Wachstum auch im Corona-Jahr

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Chinas Ökonomie in den Jahren 2020 und 2021

China konnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den letzten zehn Jahren verdoppeln. Ende 2020 wurde die absolute Armut im ganzen Land überwunden. Die Lebenserwartung erhöhte sich auf 75 Jahre – 1955 lag diese noch bei 45 Jahren. Das stellt kein imaginäres Wirtschaftswunder dar. Das ist Ausdruck der harten Arbeit des chinesischen Volkes. Chinas Weg in die Zukunft wurde im Jahr 2020 allerdings wiederholt herausgefordert, erschwert und verlangsamt. Das Jahr begann mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Der von den USA initiierte Handelskonflikt bestimmte den chinesischen Außenhandel mit den USA, aber auch mit Europa und Australien.

Trotz all dieser Schwierigkeiten konnte die breit aufgestellte Wirtschaft Chinas im vergangenen Jahr ein Wachstum von 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnen. Im ersten Quartal gab es in Folge der konsequenten Pandemie-Bekämpfung einen Wachstumseinbruch von minus 4,4 Prozent. Aber schon im zweiten und dritten Quartal war eine Erholung zu verzeichnen. Im vierten Quartal kam die Wirtschaft wieder in vollen Schwung. In absoluten Zahlen überstieg das BIP erstmalig die Marke von 100 Billionen Yuan, umgerechnet 15,4 Billionen Dollar.

Um den unmittelbaren Einbruch der Wirtschaft Anfang 2020 aufzufangen, reagierte die Wirtschaftsführung umgehend mit einer lockeren Finanzpolitik, mit zusätzlichen Ausgaben für staatliche Investitionsvorhaben und mit einer Lockerung des Schulden-Managements. Der Erfolg zeigte sich im vierten Quartal. Das reale BIP wuchs mit 6,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, sodass für das ganze Jahr das genannte positive Wachstum verzeichnet werden konnte. Obwohl dieses Wachstum seit 1978 das niedrigste darstellt, ist es aber verglichen mit allen anderen G-20-Volkswirtschaften das höchste und ein Erfolg der chinesischen Wirtschaftspolitik.

Erneut wachsende Exporte – schwache Binnenkonjunktur

Das Wachstum der Produktion der industriellen Güter mit 6,8 Prozent überstieg dasjenige im Dienstleistungssektor, das um 6,7 Prozent stieg. Die IT-Industrie allein konnte gar um 19,7 Prozent zulegen. Der Inlandskonsum hingegen stieg nur um 2,6 Prozent. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gefallenen Lebensmittelpreise eine dämpfende Wirkung zeigten. Das verfügbare Einkommen stieg zwar im vierten Quartal um 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr, blieb aber für das Jahr insgesamt unter dem Wert von 2019, was ein eindeutiger Indikator für die schwache Inlandskonsumtion ist.

Die Rückkehr auf den Wachstumspfad wurde erheblich erleichtert durch eine expansive staatliche Kreditpolitik, womit die Schuldenquote – der Anteil aller Schulden am Bruttoinlandsprodukt – auf 280 Prozent anstieg. Ein weiterer Treiber des Wirtschaftsaufschwunges vom zweiten Quartal an waren – neben den Investitionen in den Infrastrukturbereich und in Immobilienprojekte – vor allem die verstärkten Exporte von Gesundheitsartikeln, von Ausrüstungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und von elektronischer Ausrüstung. Diese gestiegenen Ausfuhren sind auch Ausdruck einer hohen Flexibilität der chinesischen Wirtschaft, insbesondere der klein- und mittelständischen Industrie. Das Ziel, in den Städten neue Arbeitsplätze zu schaffen, wurde sogar mit 131,8 Prozent respektive 11,86 Millionen neuen Arbeitsplätzen übererfüllt. Die Arbeitslosenrate lag mit 4,7 Prozent unter der von 2019, wobei diese Rate offensichtlich nicht die in die Heimatdörfer zurückgekehrten Arbeitsmigranten einschließt.

