Teil des Problems und Teil der Lösung

Möglichkeiten und Grenzen der parlamentarischen Demokratie

Schon Machiavelli wusste, dass die meisten Menschen den Krieg meiden und den Frieden bevorzugen. Reden, vielleicht streiten, statt kämpfen und töten – das ist die Grundlage, auf der die positiven Vorurteilen über die Demokratie wachsen. Demokratie als Weg zum innerstaatlichen, aber auch zum äußeren Frieden zwischen Nationen – das ist keine liberale Ideologie, sondern eine verbreitete, politisch wirksame Erwartung. Dass ihr die Realität nicht immer gerecht wird ist nicht zu denunzieren, sondern zu erklären.

Liberale Ideologie ist, dass Kapitalismus und Demokratie zusammenpassen, weil jede:r in der Verfolgung ihrer Interessen für sich das beste anstrebt und so das größte Glück für die größte Zahl von Bürger:innen erreicht werden kann. Zwar fragten schon die alten Römer ›cui bono‹, wem nützt es, um vom Nutznießer einer Handlung auf den Urheber zu schließen. Aber das cui bono ist eine voraussetzungsreiche Formel. So können zufällige Umstände ausgenutzt werden, obwohl zwischen Profiteur und Urheber kein Zusammenhang besteht. Selbst wenn auf etwas gezielt hingearbeitet wird, erfordert das cui bono auf der Seite der Handelnden zunächst die Annahme eines eindeutig geklärten Interesses, damit nicht nur eine persönliche Abwägung zwischen Chancen und Risiken, sondern vor allem die stabile Entscheidung zwischen unvereinbaren Zielen. Zum zweiten müssen die Handelnden auch die Wege zum Ziel erkennen, über die nötigen Mittel verf ügen und das eigene Verhalten beherrschen, um das von ihnen angestrebte Ziel, das ›bonum‹, überhaupt herbeiführen zu können. Drittens dürfen sie in der Verfolgung ihrer Zwecke nicht zu sehr von den Handlungen Anderer beeinträchtigt werden, da sonst das Ergebnis ihres Bemühens deutlich vom gewünschten abweichen kann. Viertens ist offen, ob der angestrebte Zustand sich als gut erweist, ob also der realisierte Zweck tatsächlich das Bedürfnis des Handelnden befriedigt. Auch die Zutat der modernen bürgerlichen Zeit zur alten Formel konnte diese Schwäche nicht aufheben: Zwar ist es zum Volksvorurteil geworden, dass ein jeder aufgrund seines ›Selbsterhaltungstriebes‹ zum eigenen Nutzen handelt. Aber es ist nicht ausgemacht, wie dem Ziel der Selbsterhaltung zu genügen wäre. Zuweilen zeigt sich erst am Ende, dass die Handelnden – Herrschende oder Beherrschte – sich selbst falsch eingeschätzt haben und mit dem gewünschten Resul tat nicht viel anfangen können. Ein Bedürfnis zu haben ist das eine, es zu erkennen und Wege zu seiner Befriedigung zu finden etwas anderes. Das cui bono war schon immer die Formel eines falschen, weil verkürzten Materialismus.

Zur liberalen Ideologie gehört die Überzeugung, mit den bürgerlichen Freiheiten habe die Demokratie ihren Siegeszug angetreten. Kaum war 1789 die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte veröffentlicht, erklärte ihr Mitautor Abbé Sieyès: »Alle Bewohner eines Landes müssen in demselben die Rechte passiver Bürger besitzen, alle haben einen Anspruch auf den Schutz ihrer Person, ihres Eigentums, ihrer Freiheit usw., aber nicht alle haben auf die tätige Teilnahme an der Bildung der öffentlichen Gewalten Anspruch, nicht alle sind aktive Bürger. Die Weiber, wenigstens in der jetzigen Lage der Dinge, die Kinder, die Fremden, diejenigen auch, welche zur Erhaltung der Staatsregierung nichts beitragen würden, müssen keinen aktiven Einfluss auf das Gemeinwesen haben. Alle können die Vorteile der Gesellschaft genießen, allein nur diejenigen, welche zur Erhaltung der Staatsregierung beitragen, sind die wahren Aktieninhaber der großen gese llschaftlichen Unternehmung. Diese allein sind die wahren Aktivbürger, die wahren Glieder der Gesellschaft.«

