„Holen wir uns die Elbe zurück!“

Alternative Hafenrundfahrt des Förderkreises Rettet die Elbe wird 40 Jahre alt

„Holen wir uns die Elbe zurück!“ – unter diesem Motto mobilisierten im Sommer 1981 junge Leute von Gorleben bis Cuxhaven gegen den steten Missbrauch der Elbe und ihre Entfremdung zum Industriekanal. Im Folgejahr wurde daraus die Alternative Hafenrundfahrt des > Förderkreises „Rettet die Elbe“ e.V. < (RdE): Herzlichen Glückwunsch zum 40. Geburtstag.

Sie nannten sich Kuttergruppe und sie wollten ihre Segelleidenschaft mit politischem Engagement verknüpfen: Von Hamburg ausgehend startete besagte Schar junger Menschen Ende Juni 1981 eine mehrwöchige Aktionsfahrt mit mehreren Dutzend Schiffen elbauf- und -abwärts. Mit Plakaten und Infotafeln, Vorträgen, lokalen Demos und Musik machten sie mobil und erregten nicht nur mediales Aufsehen. Aus der viel beachteten, aber einmaligen Aktion wurde im Folgejahr die Alternative Hafenrundfahrt als lokales Ereignis, das bis heute Bestand hat.

Der Korrektheit halber: RdE, eine 1978 gegründete Initiative, war anfangs nicht Alleinveranstalter. Neben der Kuttergruppe gehörte vor allem die Umweltschutzgruppe Physik/Geowissenschaften dazu: Uni-Studenten, die sich fachlich und politisch mit den Problemen industrieller Abwassereinleitungen befassten. Als die Kuttergruppe sich kurz darauf auflöste, teilweise dem Förderkreis beitrat, übernahm RdE verantwortlich die Organisation der Fahrten. Und dabei ist es bis heute geblieben – übrigens in langjähriger Kooperation mit der Barkassen-Centrale Ehlers, einem der vielen heimischen Anbieter von Ausflugs- und Rundfahrten durch Hamburgs Häfen und Kanäle.

Die erste dieser Touren sollte eigentlich nur einer Schar von Presseleuten eine kritische Sicht auf die Probleme der Elbe durch Stadt, Häfen und Industrie vermitteln. Thomas Kleineidam, Mitglied der kurz Geos genannten Umweltschutzgruppe und erster Referent auf dieser Fahrt, erinnert sich: „Das Medienecho war gut und so entstand daraus die Idee, eine Alternative Hafenrundfahrt zu entwickeln und anzubieten.“ Von Anfang an seien die Fahrten gut angenommen worden. Von April bis September legte jeden Freitag Nachmittag eine Barkasse vom Anleger Vorsetzen ab und tuckerte – nach kurzem Abstecher durch die rechtselbische Speicherstadt – rund anderthalb Stunden durch Kanäle und Hafenbecken der linken Flussseite. Vereinzelt waren die planmäßigen Fahrten so frequentiert, dass sofort anschließend eine weitere organisiert werden musste; Gruppen oder Schulklassen konnten zudem Sondertermine buchen. Im Prinzip ist es bis heute dabei geblieben, nur hat die Häufigkeit d er Fahrten leicht abgenommen, weil den Akteuren der Nachwuchs fehlt. Vielleicht trägt ja dieser Beitrag dazu bei, dass sich das ändert…

Langsames Umdenken

Klar hat sich das Spektrum der Themen, über die auf diesen Fahrten referiert wird, im Laufe der Jahrzehnte verändert. Vereinzelt erledigten sich Probleme positiv, in leider vielen anderen Fällen musste ihre Erwähnung indes negativ angepasst werden. Weitere Themen kamen hinzu, weil in Hamburg ein Umdenken der Polit- und Wirtschafts-Akteure in Richtung Vorsorge und Rücksicht nur sehr langsam vonstatten geht.

Der Vollständigkeit und Fairness halber: Es gab und gibt vergleichbare, weitere Alternativ-Rundfahrten anderer Veranstalter. Beispielhaft genannt seien hier die Rundfahrt „Hamburg im Nationalsozialismus“ der KZ-Gedenkstätte Neuengamme – ihr erster Termin in diesem Jahr ist der 24. April. Nicht mehr angeboten wird die jahrelang veranstaltete Hafenrundfahrt der DGB-Jugend zur Arbeit im Hafen und an Bord. Dafür nimmt sich die Hafengruppe Hamburg auf gelegentlichen Touren auch dieser Themen an, obwohl sich ihre Rundfahrten, in diesem Jahr ab 8. April, eigentlich mit den Ungerechtigkeiten des Welthandels und Fragen der Migration befasst. Auf lange Sicht hat jedoch keine dieser Veranstaltungen die Kontinuität bewiesen und die Akzeptanz erlangt wie die des Förderkreises Rettet die Elbe.