Außenwirtschaftlich konnte China mit zwei Freihandelsabkommen Erfolge verzeichnen: mit dem Regional Comprehensive Economic Partnership Agreement (RCEP ) – hier handelt es sich um das Abkommen zwischen den zehn ASEAN-Mitgliedsstaaten und fünf weiteren Staaten der Region Asien-Pazifik – , und dem Comprehensive Agreement on Investment (CAI), hier handelt es sich um das fertig ausgearbeitete, jedoch noch nicht ratifizierte Abkommen zwischen der VR China und der EU. Allerdings erfordert eine Umsetzung dieser Abkommen eine weitere Durchsetzung der wirtschaftlichen Reformen, einschließlich einer weiteren Öffnung des chinesischen Marktes.

In Folge der Handelskonflikte und der Pandemie verringerten sich die Auslandsinvestitionen Chinas im Jahr 2020 laut UNCTAD insgesamt um 42 Prozent, darunter diejenigen in den USA sogar um 49 Prozent. Im Gegensatz dazu wuchsen die Auslandsinvestitionen in China um vier Prozent. Das war die Ausgangslage für 2021.

Die Staatsführung veröffentlichte für das angestrebtes Wachstum für 2021 lange Zeit keine Zahl. Erst am 5. März – auf dem Nationalen Volkskongress in Peking – war es dann so weit. 2021 soll es nach Aussage von Ministerpräsident Li Keqiang ein BIP-Wachstum von „mehr als sechs Prozent“ geben.

Die Herausforderungen im Jahr 2021:

• Reduktion des Risikos einer flexiblen Finanzpolitik durch das angestrebte Wachstum bei gleichzeitiger Kontrolle der erhöhten Verschuldung speziell im Immobiliensektor,

• Kontrolle der Corona-Pandemie mit gegebenenfalls restriktiven Maßnahmen, ohne dabei die nationalen und internationalen Lieferketten und somit das Wachstum zu unterbrechen.

• die Außenhandelsbeziehungen mit den USA werden sich voraussichtlich nur im Ton, nicht aber materiell verbessern, da das Handelsdefizit der USA 2020 trotz des Handelsabkommens weiter auf einem Rekordniveau von mehr als 300 Milliarden Dollar liegt. Das heißt: All die Strafzölle, die die Trump-Administration gegen chinesische Importe verhängen ließ, und das Handelsabkommen zwischen beiden Staaten („Phase-One-Deal“), bei dem die Volksrepublik den USA deutlich entgegenkam, veränderten nichts an diesen Ungleichgewichten.

• Die von den USA und der EU angestrebte Entkopplung der internationalen Lieferketten und die ebenfalls durch die USA initiierten Einschränkungen und Sanktionen gegenüber der chinesischen Hightech-Industrie und ausgewählten Unternehmen sollen durch eine weitere Öffnung des Inlandmarktes sowie durch eigene Entwicklungen kompensiert werden.

• Die globale Nachfrage chinesischer Exporte, insbesondere für elektronische und medizinische Produkte, wird 2021 voraussichtlich rückläufig sein. Zumindest wird es keinen Anstieg geben.

• Die Inlandkonsumtion wird als Treiber des Wachstums die Priorität einnehmen müssen.

Die Antwort auf die von den USA initiierte Entkopplung ist die sogenannte Doppelte Kreislaufökonomie (dual circulation strategy, DCS) – so formuliert auf der Sitzung des Politbüros am 15. Dezember 2020. Diese sieht vor, die Abhängigkeit der Wirtschaft von ausländischen Märkten – und dabei insbesondere vom Import von Produkten der Schlüsselindustrien und der Daseinsvorsorge – zu reduzieren. Dabei sollen das Wachstum durch eine steigende Inlandkonsumtion gestützt, die chinesische Wirtschaft gleichzeitig weiter geöffnet und damit die Handelsbeziehungen weltweit gefördert werden.

Die Schere zwischen Arm und Reich

Die erwähnten Abschlüsse der beiden Handelsabkommen RCEP und CAI sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Trotz der bereits beschriebenen rückläufigen Inlandskonsumtion im vergangenen Jahr erwies sich diese doch als relativ stabil. Und sie ist wichtig; 2019 machte die Binnennachfrage 55 Prozent des BIP aus. Im Übrigen trug die hohe Sparrate der chinesischen Haushalte zur schwachen Binnenkonjunktur bei. In Folge der Corona-bedingten Einschränkungen profitierten die digitalen Verkaufsplattformen mit einem Wachstum von über 30 Prozent. Auffällig dabei ist das Wachstum im Bereich der Luxusgüter in einer Höhe von 48 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das unterstreicht ein unerwünschtes weiteres Anwachsen der Differenz zwischen den reichen und armen Haushalten.

