Champagner-Politik für alle!

Wie Reichtum und Macht in der Corona-Krise vermehrt werden

Wir stecken am Jahreswechsel 2020/2021 immer noch inmitten der schwersten sozialen, gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Welt-Bruttoinlandsprodukt sank 2020 um mehr als fünf Prozent. In wichtigen Industrieländern wie Frankreich, Italien und Spanien liegt der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei zehn und mehr Prozent. Hätte es in China nicht ein bescheidenes BIP-Wachstum in Höhe von anderthalb Prozent – und damit ein erneutes Abstützen der westlichen Ökonomien durch fortgesetzten Export in die VR China – gegeben, wäre der Absturz noch dramatischer ausgefallen. Vergleichbare Einbrüche – oder, im Fall der VR China: einen vergleichbaren Rückgang der BIP-Wachstumsrate – gab es auch in der Weltwirtschaftskrise 2007-2009 nicht.

Doch diese Krise ist bislang und im Gegensatz zur vorausgegangenen vor zwölf Jahren von zwei Besonderheiten gekennzeichnet: erstens einem Verharren der Aktienkurse auf hohem Niveau, verbunden mit einem weiteren Anstieg der Immobilienpreise. Und zweitens einem nochmals beschleunigten Reicher-Werden der Reichen und Vermögenden.

Finanzwelt Zu Beginn der neuen Krise reagierten die Börsen klassisch: Die Kurse rauschten im Februar und März 2020 nach unten: Es gab Einbrüche von 30 und mehr Prozent. Doch danach begann an allen Märkten ein fast ungebrochener Anstieg. In Europa liegen die Aktienindizes im Dezember weitgehend auf dem Niveau der Höchststände vom Ende 2019. An der Wallstreet kletterte der Dow Jones im Dezember sogar auf ein Allzeithoch von mehr als 30.000 Punkten. Er lag damit um gut sieben Prozent über dem Höchststand vom Dezember 2019. Auch der Immobilienboom hält weiter an. Hier war 2020 sogar keinerlei Einbruch festzustellen. 2019 kostete ein Einfamilienhaus in den USA im Durchschnitt 279.000 Dollar, im Oktober 2020 waren es bereits 310.600 Dollar. In Deutschland stiegen die Immobilienpreise im Corona-Jahr 2020 erneut deutlich an; in den Städten München und Frankfurt/M. sogar um acht Prozent. Als Erklärung für diese ungewöhnliche Entwicklung des Finanzs ektors nennt Larry Fink, der Chef von BlackRock, dem mächtigsten Vermögensverwalter der Welt, das „beherzte Eingreifen der Zentralbanken und Regierungen“. Die Schweizer Bank UBS führt dies auf „die umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen zurück, mit denen die Wirtschaft und die privaten Haushalte vor den unmittelbaren Folgen der Pandemie […] geschützt und entsprechend entschädigt wurden.“1

Akkumulation von Reichtum Seit zwei Jahrzehnten erleben wir einen Prozess der Akkumulation von individuellem Reichtum, wie es ihn auf globaler Ebene noch nie gab. Das addierte Vermögen der Milliardäre – derzeit ein Kreis von 2200 Personen – lag laut Berechnungen der Großbank UBS in den Jahren 1998 bis 2002 nahe einer Billion. 2007 waren es sieben Billionen. In den Folgejahren gab es einen deutlichen Einbruch; erst 2010/2011 wurde das 2007er Niveau wieder erreicht. Seither gibt es kein Halten: 2017 waren es neun Billionen. Und ausgerechnet im Corona-Jahr 2020 stieg dieses Vermögen nochmals auf aktuell rund zehn Billionen Dollar an. Die Vermögenssteigerungen bei einzelnen Personen wie Jeff Bezos von Amazon (189 Milliarden Dollar reich), Bill Gates (Alphabet; 124 Mrd. Dollar), Elon Musk (Tesla; 103 Mrd. Dollar) und Mark Zuckerberg (Facebook; 100 Mrd. Dollar) sind hinreichend bekannt. Das Reicher-Werden dieser Milliardärs-Gruppe übersteigt das Wachstum der Welt wirtschaft im genannten Zeitraum 2000 bis 2020 um mehr als das Fünffache. Es steht auch in einem krassen Widerspruch zur anhaltenden Armut in großen Teilen der Welt und zu dem wachsenden Heer von prekär Lebenden in der westlichen Welt. Oxfam bringt das wie folgt auf den Nenner: „Die weltweit 2153 Milliardäre besitzen inzwischen so viel wie 60 Prozent der Weltbevölkerung.“ In seinem höchst lesenswerten neuen Buch beschreibt Thomas Piketty diesen Vorgang im Detail.2

Es liegt im Bereich der Spekulation, ob es 2021 bei dieser fragilen Kluft zwischen einer krisenhaften Realwirtschaft und einem stabilem Finanzsektor bleibt oder ob es doch zu einem Finanzcrash kommt. Es ist kaum vorstellbar, dass das aktuelle Modell der Weltwirtschaft mit diesem unglaublichen Pampern der großen Unternehmen, Banken und Reichen durch Staatsschulden und Steuergelder stabil bleibt. Zumal diese Krise zu einer enormen Umstrukturierung der weltweiten Kräfteverhältnisse führen wird, mit einem nochmals schnelleren Aufstieg der Wirtschaftsmacht China und einem auch unter US-Präsident Biden verstärkten Handelskrieg – die massive fortgesetzte Aufrüstung gegen die VR China inbegriffen.

