Wir müssen nicht mit dem Virus leben

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In Heft 52 wurde eingangs die Kanzlerin zitiert mit „Das Corona-Virus ist […] eine Naturkatastrophe“, was „wohl nur einmal pro Jahrhundert“ vorkomme. Und: „Wir müssen mit dem Virus leben.“ Dann heißt es: „Das ist eine Quartalslüge“. Dies wurde belegt mit dem Verweis auf die RKI-Studie 2013 (= angekündigt), mit dem Verweis auf Zoonose (= menschengemacht) und mit dem Verweis auf Zahlen zu „neun Staaten“, in denen die Corona-Toten je 100.000 Menschen „bei einem Zehntel der Corona-Toten in Deutschland und bei einem Achtzehntel der Corona-Toten in Österreich“ lägen (= man muss nicht „mit dem Virus leben“).

In der mit abgedruckten Tabelle wurden, anstatt Zahlen durcheinander zu werfen, sechs Ländergruppen gebildet. Um die Debatte transparent zu führen, wird hier die Tabelle in der Struktur (nach Ländergruppen) identisch, jedoch mit drei Veränderungen erneut gebracht: 1. aus Platzgründen sind die Zahlen für März bis Oktober 2020 nicht enthalten. 2. ist die Tabelle bis zum 28.2.2021 aktualisiert. 3. enthält die Tabelle auch die Zahlen für das relativ vorbildliche Land Australien.

Es werden bewusst nicht die Infektionen und keine Inzidenz-Werte dargestellt, weil hier die unterschiedlichen Erhebungsmethoden (z.B. die Zahl der Tests) eine große Rolle spielen. Es wird bewusst auch kein ausschließlicher Akzent auf die absoluten Zahlen gelegt, um den Vorwurf des Alarmismus zu meiden. Gewählt wird die Zahl der Menschen, die an und mit Corona starben bezogen auf 100.000 Menschen. Wobei ein Bezug auf die Sterbefälle insgesamt absurd wäre. Niemand vergleicht die 3000 Straßenverkehrstoten mit der Zahl der 950.000 Gestorbenen insgesamt und argumentiert, das seien ja nur 0,3 Prozent.

Wobei die „an und mit“-Diskussion bei den Corona-Toten überholt ist. Erstens weil niemand sagt, Menschen seien „an und mit Krebs“, „an und mit einem Autounfall“ etc. gestorben. Zweitens weil Untersuchungen ergaben, dass bei rund 90 Prozent der obduzierten Corona-Toten die Virus-Erkrankung als entscheidend erachtet wurde. Drittens, weil es eine große Dunkelziffer bei den tatsächlichen Corona-Toten gibt. Wiedergeben sind schließlich in der Tabelle die offiziellen Zahlen (siehe die Quellen unter der Tabelle). Auch ist die Gruppenbildung nicht willkürlich. Natürlich ist ein Vergleich der vier skandinavischen Länder und dann die Frage spannend, warum es in Schweden zehnmal mehr Corona-Tote gibt als in Finnland oder Norwegen. Richtig: Ruanda fällt aus dem Rahmen. Da ist ein Vergleich mit Südafrika interessant, wo die Bevölkerung ähnlich jung ist. Ergebnis: In Südafrika liegt die Zahl der Corona-Toten je 100.000 Einwohner bei 83,7; sie i st 42mal höher als in Ruanda (Stand: 28.2.2021).

Damit unterstreiche ich, was mit der Heft-52-Quartalslüge gesagt wurde, auf zwei Ebenen:

Es gibt eine enorme Diskrepanz bei den Pandemie-Auswirkungen in einzelnen Ländern. Rund ein Viertel der Weltbevölkerung lebt seit Mitte 2020 nahe Zero und kann auch längst wieder ein relativ normales Alltagsleben führen. In der Tabelle aufgeführt sind neun (von insgesamt mehr als 15) solcher relativ vorbildlichen Länder. Die Methoden, wie dies erreicht wurde, sind unterschiedlich. Gewaltige Erfolge können – teilweise auch ohne oder nur mit begrenzten Lockdowns – dort erzielt werden, wo der gesellschaftliche Zusammenhalt groß und die Einsicht in die Gefährlichkeit des Virus gut kommuniziert wurde (siehe z.B. zu Kuba S.32). Ganz sicher aber ist allen Vorbild-Ländern gemein: Die Epidemie wird sehr ernstgenommen; alle Infektionen werden exakt registriert und verfolgt.

Die Corona-Pandemie hat sich seit Heft 52 erschreckend gesteigert – vor allem in den Ländern, die – wie Deutschland und Österreich – die Jojo-Lockdown-Politik befolgen (und aktuell verantwortungslos wieder lockern): Die Zahl der Corona-Toten, die es im 3-Monatszeitraum 30.11. bis 28.2.2021 gab, ist im Fall Deutschland 3,3 mal größer als die Corona-Toten-Zahl im 9-Monats-Zeitraum März-November 2020. Wobei die Armen, Alten, prekär Lebenden zehnmal öfter als die Gutsituierten und Reichen von schwerer Erkrankung und Tod betroffen sind. Corona-Politik ist unsoziale und Klassenpolitik. Alle Großbetriebe produzieren zu 100 Prozent. Millionen Kleinbetriebe sind dicht. Profisport ja. Kunst und Kultur nein. Kreuzfahrtschiffsfahrten ja. Veranstaltungen, Kino und Theater nein.

Bilanz: Erforderlich ist das Engagement von Humanistinnen und Humanisten zur Bekämpfung der Epidemie. Notwendig ist die Solidarität der Linken mit den Betroffenen.

PS: Von Übersterblichkeit war nirgendwo in Heft 52 die Rede. Von einer solchen gehen allerdings alle Instanzen, die für professionelles Rechnen bekannt sind, aus. So das Statistische Bundesamt. Besonders deutlich beim Ländervergleich z.B. für Sachsen und Thüringen, wo die Übersterblichkeit im Dezember 2020 und Januar 2021 bei mehr als 30 Prozent lag. https://service.destatis.de/DE/bevoelkerung/sterbefallzahlen_bundeslaender.html

PPS: Zero Covid wurde am 12. Januar 2021 gegründet. Das Projekt wird bewusst aus dem LP21-Kontext herausgehalten (siehe Editorial).