Auf der bereits genannten Sitzung des Politbüros wurde eine „Nachfrage-Reform” auf den Weg gebracht, um die Haushalte mit niedrigen Einkommen durch ein mehrschichtiges Verteilungssystem zu fördern und die Differenz zwischen Arm und Reich abzubauen. Diese umfasst die direkten Einkommen und die indirekten in Form der sozialen Unterstützungen wie im Fall der Subventionierung der Tarife im öffentlichen Personennahverkehr, im Gesundheitswesen oder in der Telekommunikation. Hinzu kommen Steuervergünstigungen für niedrige Einkommen.

Die Entkopplung der Lieferketten wird sich 2021 weiter fortsetzen. Mit ihr wollen die USA die chinesischen Unternehmen aus den von ihnen beherrschten Hightech-Lieferketten ausschließen. Auch andere Länder und die EU, wollen die Abhängigkeit von China in der Versorgung mit medizinischen Produkten verringern.

Nach Analysen der South China Morning Post werden wohl einige Firmen China zu Gunsten von Lieferketten mit anderen Länder verlassen (Im Fall der USA soll es einen entsprechenden Rückgang um rund 13 Prozent geben, bei der EU um 11 Prozent und im Fall Japan um vier Prozent.). Das wird jedoch auf die chinesische Wirtschaft quantitativ nur geringe Auswirkungen haben. Qualitativ allerdings werden die Folgen für China, aber auch für Unternehmen aus Drittländern eine gewisse Bedeutung haben. So führten bereits in der Autoindustrie fehlende Halbleiter, die für die elektronische Steuerung der Betriebsabläufe erforderlich sind, zu Produktionsverzögerungen.

Die Entkopplung wird nicht zu einem Stopp des wechselseitigen Handels führen. Allerdings dürfte es zu einer größeren Diversifikation der Importländer kommen. China ist dabei bestrebt, die Abhängigkeit von bestimmten Importen abzubauen. Das bezieht sich erstens auf alle Hightechprodukte, wie z.B. auf spezifische Halbleiter, welche zur Zeit in China selbst noch nicht hergestellt werden können, die jedoch entscheidend für die weitere Entwicklung der digitalen Durchdringung sind. Das bezieht sich zweitens auf den Import von Gütern der Daseinsfürsorge und der nationalen Sicherheit, von Nahrungsgütern, landwirtschaftlichen Technologien, Bio-Technologien und Energieträgern wie Öl, Gas und von bestimmten Mineralien für neue Batteriegenerationen.

Gleichzeitig sieht sich China durch die „schwarzen Listen” mit Verboten der Kooperation westlicher Firmen mit bestimmten chinesischen Unternehmen unter Druck gesetzt. Auf diesen Listen ausgeführt sind Hightech-Firmen und Firmen, die angeblich Menschenrechte verletzen, etwa Firmen, die in der Provinz Xinjiang aktiv sind.

Durch die Beherrschung des internationalen Dollar-Zahlungssystem SWIFT üben die USA auch Druck auf Unternehmen in Drittländern aus, nicht mit den gelisteten chinesischen Unternehmen zu kooperieren.

Diese weltweite Sanktionspolitik unter Nutzung des US-Dollar-Systems beschleunigt das Bestreben Chinas, den Handel unabhängig von der US-Währung abzuwickeln. So wird im Rahmen des RCEP angestrebt, die Finanzströme nur auf Basis der Landeswährungen zu verrechnen. Während die USA chinesische Hightech- und Kommunikations-Firmen mit konstr-uierten Begründungen von der New York Börse verbannen, um damit den Zugang zu frischem, ausländischem Kapital zu erschweren, baut China die Börsen in Shanghai und Shenzhen aus, was vor allem der Börse in Hongkong schaden wird.