Traditionelle Hafenrundfahrt-Veranstalter, deren „Koberern“ kein Spaziergänger an den Hamburger Landungsbrücken entgehen kann, schippern ihre Passagiere durch Hafenbecken und schwärmen von den Schiffen – je größer, desto lauter –, erzählen jede Menge Seemannsgarn und andere Märchen über fremde Länder und Meere. Nicht so die Alternative Hafenrundfahrt: RdE wollte nie eine „reine Umweltfahrt“ machen, sondern sich auf die „Wechselwirkungen zwischen Ökologie, Wirtschaftsweise, Standort- und Sozialpolitik am Beispiel Hafen“ fokussieren. Es ging und geht darum, „die anderen Seiten“ des Hafens erfahrbar und begreifbar zu machen – statt Jubels über immer größere Schiffe, schnellen Güterumschlag und glänzende Geschäfte geht es auf den RdE-Ausflügen um Geschichte, Gegenwart und Zukunft interkontinentaler Handelsschifffahrt samt Hafenbaus und andauernder Elbvertiefungen, um verschwundene – vom Hafenbau versch lungene – Dörfer und Stadtteile. Dauerhaft aktuelle Themen sind auch der Verbleib hochgradig mit Schadstoffen belasteten Baggerguts, die Frage, warum die Elbe kein Badegewässer mehr ist, die Dezimierung oder Ausrottung von Fischpopulationen durch Sauerstofflöcher oder Gifte im Wasser. Es geht um Emissionen und belastende Folgen von hafennaher Industrie, von Kraftwerken und kommunalen Klärwerken, von Seeschiffen, die Raffinerie-Sonderabfälle als Treibstoff nutzen dürfen; um vollmundige Versprechen von Arbeitsplätzen, die dann doch ausbleiben, oder von Wohlstand, der letztlich nur einer Minderheit zugute kommt. Das alles und mehr wird referiert – unter der nachdrücklichen Betonung, dass die Milliarden-Kosten des Hafens, der Vertiefung, des Baggerns, der Infrastruktur und etlicher weiterer Faktoren allein der Allgemeinheit aufgebürdet werden.

Schnell veränderliches Hafengeschehen

Das alles mag hier und jetzt sehr oberflächlich und parolenhaft klingen. Tatsächlich offenbart sich Teilnehmenden einer Alternativen Hafenrundfahrt ein multiples Erlebnis: Fundierte Information, die historische Hintergründe mit aktuellen Zusammenhängen verknüpft und dabei eben, dem eigenen Anspruch gemäß, Wechselwirkungen in jeder Hinsicht zu berücksichtigen weiß. Die jeweiligen RdE-Referenten an Bord haben sich mit langjähriger Erfahrung und weitreichender Fachbereichs-Vernetzung ein tiefgreifendes Wissen erarbeitet. Auch sie mussten anfangs erst lernen, den Anforderungen unterschiedlich-ster Passagiere gerecht zu werden, die anderthalb Stunden währende Fahrt thematisch nicht zu überfrachten, den Gästen Zeit zu geben zum Gucken ebenso wie zum Fragen und Diskutieren. Und selbstverständlich geht ihr immer ehrenamtlicher Job mit kontinuierlichem Lernen einher, denn es gilt, das schnell veränderliche Hafengeschehen in die nächsten Vortrà 4ge einfließen zu lassen.

Es ist weder sinnvoll noch leistbar, an dieser Stelle eine Alternative Hafenrundfahrt detailliert zu beschreiben: Zum einen würde es den Rahmen dieses Artikels sprengen, zum anderen soll dieser Text ja die Teilnahme an einer Rundfahrt keinesfalls ersetzen – ihr Beginn ist, kein Scherz, in diesem Jahr am 1. April –, sondern Lust drauf machen. Also sei es gestattet, sich hier auf einige Beispiele zu beschränken, was Passagiere einer Rundfahrt erwartet – notiert auf der Abschlusstour der Saison 2021, geleitet von RdE-Referent Klaus Baumgardt, einem promovierten Chemiker.

Erste Etappe ist ein Blick in die Historie: Das mittelalterliche Geschäftsmodell „Marktplatz“ wurde im 19. Jahrhundert ersetzt durch den Industriehafen und globalisierten Handel. Die Struktur der gesamten Stadt wurde dem angepasst, das gemischte Quartier Wandrahm abgerissen und durch die Speicherstadt ersetzt, einem riesigen Ensemble von Lager- und Kontorhäusern, aber ohne Wohnungen. In diese „Räuberhöhle des deutschen Imperialismus“ schleppten die Pfeffersäcke genannten hanseatischen Kaufleute ihre Beute, fasst Baumgardt den Abstecher in Richtung Zollkanal zusammen.

