Von Caesaren und Kaisern

Warum populistische Diktatoren gewählt werden

An der Diktatur des zweiten Französischen Kaiserreichs von 1852 bis 1870 hat die Linke lernen müssen, dass freies Stimmrecht nicht unbedingt zu einer demokratisch-sozialistischen Republik führt. Das Ergebnis kann auch eine sozialverbrämte Diktatur sein, die, statt reaktionär zu wirken, die kapitalistische Modernisierung vorantreibt, und das ganz ohne Demokratie und Rechtssicherheit, die als notwendige Voraussetzung kapitalistischen Produzierens angenommen wurden.

Die kapitalistische Modernisierung verwirklicht sich auch im Raub an anderen Bürgern, im Glücksrittertum, Spekulation und Abenteuern, bei denen gelegentlich der Bürger vom Balkon geschossen wird.

Ausgang dieser Lektion war der Februar 1848. Der König von Frankreich, ›Bürgerkönig‹ Louis-Philippe, der durch die Revolution vom Juli 1830 an die Macht gekommen war, hatte sich mittlerweile der reaktionären Heiligen Allianz Metternichs angeschlossen. Nachdem er eine Versammlung zur Reform des Zensuswahlrechts verboten hatte – die Opposition veranstaltete solche Zusammenkünfte oft als Bankett für tausend und mehr Teilnehmende, wobei in Reden und Toasts gesellschaftliche Missstände beklagt wurden –, kam es am 21. Februar 1848 zu Protesten in Paris, die nach heftigen Barrikaden- und Straßenkämpfen zum Sturz der Regierung und Abdankung des Königs führten.

Die Pariser Erhebung wurde zum Fanal und löste Aufstände beinahe in ganz Europa aus, die auf die Errichtung demokratischer Republiken zielten.

Die Revolutionsregierung der Zweiten Französischen Republik (1848-1852) vereinte Vertreter der Linken wie Louis Blanc, Liberale, Demokraten und konservative Rechte. Sie beschloss die Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien – gegen Entschädigung der Sklavenhalter –, Abschaffung der Todesstrafe für politische Delikte, Einführung der Pressefreiheit, allgemeines Wahlrecht und, nach einem Konzept von Blanc – ein Recht auf Arbeit, das für Erwerbslose durch Beschäftigung in den Nationalwerkstätten verwirklicht werden sollte.

Als die Linke bei der Wahl zur Nationalversammlung unterlag und die Werkstätten geschlossen werden sollten, kam es Ende Juni 1848 zu einem Aufstand der Pariser Arbeiterschaft, den Armee und Nationalgarde unter Louis-Eugène Cavaignac blutig niederschlugen. Im Dezember 1848 kandidierte Cavaignac für das Amt des Staatspräsidenten, das die neue Verfassung vorsah, und verlor die Wahl als ›Schlächter der Arbeiter von Paris‹ haushoch gegen den aus dem Exil zurückgekehrten Louis-Napoléon Bonaparte, dem Neffen des großen Napoléon. Drei Jahre später, im Dezember 1851, löste Louis Bonaparte nach einem Staatsstreich die Nationalversammlung auf und ließ sich ein Jahr später als Napoleon III. zum Kaiser des Zweiten französischen Kaiserreichs krönen, auf Lebenszeit von »Volkes und Gottes Gnaden«. Die Opposition war bei der Verteidigung der Nationalwerkstätten nicht einig gewesen und wurde in ihren fraktionierten Teilen eingekauft oder mith ilfe von Schlägertrupps brutal unterdrückt.

Der 18. Brumaire

Der ursprüngliche Protagonist der bürgerlichen Revolution, der Europa veränderte, General Napoléon Bonaparte, hatte sich in einem Staatstreich 1799, am 18. Brumaire des französischen Revolutionskalenders, als Erster Konsul zum Alleinherrscher gemacht, am 9. November. 1851 machte sich Louis-Napoléon III. kurz vor Ende seiner Amtszeit zum Alleinherrscher, am 2. Dezember, dem Tag, an dem sich sein Onkel 1804 zum Kaiser krönen ließ. Die Kaiserkrönung holte Louis III. am 2. Dezember 1852 nach, nachdem er das Volk über die Wiederherstellung des Kaisertums hatte abstimmen lassen, mit überwältigender Zustimmung von fast acht Millionen Ja- und 250.000 Nein-Stimmen.