Auf der Politbüro-Konferenz im Dezember 2020 definierte die Staatsführung für das Jahr 2021 acht Hauptaufgaben für die weitere Wirtschaftsentwicklung. An erster Stelle steht die Stärkung der nationalen Forschung und die Entwicklung neuer Technologien einschließlich der Künstlichen Intelligenz und der Telekommunikation wie 5G. Dem folgen die Förderung der Landwirtschaft und der Saatgutqualitäten, das Streben nach mehr Unabhängigkeit von internationalen Liefer- und Industrieketten, der Ausbau der Binnennachfrage, die Beschleunigung der Reformen und Wirtschaftsöffnung einschließlich der Kontrolle von Unternehmenskonzentrationen, Monopolbildung und der Regeln der Kapitalexpansion sowie der Kontrolle der Immobilienmärkte, der Mietentwicklung einschließlich der Bereitstellung kostenlosen Wohnraums durch Staatsunternehmen sowie schließlich die Begrenzung des Wachstums der Kohlestoff-Emissionen mit dem Ziel der Erreichung der CO2-Neutralität bi s zum Jahr 2060.

Ein jüngeres Beispiele der Kontrolle der „Schattenbanken“ und einer stärkeren Finanzregulierung ist das Verschieben des Börsenganges der Alibaba Tochter Ant-Financial. Dabei hat die chinesische Wirtschaftsführung die zunehmende Verschuldung auf den unterschiedlichen Ebenen im Auge.

Während der Corona-Pandemie konnten die privaten Unternehmen, die rund 60 Prozent des BIP, 65 Prozent aller angemeldeten Patente, 75 Prozent der technischen Innovationen und 80 Prozent der neuen Produktentwicklungen auf sich konzentrieren, besonders flexibel reagieren; sie erwiesen sich als ein entscheidender Faktor bei der Wiederbelebung der Wirtschaft. Die Förderung dieses Sektors der Wirtschaft wird auch 2021 eine zentrale Rolle einnehmen. Es wird Zugeständnisse bei Kreditrückzahlungen geben; großzügigere Kredite und reduzierte Steuerbelastungen werden gewährt. Die Ministerien und die Provinzregierungen werden verpflichtet, staatlich finanzierte Projekte den kleinen und mittelständischen Unternehmen (SME) anzubieten und „grüne“ Projekte besonders zu fördern. Die Unterstützung der SME basiert wesentlich auf der durchgreifenden 5-G-Digitalisierung, die es Kleinunternehmen auch in ländlichen Provinzen ermöglicht, neueste Technologien anzuw enden.

In der Gesamtbilanz dürften die Einschätzungen einiger chinesischer und ausländischer Ökonomen realistisch sein, wonach die chinesische Volkswirtschaft 2021 wachsen und ihre führende Rolle in der Weltwirtschaft weiter ausbauen wird. Ob dieses Wachstum nun mehr als sechs Prozent oder nur vier Prozent betragen wird, ist schwer vorauszusagen, zumindest so lange, wie Corona präsent ist. Die Lokalregierungen in Guangdong, Shanghai und Beijing allerdings erwarten ein Wachstum in Höhe von sechs Prozent; die der Sonderwirtschaftszone Hainan sogar ein solches in einer Höhe von zehn Prozent.

Die Wirtschaft soll 2021 in einem „angemessenen Rahmen“ wachsen, um die Beschäftigung als Grundlage für den Wohlstand und die ökonomische Entwicklung zu sichern, so der chinesische Ministerpräsident auf einer Wirtschaftskonferenz zur Vorbereitung des 14. Fünfjahrplanes während der zweiten Januarwoche. Für die chinesische Führung ist nicht wichtig, wie schnell die Wirtschaft wächst, sondern dass der Wohlstand des chinesischen Volkes sich dem der entwickelten Industriegesellschaften annähert.

Wenn das Ziel des chinesischen Traums bis 2049 erreicht werden wird, wird China allein auf Grund der Bevölkerungszahl die größte und stärkste Volkswirtschaft der Welt sein.

Uwe Behrens ist promovierter Transportökonom. Er arbeitete bis 1989 im DDR-Verkehrswesen. Von 1990 bis 2017 war er zunächst für ein deutsches Logistikunternehmen in China, dann für für verschiedene Logistikunternehmen in China und Indien tätig.