Das Wahlrecht war auch nach den bürgerlichen Revolutionen einer kleinen Gruppe von Männern vorbehalten, die genug Eigentum vorweisen konnten oder Steuern in bestimmter Höhe zahlten. Im Kommunistischen Manifest ging Marx selbstverständlich davon aus, dass »der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist.« Nach den Erfahrungen mit dem allgemeinen Männerwahlrecht unter Napoleon III. in Frankreich drückte er sich 1864 vorsichtiger aus: »Politische Macht zu erobern ist daher jetzt die große Pflicht der Arbeiterklassen. (…) Ein Element des Erfolges besitzt sie, die Zahl. Aber Zahlen fallen nur in die Waagschale, wenn Kombination sie vereint und Kenntnis sie leitet.« Oder: es kommt nicht nur auf das Wahlrecht an, sondern auch darauf, wie politische Organisationen und Wähler:innen von ihm Gebrauch machen. Trotzdem blieben Bindungen des Wahlrechts an Pass, Adresse, Ste uerzahlungen ein wichtiges Element der Kontrolle der Bevölkerung. Die letzten Einschränkungen dieser Art wurden in den USA erst 1964 aufgehoben. Allerdings galten die Staatsbürgerrechte nicht für die Bewohner der Kolonien. Im Kolonialsystem stand zwischen Beherrschten und Regierung nur Gewalt. Noch nach der Unabhängigkeit sorgten imperialistische Mächte dafür, dass Wahlen verhindert oder gewählte Regierungen gestürzt wurden: 1953 im Iran, 1954 in Guatemala, 1973 in Chile.

Die Katastrophen
1914 bis 1945

Doch all diese Legenden haben inzwischen ihre Kritik auch bei liberalen Autoren gefunden. Eine andere Erfahrung, die die Verbindung zwischen bürgerlicher Freiheit und allgemeinem Fortschritt prinzipiell in Frage stellt, wird dagegen ignoriert. Anfang des 20. Jahrhunderts waren in den europäischen Großmächten und den USA die Grundlagen eines Rechtsstaates und des Budgetrechts des Parlaments etabliert, in Ansätzen sogar im zaristischen Russland. Diese Mächte kontrollierten den Rest der Welt. Die Arbeiterbewegung war ein neuer, aber keinesfalls revolutionärer Faktor. Die Arbeiterparteien und Gewerkschaften bewegten sich, wo sie nur konnten, im Rahmen der Gesetze und hatten sich mit dem Kampf um Reformen schrittweise in die Gesellschaft integriert. Trotzdem begann nun kein friedlicher Aufstieg eines immer produktiveren Kapitalismus, sondern 1914 aus den Konflikten zwischen diesen Mächten eine extrem gewalttätige Periode, wie es sie seit 1945 nicht wieder gegebe n hat und für die Begriffe wie Weltkrieg und Völkermord erst erfunden werden mussten. Und diese Grausamkeiten waren kein Ergebnis der Übergriffe ›unkultivierter Barbaren‹, sondern des Kampfes der ›zivilisierten‹ Großmächte gegeneinander. Weil das zaristische Russland keinesfalls im Zentrum der Weltwirtschaft stand, bezeichnete Antonio Gramsci einst die Oktoberrevolution als »Revolution gegen das Kapital von Marx«, später war von »peripheren Revolutionen« die Rede, weil die kapitalistischen Metropolen nicht von ihnen erfasst wurden. Aber die Oktoberrevolution war Teil des Ersten Weltkriegs, so wie die chinesische Revolution 1949 ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs war – das heißt, sie standen im Zentrum der entscheidenden internationalen Konflikte.

