Krieg und Frieden

In dieser Rubrik bringt Lunapark21 jeweils einen Eintrag aus dem Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus (HKWM). Das HKWM erschien mit seinem ersten Band 1994, begründet und herausgegeben vom Philosophen Wolfgang Fritz Haug. Das Berliner Institut für kritische Theorie (InkriT) betreut seitdem das Projekt und sagt dazu: „Neben der Arbeiterbewegung und den sozialistischen und kommunistischen Erfahrungen sind es u.a. die Fragen der Umweltproblematik und vor allem der Frauenbewegung, die Eingang gefunden haben. Auch die Befreiungstheologie und die Fragen der postkolonialen »Dritten Welt« nehmen einen substanziell gefüllten, beträchtlichen Raum ein.“ Die Beiträge in der Nachfolge von Marx und Engels stehen mithin in einer Tradition des offenen, zukunftsfähigen Denkens.

Krieg (K) und Frieden (F) ist nach Lüge, Finanzkrise, Kurzarbeit, Mensch-Naturverhältnis, Kubanische Revolution, Misogynie, Landnahme und Klimapolitik das neunte ausgewählte Stichwort aus der alphabetischen Stichwörtersammlung des HKWM, das wir hier auszugsweise zitieren. Dieser wiedergegebene Ausschnitt enthält mehr als man bei Eingabe des Links: http://www.inkrit.de/e_inkritpedia/e_maincode/doku.php?id= zum Stichwort Krieg und Frieden findet, aber wesentlich weniger als im Original. Das ist in zehn Abschnitte gegliedert und mit einer umfangreichen Bibliographie versehen. Der Bestellvorgang wird auf der Website des InkriT erläutert. (JHS)

E: war and peace. – F: guerre et paix. – R: vojna i mir. – S: guerra y paz. – C: zhanzheng yu heping. Norman Paech HKWM 7/II, 2010, Spalten 2082-2108

In der marxistischen Gesellschafts- und Staatstheorie spielen K und F keine den ökonomischen Prozessen vergleichbare zentrale Rolle. Gleichwohl stellen die Überwindung des K und die Schaffung eines allgemeinen F mit die dringendsten Probleme gesellschaftlicher Entwicklung auf Weltebene dar. Es ist unklar, wann wir von K und wann von F sprechen können und ob Gewaltanwendung das definitive Kriterium der Unterscheidung ist. Einerseits weigern sich Staaten, ihre militärischen Angriffe und Überfälle auf andere Staaten, sei es in Grenada 1983, Libyen 1987, Jugoslawien 1999, Afghanistan seit 2001 oder Gaza 2008/09 als K zu bezeichnen. Andererseits wird eine ganze Epoche der Nachkriegszeit ohne manifeste Gewalt zwischen den großen Kriegsmächten mit der Metapher des „Kalten K“ definiert, der Kampf gegen den internationalen Terrorismus als K begriffen und werden „neue K.e“ identifiziert, die es in der exzessiven Anwendung von Gewalt und Terror so noch nicht gegeben haben soll.

Die Verschärfung der ökonomischen Widersprüche, wie sie sich vor allem in der wachsenden Kluft zwischen Armut und Reichtum innerhalb der Gesellschaften wie auch zwischen ihnen zeigt, hat weltweit die Gefahr von K.en erhöht – auf abermals erweiterter technologischer Stufenleiter und mit wiederum gesteigerter Zerstörungskraft.

Sie hat zudem den engen Zusammenhang von kapitalistischer Krise und K erneut deutlich gemacht, wie ihn bereits Bertolt Brecht unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg in Rückblick auf den Ersten thematisiert: „Wir sahen: Das Volk, das mit andern Völkern in F lebte, nährte einen K seiner eigenen Klassen. Aber der K mit andern Völkern, welcher durch den K der eigenen Klassen hervorgebracht wurde, erzeugte den Burgfrieden der Klassen. Und dennoch verschärfte er den K der Klassen zugleich; so zerfiel der Burgfrieden, und der K der Klassen beendete den K der Völker.“ (Me-ti)

Zur Unterscheidung von K. und F. – Die strikte Trennung Ciceros, „inter bellum et pacem nihil est medium“ („Zwischen K und F gibt es kein Mittleres“, 8. Philippische Rede, Kap. 1), entsprach schon zu seiner Zeit nicht der Realität gewaltsamer Auseinandersetzungen. Eine solche Trennung zweier eindeutig voneinander unterscheidbarer gesellschaftlicher Zustände wie K und F folgt zwar dem juristischen Bedürfnis nach Klarheit der Tatbestände, wie sie auch im Völkerrecht notwendig und deshalb von Hugo Grotius in seinem De jure belli ac pacis (1652) übernommen worden ist.

Die Realität der staatlichen Praxis, mit militärischen Repressalien, Blockaden, Besetzungen und Interventionen gegen andere Staaten vorzugehen, macht aber jede eindeutige Unterscheidung zwischen K und F unmöglich.