Der gewaltige individuelle Reichtum dient natürlich nicht primär dem privaten Luxus dieser Personengruppe. Mit ihm werden insbesondere die Kapitalsammelstellen gespeist, die damit ihre Macht in der Realwirtschaft – das Hineinwirken in Konzerne und Banken – ausbauen. Es entwickelt sich eine informelle Weltregierung dieser Geldverwalter mit Elementen einer wirtschaftlichen Kommandozentrale. Larry Fink, der bereits zitierte Kopf von BlackRock – die Gruppe kontrolliert ein ihr anvertrautes Kapital in Höhe von mehr als sieben Billionen Dollar; sie ist an 17.000 Unternehmen, darunter an allen 30 DAX-Konzernen, beteiligt – versendet seit 2012 in jedem Jahr eine Art „Dringliche Empfehlung“ an Tausende Bosse von Konzernen und Banken. Der aktuelle Fink-Brief vom Januar 2020 liest sich wie eine Wirtschafts-Enzyklika. Sie ist „den Klimarisiken“ gewidmet und bezieht sich auch positiv auf den Papst und dessen „Forderung nach einer CO2-Bepreisungsordnung“. Der Brief droht kaum verhohlen damit, Unternehmen, auf die BlackRock Einfluss hat, „zur Verantwortung“ zu ziehen, wenn diese keine nachhaltige Unternehmensausrichtung praktizierten. Explizit heißt es dort, dass „Wertpapiere von Kohleproduzenten“ ein „Nachhaltigkeitsrisiko“ darstellten; weswegen Investments in solchen Unternehmen abgestoßen werden würden.

Bingo; es geht also in die richtige Richtung! Wenn das Weltproletariat schon versagt – oder, wie manche vermuten, abhanden gekommen ist – dann scheint es doch eine Weltregierung aufgeklärter Kapitalkreise zu geben.

Tatsächlich ist das nicht der Fall. Der Dannenröder Forst wird mit dem Segen des grünen Verkehrsministers gerodet, die Bepreisung von CO2 dient der Verschleierung der Fortsetzung einer Wirtschaftsweise, mit der die Klimaerwärmung beschleunigt wird. Und Elon Musk spendete für Trump und bildete mit Fiat-Chrysler einen Emissionspool, um diesem schmutzigsten Autokonzern den fortgesetzten Bau seiner SUV-Verbrenner-Flotte zu ermöglichen.3

Dabei macht das in Luxus angelegte Kapital durchaus streckenweise das, was auf Weltebene gegen die Krisenfolgen getan werden müsste. Als im Sommer 2020 aufgrund des Nachfrageeinbruchs im Champagnermarkt eine Strukturkrise drohte, einigten sich Winzer und Produzenten, letztere angeführt von Moët Hennessy, auf eine Senkung der Erntemenge um 20 Prozent. In der gesamten französischen Luxusbranche (LVMH, L´Oréal, Hermès, Chanel) werden im Krisenjahr 2020 die Arbeitsplätze garantiert und die Kurzarbeit-Gelder auf 100 Prozent aufgestockt. Ferrari bietet für seine Beschäftigten und die Bevölkerung am italienischen Produktionsort Maranello kostenlose, regelmäßige COVID-19-Tests.4

Doch all das erfolgt natürlich nur zum eigenen Nutzen und Frommen, sprich: mit dem Ziel der langfristigen Profitgarantie.

Eine langfristige Garantie zum Überleben der Menschheit gibt es nur jenseits der bestehenden Wirtschaftsordnung. Es dürfte schwierig werden, dafür 2021 die Voraussetzungen zu schaffen. Ein paar Elemente dessen, was die erwähnten Kapitalkreise mit 100-Prozent-Kurzarbeitergeld, Beschäftigungsgarantie und Reduktion des Outputs um ein Fünftel umsetzen, sollten sich Linke und Gewerkschaften jedoch auf die Fahne schreiben und dafür im kommenden Jahr mobilisieren.

Anmerkungen:

1 BlackRock-Brief zusammengefasst in: Manager Magazin vom 31. März 2020; UBS nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Oktober 2020. Zu Blackrock siehe Werner Rügemer, Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, Köln 2018. Auch als Webegeschenk bei Abschluss eines LP21-Abos erhältlich.

2 Vgl. Thomas Piketty, Kapital und Ideologie, München 2020, z.B. Seiten 816f und 842f. Allgemeine Angaben zur Vermögenskonzentration 2020 nach: Johannes Ritter, Superreiche werden reicher, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Oktober 2020.

3 Bernd Rubel, Elon Musk – Kontroverse Parteispender an republikanische Klimaleugner; mobilegeeks vom 19. Juli 2018; siehe: https://www.mobilegeeks.de/news/elon-musk-parteispenden-republikanische-klimawandelleugner/ und BBC-Bericht vom 7. April 2019; siehe: https://www.bbc.com/news/business-47845971

4 ARD Börse vom 7. Oktober 2020.