Auf dem Weg ins linkselbische Hafenareal kommentiert er die protzende Hafencity ebenso wie das Milliardenprojekt Elbphilharmonie. Die Barkasse schippert durch den Steinwerder Hafen und den Reiherstieg, vorbei an Raffinerien, Reparaturdocks und Werkshallen. Unterwegs erzählt er, was aus Mineralöl- oder Chemieindustrie im Laufe der Jahrzehnte an giftigen, krebserregenden, persistenten Substanzen in den Fluss geleitet oder in die Luft geblasen worden ist. Vor allem öffentlicher Druck – nicht zuletzt dank der Alternativen Hafenrundfahrten – führte zu schärferen Umweltgesetzen, die Abwasserklärung und Rauchgaswäsche erzwangen. Einige wenige Betriebe taten sogar noch mehr.

Der Fall Affi

So stritten etwa RdE – und vor allem die Geos mit Probennahmen, Studien und Broschüren – jahrzehntelang mit der Kupferhütte Norddeutsche Affinerie (Affi), heute Aurubis genannt, wegen der von ihr ausgehenden lokalen Umweltverschmutzung durch Schwermetalle und Schwefelabgase. RdE bestätigt heute, das Unternehmen habe „starken Ehrgeiz entwickelt, Kupfer umweltverträglich herzustellen, mit in Hamburg respektablen Ergebnissen“. Am Beispiel der Ok-Tedi-Mine auf Papua-Neuguinea, deren wichtigster Kunde die Affi war, drängte RdE die Firma, auf umwelt- und sozialverträgliche Gewinnung von Kupfererzen zu achten: Auch da, so Baumgardt, habe der Konzern Fortschritte gemacht. Eindringlich warnt er aber vor den Bestrebungen, die begehrten Rohstoffe der Tiefsee zu entreißen: Das Recycling-Potential sei noch längst nicht ausgeschöpft.

Die Barkasse fährt derweil am Containerterminal Tollerort (CTT) vorbei – die jüngst vereinbarte Beteiligung der chinesischen Staatsreederei Cosco drohe, zum Ausverkauf des Hafens zu führen. Am Köhlbrand liegt das Containerterminal Altenwerder (CTA): Errichtet 2002 als ultramoderner Umschlagplatz unter weitgehendem Verzicht auf menschliche Arbeit, sollten hier die größten der großen Schiffe abgefertigt werden können. Dumm gelaufen: Die Megacarrier wuchsen in einem Tempo, dass es die größten schon heute nicht mehr nach Altenwerder schaffen, weil die Köhlbrandbrücke nicht hoch genug ist.

Natürlich darf an dieser Stelle der Rundfahrt ein Kommentar zum benachbarten Vattenfall-Kohlekraftwerk Moorburg nicht fehlen, einem weiteren Paradestück hamburgischer Fehlplanung: 2008 projektiert, als Kohle bereits kritisch gesehen wurde; gegen erhebliche Widerstände, aber unter Regierungsbeteiligung der Grünen, 2015 in Betrieb genommen – und 2021 stillgelegt.

Der CTA ist ein hochsensibles Thema für RdE und die Alternative Hafenrundfahrt: Für diesen Hafen wurde ein traditionelles Fischerdorf von rund 2000 Menschen entsiedelt und dann, samt wertvoller Natur vernichtet. Die RdE-Aktiven waren jahrelang Teil und Motor des Widerstands der Bevölkerung, unter anderem als Mitveranstalter des legendären jährlichen Altenwerder Fischerfests. Aber RdE kann nicht nur feiern, sondern auch recherchieren und analysieren: Immer wieder hat sich die Organisation mit fundierten Statistiken und Studien eingemischt in die hamburgischen Debatten um das Containergeschäft, die Hafenerweiterungen oder die heute kulminierenden Probleme der so genannten Entsorgung von Baggerschlick. Und selbstverständlich wird dies alles und mehr auf den Hafenrundfahrten aktuell thematisiert.

Die Sache mit dem Baggern

Beispielsweise auf dem Fahrtabschnitt Köhlbrand-Waltershof vor Rückkehr auf die Norderelbe: Beide Seiten des Waltershofer Hafens sind gesäumt von immer größeren Containerbrücken, der Containerterminal Burchardkai (CTB) des staatlichen Hafenbetreibers HHLA und der Container Terminal Hamburg des Konkurrenten Eurogate liegen einander gegenüber. Hier wie auch an der Fortsetzung des CTB am Elbufer sowie am CTA und CTT machen die großen Pötte fest, für die Hamburgs Politik und Wirtschaft in einem 15 Jahre währenden Gezerre die jüngst beendete neunte Elbvertiefung durchgepaukt haben. Es gab Zweifel, Einwendungen, Gerichtsverfahren, Proteste – vergebens, am Ende wurde doch gebaggert. Baumgardt weist in teilfrustrierter Süffisanz darauf hin, wie RdE all die Jahre den Streit begleitet hat mit immer fundierteren Statistiken und Untersuchungen, um zu beweisen, dass die Kalkulationen der Hafenplaner unhaltbar seien. Am Ende ist nun der Fluss sozusagen ti efergelegt – aber die Schiffe bringen trotzdem nicht mehr Ladung. Das ganze Vorhaben ist seine Kosten von 800 Millionen Euro und die Risiken für die Umwelt nicht wert.