Die Heroisierung des K. – Der vorherrschende Pazifismus in der bürgerlichen Aufklärung hat die Fragen nach Ursache und Rechtfertigung des K weitgehend in den Hintergrund treten lassen. Vollends verabschiedet sich die Kriegstheorie von diesen Problemen, als der K als Fundamentalopposition des Staates wie das Gesetz, als legitimes Mittel der Politik, anerkannt wird und die Kriegstheorie sich zur Kriegsführungstheorie wandelt. Seine juristische Entsprechung findet dies in der Anerkennung des ius ad bellum als Ausdruck staatlicher Souveränität im klassischen Völkerrecht.

Bekanntester Exponent dieser Lehre vom K als politisches Instrument ist Clausewitz, der in seinem Buch Vom Kriege (1831) den K als natürliche Erscheinung der Geschichte behandelt, „als Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“ Nicht die Ächtung des K führe zu seiner Begrenzung, im Gegenteil, sie beraube den Überfallenen seiner Verteidigung. Alleine die Vorbereitung der Fähigkeit, einen K zu führen, biete die beste Chance zur Kriegsverhinderung. (…) Clausewitz hält daher auch wenig von den Friedensplänen der Aufklärung, die durch Völkerrecht, Abrüstung und Ächtung des Angriffskrieges die Kriegsgefahr bannen wollen.

Marx und Engels fanden die Gesellschaft Mitte der 1840er Jahre im Zustand eines „sozialen K Aller gegen Alle“ vor (Engels 1845). K ist zunächst Ausdruck der ökonomischen Antagonismen der Gesellschaft. Er ist vor allem ein Mittel der Politik der herrschenden Klasse, um die Bedingungen der Ausbeutung durch Polizei und Administration abzusichern und dafür zu sorgen, „dass der K ein verdeckter, indirekter bleibe, dass er nicht in offne Gewalt, in Verbrechen ausarte.“ (Ebd.)

Hegels Anschauung von der Notwendigkeit des K als eines immanenten Motors, durch den die „bürgerliche Gesellschaft über sich hinausgetrieben“ (Grundlinien der Philosophie des Rechts, §246) werde, findet sowohl bei Marx wie bei Engels in der Analyse des Klassenantagonismus von Proletariat und Bourgeoisie ihre dialektische Erweiterung. So stelle sich auch der internationale Aggressions- und Eroberungskrieg nur oberflächlich als K zwischen Staaten dar. Seinem Wesen nach sei er ein K der Klassen: sei es zwischen den herrschenden Klassen verschiedener Staaten, um den Herrschaftsbereich auszudehnen, sei es gegenüber den unterdrückten Klassen zur Verhinderung revolutionärer Erhebungen oder als nationaler Befreiungskrieg unterdrückter Völker und Klassen gegen die herrschenden Klassen.

US-amerikanische Hegemonie und die ´neuen K.e´ – Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers endeten nicht nur der „Kalte K“ und das alte Sicherheitssystem des Gleichgewichts des Schreckens. Die Unipolarität der us-amerikanischen Hegemonie hat nach 1990 das UNO-System entscheidend geschwächt und mangels Gegenkraft die Gewalteinhegung der UNO-Charta durchbrochen. Davon zeugen alle drei großen von den USA und der NATO begonnenen K.e, die die UNO entweder von vornherein ausschalteten (Überfall auf Jugoslawien 1999) oder nach anfänglicher Einbeziehung letztlich beiseiteschoben (Afghanistan 2001, Irak 2003). Mangels eindeutigen völkerrechtlichen Mandats wurden Ersatzlegitimationen gesucht, um das offensichtliche Begründungsdefizit in der internationalen Öffentlichkeit zu kompensieren: die Verhinderung einer humanitären Katastrophe, die Garantie der Menschenrechte und die Einrichtung demokratischer Verhältnisse spielten bei allen drei K.en zur Begründung eine ebenso wichtige Rolle wie beim K gegen Irak die Beseitigung von angeblichen Massenvernichtungsmitteln und beim K in Afghanistan der Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

Alle diese neuen – völkerrechtlich unzulässigen – Kriegslegitimationen (Paech 2004, 21ff; 2006 23ff) konnten nur schlecht darüber hinwegtäuschen, dass es im Kern um Rekolonialisierung strategischer Regionen, sei es des Balkan oder des Nahen und Mittleren Osten, geht. Das Konzept des „Greater Middle East“, wie es 1997 von Zbigniew Brzezinski skizziert wurde und seitdem die geostrategischen Ambitionen der Clinton-, Busch- und auch der Obama-Administration bestimmt, zielt auf die us-amerikanische Vorherrschaft in einer Region, die für die Energie- und Ressourcenversorgung nach wie vor lebenswichtig ist.

Die lang gehegte Idee, auf deren Basis auch die beiden universalen Staatenbündnisse Völkerbund und Vereinte Nationen ruhen, dass der F durch eine verbindlich anerkannte Rechtsordnung als Friedensordnung gesichert werden könne, erweist sich angesichts der internationalen Gewaltverhältnisse derzeit nicht als tragfähig. Auch Kants Hoffnung, auf den Ewigen Frieden wird sich nicht ohne grundlegende Änderung der inner- und zwischenstaatlichen Ausbeutungsverhältnisse erfüllen.