Caesarismus und Bonapartismus

Das allgemeine Stimmrecht, das auf Männer beschränkt war, zeitigte ein von nieandem erwartetes Ergebnis: Das Volk hatte einen Usurpator gewählt, der vorgeblich die Interessen der Massen als Diktator verwirklichte und das nur tun konnte, wenn er immer wieder neue Angebote an Gewinn durch Kriege machte. Frankreich führte Kriege im System der entstehenden Nationalstaaten, die immer riskant und manchmal erfolgreich waren und deren letzter gegen den preußischen Bonaparte Bismarck Louis III. die Macht kosteten.

Zur Charakterisierung des neuen diktatorischen Regimes fand der Begriff Cäsarismus Verwendung, der auf Parallelen mit den Kaisern des Römischen Reiches verweist, die dem Volk im Zentrum des Imperiums mit Lebensmitteln das Maul stopften und durch Spiele amüsierten und ruhigstellten. Karl Marx hingegen entwickelte den Begriff des Bonapartismus. Er sprach dem Neffen von Napoléon Bonaparte das historische Verdienst ab, das er dessen Onkel zubilligte – durch seine Feldzüge und Einrichtung seiner Eroberungen das feudale Regime zerstört und kapitalistische Produktionsverhältnisse ermöglicht zu haben. In seiner Schrift »Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte«, die 1852 noch unter dem Titel »Der 18te Brumaire des Louis Napoleon« in New York erschien, heißt es: »Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und üb erlieferten Umständen.« Und Marx gibt auch einen Grund an, warum Bonapartisten so grotesk mit historischen Vorbildern ihre eigene Person erhöhen und Louis III. eben nur die Farce, die Karikatur von Napoleon I. war: »Wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszenen aufzuführen.«

Welcher Transformationsprozess?

Erst am Schluss des Textes, den der Hamburger Verleger Otto Meißner 1869 nach dem »Kapital« dem europäischen Publikum zugänglich machte, geht Marx auf die Konstellation der Klassen ein. Diese Passagen können einem den Glauben an die Menschheit zurückgeben, weil Bonapartismus eben nicht zu allen Zeiten erfolgreich ist, sondern tatsächliche Probleme als Bedingung einer Selbst-Entmündigung des Wahlvolkes voraussetzt. Die Glücksritter des scheinbar sich verselbständigten Staates konnten sich auf die zahlreichste Klasse der damaligen französischen Gesellschaft verlassen, die Parzellenbauern, die Louis III. immer wieder stützten, und die gerade erst den Umgang mit dem Privateigentum an Grund und Boden und den notwendigen Zins- und Pachtzahlungen lernen mussten. Sie wurden in die Spekulationen der Machthaber verstrickt, gewannen oder verloren Geld in waghalsigen Aktienspekulationen und setzten mit auf Sieg bei den zahlreichen Kriegen, die Frankreich  begann, mit wechselndem Ergebnis. Durch den Sieg im ersten Krimkrieg beispielsweise wurde Russland zu Reformen veranlasst, Frankreich gewann an Macht, alle gewöhnten sich an die Klärung von Interessenkonflikten durch Krieg und erst das unerwartete Ende des Krieges löste die erste weltweite Wirtschaftskrise des sich durchsetzenden Kapitalismus aus.

Im damaligen rasanten Transformationsprozess der französischen Gesellschaft zur kapitalistischen Produktionsweise, den Marx beobachtete, hoffte er auf das mit der Industrie entstehende Proletariat und sah 19 Jahre später seine Prognose von 1852 in der Kommune von Paris erfüllt: »Aber wenn der Kaisermantel endlich auf die Schultern des Louis Bonaparte fällt, wird das eherne Standbild Napoleons von der Höhe der Vendôme-Säule herabstürzen.«