Dafür hat Hamburg – brandaktuelles Thema – ein lange vorhandenes anderes Problem potenziert: Es musste nicht nur für die Vertiefung, nein, es muss fortlaufend gebaggert werden, um die den Reedern versprochene Fahrwassertiefe halten zu können. RdE hat, wie andere Verbände auch, seit Jahrzehnten davor gewarnt, ist ignoriert, beschimpft oder belächelt worden. Aber wenn Baumgardt heute während der Rundfahrt das Problem anspricht, kann er sich eine gewisse Häme kaum verkneifen. Denn unter Aufwendung von jährlich rund 150 Millionen Euro Steuergeldern – Tendenz steigend – muss von Hamburgs Hafenbecken über die gesamte Unterelbe bis Cuxhaven kontinuierlich gebaggert werden. Niemand weiß, wohin auf Dauer mit dem teilweise schadstoffbelasteten riesigen Baggergutvolumen: Die Verklappung vor Helgoland wird in Bälde gestoppt, weil Schleswig-Holstein sich querlegt, die jüngst gehandelte Option einer Verklappung vor Scharhörn stößt auf Nieder sachsens Widerstand, andere Klappstellen, Deponien, Spülfelder sind nicht in Sicht oder längst überfüllt. Frei nach Goethe lässt die Debatte um die Elbvertiefung sich in die Worte fassen: „Die ich rief, die Bagger, werd‘ ich nun nicht los.“

Fäkalien und Rüstung

Vom Waltershofer Hafen geht die Rundfahrt zurück zum Anleger Vorsetzen – nicht nur vorbei am CTB und CTT, sondern dazwischen auch am Köhlbrandhöft: 1961 baute Hamburg hier erstmals ein Klärwerk, 1988 erfolgte der Umbau zu einer biologischen Anlage. Auch die traditionsreiche Werft Blohm & Voss, die den Fluss und den Hafen jahrzehntelang mit Giftstoffen unterschiedlichster Art traktiert hat und sich auch heute längst nicht problemlos geriert, wird passiert: Das Unternehmen schräg gegenüber den Landungsbrücken gehört seit kurzem dem Bremer Schiffbauer Lürssen, einem der größten maritimen Rüstungskonzerne.

Zwischen Fähren, Schleppern und anderen Barkassen kehrt das Ehlers-Boot zu seinem Anleger unterhalb der neu getauften Jan-Fedder-Promenade zurück. Die Rundfahrt hat ihren Passagieren längst nicht alle Fragen beantworten können: Missbrauch der Elbe, Raubbau an ökologisch sensiblen Landschaften, verseuchte Abwässer, schädliche Emissionen – Raffinerien, Stahl- oder Alu-Werke, Erz-, Kali-, Öl-, Schrott- oder Kreuzfahrer-Umschlagsanlagen verursachen noch immer Belastungen mit Folgen für viele Generationen. Die Elbfischerei ist nach rund 100 Jahre währendem Rückgang durch Gifte und Verbau heute so gut wie erledigt, eines der letzten Aufwuchsgebiete für Jungfische der Tideelbe im Mühlenberger Loch wurde dem Ausbau des Airbus-Werks geopfert. Die ständige Baggerei trübt das Wasser und zehrt Sauerstoff, so dass sich die Fische nicht wieder erholen.

Wer dies und mehr genauer wissen will, sollte sich in diesem Frühjahr oder Sommer zu einer Alternativen Hafenrundfahrt des Förderkreises Rettet die Elbe anmelden * – und sich vielleicht auch für deren langfristigen Fortbestand engagieren.

Burkhard Ilschner ist verantwortlicher Redakteur des Projekts Waterkant: 1986 als maritime Zeitschrift gegründet, musste deren Print-Erscheinen Ende 2019 eingestellt werden; seither wurde daraus ein kostenloses digitales Informationsprojekt zur Meerespolitik: https://waterkant.info – Mitmachen ist durchaus erwünscht.

Der Autor bedankt sich herzlich bei Klaus Baumgardt und Thomas Kleineidam für ihre Unterstützung.

* https://rettet-die-elbe.de/hafenrundfahrt/Hafenrundfahrt.php