Reinhold Würth – der Oligarch von Schwäbisch-Sibirien

Oder: Der gute Mensch von Künzelsau

Auf der Anfang 2019 „veröffentlichten Forbes“-Liste der 2153 reichsten Menschen der Welt – es sind meist Männer – sind Reinhold Würth und seine Familie vertreten. Gründer Roland Würth herrscht wie ein russischer Oligarch über die weltweit agierende Würth-Gruppe und „seine“ 77.000 Beschäftigten (alle hier verwendeten Zahlen nach Webseite Würth). Der Gesamtumsatz seines Imperiums betrug 2018 13,6 Milliarden Euro – 870 Millionen Euro wurden als Gewinne ausgewiesen. Auf der Würth eigenen Webseite heißt es: „Weltmarktführer im Vertrieb von Befestigungsmaterial.“

Alles begann mit dem Tod des Vaters 1954, als der 19-jährige Reinhold Würth dessen Schraubengroßhandel übernahm. Sein Reich ist die im Nordosten Baden-Württembergs gelegene Region Hohenlohe. Die Flüsse Kocher, Jagst und Tauber mit ihren vielen Seitentälern prägen die Landschaft, die nicht zu Unrecht werbetauglich auch als „Fränkische Toskana“ firmiert, im übrigen Schwabenland doch öfters als „Schwäbisch-Sibirien“ bespöttelt wird. An der Region sind die ersten hundert Jahre der Industrialisierung weitgehend spurlos vorbeigegangen. Auch heute spielt die Landwirtschaft dort im Wirtschaftsgeschehen noch eine größere Rolle. Den Namen Hohenlohe verdankt die Landschaft dem Reichsfürstengeschlecht derer von Hohenlohe, die jahrhundertelang die Bevölkerung dieses Landstrichs unterdrückt und ausgebeutet hatten. Der heutige Landkreis Hohenlohe mit seinen Mittelzentren Öhringen, Künzelsau, Schwäbisch Hall, Crailsheim un d Bad Mergentheim ist der am dünnsten besiedelte Landkreis Baden-Württembergs. Zwar gibt es Tourismus, von dem auch der eine und die andere gut leben können. Doch die meisten verdienen ihr Brot in der Industrie, die sich in der einstigen Billiglohnregion nach 1945 entwickelte. Tag für Tag ackern und fronen die Nachfahren der Hörigen der Herren Grafen zusammen mit den viele Einpendlern für ihre neuen Herrn: die „hidden champions“ aus den Bereichen der Montagetechnik, der Lüftungstechnik, dem Explosionsschutz oder auch im Bereich Verpackungstechnik.

Zehntausende Beschäftigte bei betriebsratsfreier Zone

Der bedeutendste ihrer Brotherren ist der „Schrauben-König“ Reinhold Würth. Er ist hier der Platzhirsch. Der über 80Jährige, vielfache Schrauben-Milliardär herrscht über „seine“ 77.000 Beschäftigten, von denen rund ein knappes Drittel in Deutschland arbeitet, nach Gutsherren Art. Widerspruch erwartet und duldet der knorrige Patriarch seit vielen Jahrzehnten nicht. Doch es droht Ungemach: Am 9. Oktober wird erstmals die Wahl eines Betriebsrates im Unternehmen Adolf Würth GmbH & Co KG, der Muttergesellschaft der weltweit operierenden Würth-Gruppe, stattfinden. Das ist ein Novum. Bis heute fungierte am Stammsitz als Betriebsratsersatz ein ungesetzlicher, devoter 31-köpfiger „Vertrauensrat“. Wenn überhaupt gibt es nur in einigen Firmen der Würth-Gruppe Betriebsräte – meist als kollateraler Beifang bei der Übernahme von Hahn & Kolb, Uni Elektro und Fega & Schmitt. Auch bei Würth Elektronik wurde 2016 ein Betriebsrat gewähl t.

