheuten, ins Krankenhaus zu gehen … mit einem Wort: ob diese „Übersterblichkeit“ ausschließlich auf das Virus zurückzuführen ist. Auch wäre die Frage zu stellen, inwieweit Lockdowns überhaupt zu einer Reduktion der Ansteckungsrate führen, was eine Stanford-Studie von John Ioannidis bezweifelt. Diese Debatten können wir hier im Moment nicht führen.

Wenden wir uns den statistischen Daten zu. Unbestritten ist, dass die „Übersterblichkeit“ – und ich setze sie weiter unter Anführungszeichen – ausschließlich in der Alterskohorte der über 80-Jährigen zu verzeichnen ist. Von den 0 bis 79-Jährigen starben im Jahr 2020 um 12.100 Menschen weniger als im Grippejahr 2018. Das ist bemerkenswert und bestätigt auch die Wahrnehmung, dass fast 50 Prozent der Corona-Toten in Altenheimen verstorben sind. Das „Todesvirus“ war also vor allem für die sehr alte Bevölkerung tödlich.

Der Vergleich von Sterberaten unter spezifischen Altersgruppen macht ohne Altersstandardisierung keinen Sinn. Wenn man allerdings eine solche Relation vornimmt, das heißt, das Anwachsen oder Schrumpfen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe (wie der Alten) miteinbezieht, dann kann man für das Jahr 2020 nicht einmal mehr von einer Übersterblichkeit bei den Alten reden. Zwischen 2015 und 2019 (der bislang letzten veröffentlichten Statistik) wuchs die Zahl der Menschen über 80 Jahre in Deutschland von 4,73 Millionen auf 5,68 Millionen, mithin um fast 20 Prozent. Vom Statistischen Bundesamt erfährt man, dass in den vergangenen Jahren durchschnittlich 10,3 Prozent der SeniorInnen über 80 verstarben. Nimmt man diese Bezugsgröße für das Corona-Jahr, dann wäre zu vermuten gewesen, dass bei einem Anwachsen der Alterskohorte der über 80-Jährigen um 950.000 Personen (auf 5,680.000) seit 2015 98.000 Todesfälle mehr zu verzeichnen gewesen wären. Das wa r aber nicht der Fall. Das Statistische Bundesamt verzeichnet für 2020 83.500 mehr Sterbefälle, was eine gesamte Sterberate der alten Population (über 80) von 10,15 Prozent ergibt. Damit liegt diese zwar über der von 2019 (9,96 Prozent), aber um 0,33 Prozent unterhalb jener von 2018 (10,48 Prozent). Die Erzählung von der 2020er-Übersterblichkeit in Deutschland hält einer genaueren Analyse also nicht stand. Alarmismus ist nicht angebracht.

P.S.: Die Gefährlichkeit des Corona-Virus darf darob freilich nicht in Abrede gestellt, ihre Instrumentalisierung für den Ausbau eines autoritären Überwachungsstaates muss allerdings bekämpft werden.

Hannes Hofbauer ist Mitglied der Lunapark21-Redaktion und Geschäftsführer des Unternehmens.

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