Lenin formulierte im Ersten Weltkrieg eine Theorie der Notwendigkeit der gewaltsamen Revolution im höchsten und letzten Stadium des Kapitalismus. Die Theorie hat viele Schwächen. Aber einen Vorzug hat sie: Anders als die liberale Reaktion auf 1914 sah sie den Ersten Weltkrieg nicht als Unfall, der durch eine Rückkehr zu den alten Regeln künftig verhindert werden könnte. Während andere Politiker angesichts der ungeheuren, unüberschaubaren Konsequenzen des Sommers 1914 darauf bestanden, das alles hätten sie gewollt, womit sie manchen späteren Historiker:innen die Stichwörter lieferten – »hineingeschlittert«, »Schlafwandler« – nahm Lenin die extreme Gewalt ernst. Leider versuchte er, ihre Ursachen mit der Konstruktion »objektiver Interessen« an einer »Neuaufteilung der Welt« in das alte Schema zu pressen. Objektiv wären alle beteiligten imperialistischen Mächte mit einer Vermeidung des Weltkriegs weit besser gefahren. War um gelang es nicht?

Erst Jahrzehnte später sollten Forscher, in Deutschland vor allem Fritz Fischer, die Gründe dafür ausleuchten, weshalb die Eliten im Sommer 1914 bereit waren, den »letzten Einsatz« zu wagen. Diese Historiker gingen mit dem Wissen um den Zweiten Weltkrieg anders an die Geschichte heran. Die Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932 wurde auch in den Eliten und weit über Deutschland hinaus als der Bankrott von Liberalismus und Demokratie gesehen. Der klassische Liberalismus war weder demokratisch noch egalitär gewesen. Aber er akzeptierte soziale Konflikte als Teil der gesellschaftlichen Entwicklung, überzeugt von der Beherrschbarkeit dieser Gegensätze. Nun wurde der ökonomische Liberalismus, wurden unregulierte Konkurrenz, der Freihandel und der Goldstandard für die große Krise genauso verantwortlich gemacht wie der Einfluss der Arbeiterbewegung und gewählter Regierungen.

Die Gleichheit vor dem Gesetz und die gleichzeitige Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheit wurden von allen faschistischen Bewegungen als unvereinbar angesehen. Im Frühjahr 1933 widerrief Ludwig Erhard, der spätere westdeutsche Wirtschaftsminister und Bundeskanzler, öffentlich all seine frühen liberalistischen Sünden: »Wir wissen, dass der klassenkämpferische Sozialismus den ökonomischen Liberalismus nicht überwinden konnte, weil er ein Schößling aus der gleichen Wurzel ist, weil er die Bewegungsgesetze des Liberalismus anerkennt und seinem Ziele dienstbar machen wollte. So verstanden ist es richtig, dass der Sozialismus auf den Grundfesten des Liberalismus baute.« Sein Opportunismus half ihm persönlich nicht viel und war politisch unerheblich.

Aber drei Jahre später lieferte Hitler in der geheimen Denkschrift zum Vierjahresplan nichts Geringeres als eine welthistorische Begründung der Naziherrschaft und ihrer Eroberungspläne: »Seit dem Ausbruch der Französischen Revolution treibt die Welt in immer schärferem Tempo in eine neue Auseinandersetzung, deren extremste Lösung Bolschewismus heißt, deren Inhalt und Ziel aber nur die Beseitigung und Ersetzung der bislang führenden Gesellschaftsschichten der Menschheit durch das international verbreitete Judentum ist. (…) Seit sich der Marxismus durch seinen Sieg in Russland eines der größten Reiche der Welt als Ausgangsbasis für seine weiteren Operationen geschaffen hat, ist diese Frage zu einer bedrohlichen geworden. Einer in sich selbst weltanschaulich zerrissenen demokratischen Welt tritt ein geschlossener autoritärer weltanschaulich fundierter Angriffswille gegenüber. (…) Deutschland wird wie immer als Brennpunkt der abendländisc hen Welt gegenüber den bolschewistischen Angriffen anzusehen sein.«

Heute, nach der Niederlage des Ostblocks im Kalten Krieg, mag die Verbindung zwischen der französischen – bürgerlichen! – Revolution und dem Marxismus, zwischen der Stärke Moskaus und der Schwäche der liberalen Westmächte manchen seltsam erscheinen.

Aber im Herbst 1936 war Hitlers Tirade nicht misszuverstehen. Und die Position fand in Variationen Ausdruck in den Eliten anderer Länder, auch wenn sie in Großbritannien und den USA von der Macht ferngehalten wurden.