Die Würth-Gruppe profitierte erheblich von dem Umstand, dass hierzulande große Vermögen steuerlich fast ungeschoren bleiben. Aufstieg und Erfolg der Gruppe haben dann viel damit zu tun, dass der Schrauben-Patriarch wie ein vorindustrieller Monarch im Schutz seiner Familienstiftung ungebremst schalten und walten kann. Gerne lässt sich Würth als „Pionierunternehmer“ feiern. Er leitet davon auch das Recht ab, sich z.B. um political correctness einen Teufel scheren zu müssen. Das Wort von der „flachen Hierarchie“ im Unternehmen ist ihm im Gräuel. Er und seine Frau sind Mitglied und Förderer der straff organisierten neuapostolischen Kirche. Vielleicht erklärt dies den permanenten missionarischen Kreuzzug des Patriarchen gegen „Müßiggang und Verschwendung“. Gleich dem Apostel Paulus schreibt er an seine etwa 30.000 im Außendienst tätigen Verkäufer von Zeit zu Zeit Mahn- und Brandbriefe. Die dürfen dann Sätze wie die fol genden zur Kenntnis nehmen: „Nachdem Würth weder ein zweites Arbeitsamt noch ein Sozialinstitut ist, bitte ich um Verständnis, dass wir die Zusammenarbeit nur fortsetzen können, wenn Sie ganz kurzfristig und zackig die Zahl der selbst getätigten Aufträge pro Arbeitstag erhöhen.“ Oder er predigt Volksweisheiten wie „Morgenstund hat Gold im Mund“ und stellt den Werbern im Außendienst rhetorisch die Frage: „Sind Sie um 7.30 Uhr beim ersten Kunden?“ Würth ergänzt: „Ausdrücklich: Ich denke nicht daran, den Außendienst abzuschaffen, appelliere aber an Sie, die Geduld der Zentrale nicht zu überfordern.“

Für Friedrich Merz und AKW

Politisch ist Würth eher einfach gestrickt. Bei der jüngsten Wahl zum EU-Parlament hat er angeblich die Grünen gewählt, weil er den Spitzenkandidaten der Union, Manfred Weber für nicht befähigt hält. Er kann sich Kretschmann als Bundeskanzler vorstellen – wenn denn nicht Friedrich Merz, den er besonders schätzt, das Rennen macht. Das mit den Grünen war aber eher eine Verlegenheitslösung; Würth: „Wenn Friedrich Merz CDU-Vorsitzender gewesen wäre, hätte ich die CDU gewählt: Ich habe ja schon vor der Wahl gesagt, dass ich Herrn Weber nicht vorne dran haben möchte. Er ist ein Bremser, ein CSU-Mann, der in erster Linie Bayern kann.“ Im Übrigen findet er den Ausstieg aus der Atomenergie „… bloß, weil es in Fukushima gekracht hat“ falsch. Schließlich sei Deutschland „kein Erdbebengebiete“. Dass jetzt „in einigen EU-Ländern gerade neue Atomkraftwerke gebaut (werden),“ findet er richtig. Angela Merkel mag Würth nicht; sie hänge ihr Fähnchen allzu oft nach dem Wind. Doch ein großes Plus gesteht er der amtierenden Kanzlerin zu: „Sie hat die Agenda 2010 von Herrn Schröder enorm gut realisiert. Das ist ja die Krux in der Politik: Viele Entscheidungen wirken erst fünf oder zehn Jahre nach der Entscheidung“ (zitiert nach Focus vom 27. Juli 2019).