Eine neue Ära

Die Niederlage des deutschen Faschismus war eine Neudefinition von Weltpolitik. Die Uno-Charta schloss prinzipiell Krieg als Mittel von Politik aus. Die Besetzung des UN-Sicherheitsrates verdeutlichte, worum es ging: Keine Kriege zwischen Großmächten mehr. Das gelang, und der Kapitalismus ohne Weltkriege trat in eine große Wachstumsphase ein. Rüstung im Kalten Krieg zielte auf Erpressung, nicht auf Kriegsvorbereitung. Die Sowjetunion war damit überfordert. Im Westen wurden gewaltige Ressourcen für Wiederaufbau und Neuinvestitionen frei. Über den Zeitraum der ›großen 30 Jahre‹ bis 1975 hinaus reichte ein Umbau der westeuropäischen und japanischen Wirtschaft, der Investitionen und staatliche Sozialleistungen zu einem neuen Modell kombinierte, das Thomas Piketty rückblickend als Sozialismus bezeichnen will: Eine Gesellschaft, in der existenzielle Lebensrisiken wie Gesundheit und Arbeitslosigkeit staatlich abgefedert werden. Noch immer sind in diesem M odell 50 Prozent der Bevölkerung ohne Vermögen, etwa 40 Prozent gehören zur Mittelschicht und nur 10 Prozent zur wirklich besitzenden Klasse. Doch auch nach der Blütezeit dieses Modells wird es gesellschaftlich in der EU und Großbritannien akzeptiert

Verbunden damit war ein Triumphzug der parlamentarischen Demokratie. In Italien und Westdeutschland hatte das Scheitern des Faschismus auch die autoritären Unternehmer vom Nutzen der Parlamente wie der Gewerkschaften überzeugt. Endlich fanden die Diktaturen in Griechenland, Portugal und Spanien ihr Ende. Radikale Linke erwarteten, dass nach dem Ende des großen Wachstumsschubs auch der Parlamentarismus in die Krise kommen würde. Tatsächlich wurden die Konflikte um die Etablierung des Neoliberalismus in den verfassungsmäßigen Institutionen ausgetragen. So stand nach dem Sieg im Kalten Krieg ein Erfolgsmodell für Mittel- und Osteuropa bereit. In den folgenden Jahren wurden dort die extremen sozialen Spannungen in den Parlamenten friedlich ausgetragen. Dass Demokratie heißt, sich auch abwählen zu lassen, war nach der langen Herrschaft der Politbürokratie Konsens. Die Ausnahme von der Regel waren die Konflikte um das Ende Jugoslawiens und in Teilen der vor maligen Sowjetunion.

Die alte Frage

Kurt Tucholsky schrieb, die großen Fragen der Weltgeschichte werden nicht beantwortet, sondern vergessen. Vielleicht doch eher verdrängt? Im Frühjahr 1949 gab Albert Einstein im fernen Amerika, in einem Beitrag für die erste Ausgabe der Monthly Review, sein nüchternes Resümee der Nachkriegsdiskussionen über eine friedliche und gerechtere Welt: »Ich sehe die eigentliche Wurzel des Übels in der partiellen wirtschaftlichen Anarchie der Gesellschaft. Es ist eine riesige Produktionsgemeinschaft, deren Mitglieder dauernd danach streben, einander nach Möglichkeit die Früchte der gemeinsamen Arbeit wegzunehmen – nicht mit Gewalt, sondern unter im allgemeinen strikter Befolgung gesetzlich festgelegter Regeln. Wesentlich ist dabei, dass es zugelassen wird, dass die sogenannten Kapitalgüter, welche es den Arbeitenden ermöglichen, Konsumgüter (Nahrung, Kleidung) und neue Kapitalgüter herzustellen, Privatbesitz von Individuen sein können und zum  großen Teil auch sind. (…) Die Bezahlung der Arbeit ist auch im Prinzip nicht bedingt durch den Wert der durch sie erzeugten Güter. (…) Nach meiner Überzeugung gibt es nur einen Weg zur Überwindung dieser schweren Übel, nämlich die Etablierung der sozialistischen Wirtschaft, vereint mit einer auf soziale Ziele eingestellten Erziehung: Die Arbeitsmittel werden Eigentum der Gesellschaft und werden von dieser planwirtschaftlich verwendet. Die Planwirtschaft mit ihrer, dem elementaren Warenbedarf der Gesellschaft angepassten Gütererzeugung verteilt die zu leistende Arbeit auf alle arbeitsfähigen Individuen und versichert diese gegen Not. Die Erziehung des Individuums erstrebt neben der Entwicklung der individuellen Fähigkeiten die Erweckung eines auf den Dienst am Nebenmenschen gerichteten Ideals, das an die Stelle der Glorifizierung von Macht und Erfolg zu treten hat.«

Ausgangspunkt von Einsteins sozialen Überlegungen war nicht der Staat oder ›der‹ Mensch, sondern die Menschen: »Das Individuum allein ist fähig zu denken, zu fühlen, zu streben und zu arbeiten, aber es ist in seiner physischen, intellektuellen und emotionalen Existenz so abhängig von der Gesellschaft, dass es ohne letztere gar nicht gedacht werden kann.« Einstein verwechselte Planwirtschaft nicht mit Sozialismus: »Planwirtschaft kann mit einer völligen Versklavung des Individuums verbunden sein. Der Sozialismus hat es mit einem politisch-sozialen Problem zu tun, das nicht leicht zu lösen ist: Wie bringt man es bei so weitgehender Zentralisierung der politischen und ökonomischen Macht zustande, dass die Bürokratie nicht zu mächtig wird und zu sehr anschwillt, dass das Individuum nicht politisch verkümmert und mit ihm das demokratische Gegengewicht gegen die Macht der Bürokratie?«

Zum gleichen Zeitpunkt gingen in Europa marxistisch geschulte Linke wie Richard Löwenthal und Wolfgang Abendroth noch davon aus, bereits »Jenseits des Kapitalismus« zu sein. Einstein sah das anders: »Im Ganzen genommen unterscheidet sich unsere Wirtschaft nur wenig vom ›reinen Kapitalismus‹«. Der Unterschied der Sichtweisen war weniger theoretisch, er war praktisch begründet. Ein US-Bürger konnte 1949 nicht auf die Idee kommen, das Zeitalter des Kapitalismus sei vorbei. In den USA kam es in der Nachkriegszeit nur zu einem geringen Ausbau von Elementen des Sozialstaates. Unter den Bedingungen ungebrochenen Wachstums war das für die US-Eliten nie ein Problem. Doch nach dem Sieg im Kalten Krieg folgte ihr Scheitern bei der Herstellung einer ›neuen Weltordnung‹.

Was nun? Was tun mit dem Aufstieg Chinas? Objektiv gibt es keine Gründe, warum nicht auch in den nächsten 80 Jahren Kriege zwischen Großmächten ausgeschlossen bleiben sollten. Es würde einen Unterschied machen. Aber die ganz anders begründete Neuauflage der Panik vor den ›asiatischen‹ Massen, dem Zerfall des viel zu pluralen Westens und der Herrschaft des weißen Mannes zeigt, dass die objektive Situation noch nicht entscheidet, wie die politischen Entscheidungen ausfallen werden. Damit sind wir dann bei Trump und den anderen, die heute wieder eine Unterscheidung zwischen den ›wahren Aktieninhabern der großen gesellschaftlichen Unternehmung‹ und den anderen, den Passivbürgern einführen wollen.

Die Menschheit verfügt heute über ungeheure persönliche, soziale und technische Möglichkeiten. Wie diese Möglichkeiten sich auswirken, katastrophal oder lebensbejahend, wird in tiefgreifenden politischen und sozialen Konflikten entschieden werden. Je mehr Menschen an der Suche nach Lösungen teilnehmen, um so besser. Keine:r kann immer recht haben. In vielen Fällen werden die Lösungen überhaupt erst erfunden werden müssen. Ein zentrales Element dieser Konflikte ist aber nicht nur ihr Inhalt, sondern auch ihre Form. Menschenfreundliche Lösungen ohne die friedliche Austragung heftiger Gegensätze – das wird nicht klappen. Die parlamentarische Demokratie ist nicht die Lösung aller Widersprüche, aber sie ist eine Form, in der sie gewaltfrei ausgetragen werden können. Die breite Verteidigung gegen die Angriffe auf die Demokratie erfolgt in verschiedensten Ländern genau aus dem Gefühl, dass es so ist. Manchmal liegen Gefühle ganz richt ig.