Obgleich sich Würth gerne als Patriarch seiner Betriebsfamilie feiern lässt, drehte er doch im Krisenjahr 2009 mit Gewalt an der Profitschraube. Er erpresste die Beschäftigten im Stammunternehmen in Künzelsau und erzwang schmerzhafte Lohneinbußen. Während Kurzarbeit gefahren wurde, wurde zusätzlich das Gehalt eines Teils der Belegschaft „als Solidarbeitrag“ um fünf Prozent gekürzt. All das erfolgte natürlich im Einvernehmen zwischen Geschäftsleitung und dem so genannten Vertrauensrat. In diesen eher strengen Zeiten kaufte sich der schwäbische Milliardär für geschätzte hundert Millionen Dollar eine 85 Meter lange Luxusyacht, getauft auf den Namen „Vibrant Curiosity“ („Lebhafte Neugier“). Und so lautete auch das Firmenmotto in den Jahren 2006/2007. Die Yacht Würths ist mit VIP-Suite, Luxuskabinen für 14 Gäste, einem 9000 PS-Motor und einem Tank für 284.500 Liter Diesel ausgestattet. Bereits 1974 hatte si ch Würth aus fürstlichem Besitz das Jagdschloss Hermersberg, romantisch zwischen Wäldern auf der Hochebene an einem See gelegen, gekauft und zu seinem Wohnsitz erkoren. 2005 erwarb er noch Schloss Friedrichsruhe, ebenfalls aus ehemals hohenlohischem Fürstenbesitz. Roland Würth, der sich als bescheidener Wohltäter, großer Kunstmäzen und Kulturförderer gibt, nennt sodann einige Luxus-Hotels und mehrere Hubschrauber sein eigen. All das hebt sich drastisch von seinem Kokettieren mit seiner eher bescheidenen Herkunft ab. Würth: „Wir kommen von ganz unten. Wenn ich früher auf Verkaufstouren unterwegs war, habe ich den Motor ausgeschaltet, wenn es den Berg runter ging, um 15 Pfennig Benzin zu sparen. Das waren Zeiten, in denen es tatsächlich darauf ankam, abends das Licht auszumachen. Es ärgert mich heute noch, wenn irgendwo die ganze Nacht grundlos eine Lampe brennt.“

Würth weiß seine Marktmacht einzusetzen; er agiert dabei auch deutlich politisch. So ließ er sich vor den Karren der Rüstungsindustrie – demjenigen von Heckler & Koch, Rheinmetall und Krauss-Maffei – spannen und kritisierte den zeitweiligen offiziellen bundesdeutschen Stopp von Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien.

Nicht nur die Liebe zur Kunst ist es, die den Kunstliebhaber Würth zur Gründung von Kunst-Sammlungen und Kunst-Museen treibt. Denn, so O-Ton Würth: „Diese Sammlung ist auch eine schöne Reserve. Sie gehört ja dem Unternehmen, und alle Werke werden zum Anschaffungswert bilanziert. So beugen wir für schlechte Zeiten vor.“

1994 zog sich Würth aus dem operativen Geschäft zurück. Der Milliardär verweist darauf, dass der Hammer auch künftig in seiner Reichweite hängt. „Das Unternehmen Würth gehört ja einer Stiftung, und ich bin Vorsitzender des Aufsichtsrats dieser Stiftung. Das ist das oberste Gremium. Das Machtzentrum wird also immer noch von mir beherrscht. Ich habe dieses Unternehmen als kleinen Schraubenhandel mit zwei Mitarbeitern übernommen und es über 68 Jahre lang begleitet. […] Ich habe mein Leben dem Unternehmen geopfert“.

Reinhold Würth, der Oligarch von Schwäbisch-Sibirien, der kreuzbrave Kaufmann und Wohltäter, der gute Mensch von Künzelsau – aber eben einer, dessen Reichtum, Wirtschaftsmacht und feudale Lebensweise von den 77.000 Beschäftigten des Würth-Imperiums geschaffen und aufrechterhalten wird.

Manfred Dietenberger lebt in Waldshut. Er schrieb in LP21 Heft 42 über das Hilti-Unternehmen in Liechtenstein und dessen braune Vergangenheit.

Mehr lesen:

„Konjunkturpakete entfachen nur teure Strohfeuer “ Es war einmal ein CDU-Politiker namens Friedrich Merz, der zum Wirtschaftsfachmann hochgeschrieben wurde, seit er Steuererklärungen auf die Größe...

2 Gedanken zu “Reinhold Würth – der Oligarch von Schwäbisch-Sibirien”

Kommentare sind geschlossen.