Einfach genial: Gelbe Westen als Protestsymbol

Frankreich: Eine Bewegung mit widersprüchlichem Charakter bringt Präsident Macron in Schwierigkeiten

Ein Symbol ging um die Welt: Das Tragen von gelben Warnjacken bei sozial oder ökonomisch motivierten Protesten wurde im Spätherbst 2018 nahezu weltweit beobachtet. Ob am 4. Dezember im südirakischen Basra, bei Protesten für eine bessere Wasser- und Energieversorgung, ob am 18. Dezember im israelischen Tel Aviv bei einer Demonstration gegen Preissteigerungen, ob zwischenzeitlich in Brüssel und weiteren belgischen Städten oder beim Protest gegen eine als „Sklavengesetz“ bezeichnete Arbeitsrechtsnovelle in Ungarn – überall waren die gelben Jacken in Neonfarben präsent.

Auch in Deutschland übrigens, wo das Symbol allerdings frühzeitig durch die extreme Rechte vereinnahmt und zu Auftritten gegen den – am 10. Dezember 2018 in Marrakesch unterzeichneten – „Pakt zur Migration“ der Vereinten Nationen benutzt wurde. Eine Initiative der „Gelben Westen Dortmund“versuchte dem allerdings mit progressiven Inhalten entgegenzusteuern. Eine Auseinandersetzung um den mit dem Protestzeichen zu verbindenden Sinngehalt (und damit auch um politische Hegemonie über die Bewegung), die auch in seinem Ausgangsland selbst, also in Frankreich, heftig geführt wurde und wird.

Erstmals vorgeschlagen wurde diese Bekleidung als Protestform tatsächlich ab Ende Oktober 2018 in Frankreich, wo es ab dem 17. November zu Verkehrsblockaden an Mautstellen, auf Autobahnzubringern und an Kreisverkehren, aber auch zu wiederholten Straßendemonstrationen sowie zu Krawallen unter anderem im Pariser Zentrum kam. Immer samstags ging die heterogen zusammengesetzte Protestbewegung auf die Straßen und öffentlichen Plätze, vom 17. November bis zum 22. Dezember wurde so nacheinander zum „Akt Eins“, „Akt Zwei“… bis zum „Akt Sechs“ aufgerufen. Allgemein wurde erwartet, dass die Weihnachtsfeiertage (nach Redaktionsschluss) zu einem – zeitweiligen oder längerfristigen – Abklingen der Aktionen jedenfalls in ihrer bisherigen Form führen würden. Sicher ist das nicht.

Schließlich war es eine geniale Entscheidung, die Verwendung der gelben Warnjacken vorzuschlagen, ist deren Präsenz in jedem Pkw doch gesetzliche Vorschrift. Bislang wurden sie unter dem Fahrer- oder Beifahrersitz oder im Kofferraum bereitgehalten. Seit dem 18. November sieht man jedoch im täglichen Straßenverkehr oder in geparkten Autos unzählige gelbe Westen auf den Armaturenbrettern oder auf den Vordersitzen sichtbar angebracht, von Radfahrern getragen oder auf andere Art und Weise demonstrativ zur Schau gestellt.

Doch worum ging es? Den Anlass zu Unmut und Protest bot eine damals angekündigte, inzwischen – jedenfalls für 2019 – stornierte Spritsteuer-Erhöhung. Diesel sollte um sechs und Benzin um drei Cent pro Liter stärker besteuert werden, und die Treibstoffsteuer sollte bis 2023 schrittweise weiter ansteigen. Begründet wurde dies mit dem offiziell zum Regierungsprogramm gehörenden ökologischen Umbau (transition écologique)– vor allem mit der Förderung der Elektromobilität, die so ökologisch freilich nicht ist, denkt man an die Fabrikation und spätere Entsorgung der erforderlichen Batterien. Real waren von eingeplanten vier Milliarden Euro jedoch weniger als eine Milliarde für ökologische Maßnahmen eingeplant, der Rest schlicht zum Stopfen von Löchern in der Staatskasse. Denn die Regierung unter Emmanuel Macron betreibt seit ihrem Antritt im Mai 2017 einen systematischen Abbau direkter, einkommensprogressiver Steuern sowie von Sozialabgaben, die von Unternehmern zu bezahlen sind, durch einen Anstieg von nicht einkommensprogressiven Kopfsteuern (wie der „Allgemeinen Sozialabgabe“ CSG, derzeit rund neun Prozent des steuerpflichtigen Einkommens) und Verbrauchssteuern. Als nicht einkommensprogressive Konsumsteuer gilt die Spritsteuer als im Kern sozial ungerecht.

Dagegen richtete sich ein doppelter Protest insofern, als er aus zwei unterschiedlichen Milieus kam. Einerseits meldete sich ein generell steuerfeindlicher Protest von Mittelständlern zu Wort. Dieser steht in Frankreich in der Tradition der „Steuerrebellen“ unter Pierre Poujade, der 1956 seinen Höhenflug erlebte, als damals auch ein gewisser Jean-Marie Le Pen für diese Poujade-Bewegung in die Nationalversammlung einzog.

Auf der anderen Seite wies die beginnende Protestbewegung eine stärker „sozial“ geprägte Komponente auf, deren Protagonisten die höheren Einkommen kritisierten und auf mehr „Steuergerechtigkeit“ pochten, statt grundsätzlich Besteuerung in Frage zu stellen. Auch verteidigten diese Kräfte nicht pauschal unkritisch den motorisierten Individualverkehr, wie dies die reaktionäreren Kräfte tun.

Dieser Doppelcharakter drückt sich darin aus, wie sich unterschiedliche Teile der französischen Wählerschaft zu dem Protest stellten. Einer am 30. November veröffentlichte Umfrage ergab, dass dieser Protest vor allem in zwei höchst unterschiedlichen Wählergruppen verankert ist: Deutliche Unterstützung zeigten auf der einen Seite 68 Prozent der Wählerschaft des rechtsextremen Rassemblement National (RN, ehemals Front national). Auf der anderen Seite erklärten 45 Prozent der Wählerinnen und Wähler des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon ihre Unterstützung für den Gelbjackenprotest.


Aus diesem faktischen politischen Crossover-Phänomen resultierte auch die anfänglich erhebliche Zurückhaltung der französischen Gewerkschaften. Doch im Laufe der Wochen gab es hier eine deutliche Veränderung. So schlossen sich an der Basis zahlreiche Kreisverbände der CGT dem Protest faktisch an, während ihr Dachverband zu eigenen Protesttagen unabhängig von den Gelben Westen mobilisierte. Der „Aktionstag“ der CGT am 14. Dezember wurde jedoch nur in geringem Ausmaß befolgt. Laut Angaben des Innenministeriums demonstrierten frankreichweit 15.000 Menschen aus diesem Anlass, der Dachverband CGT sprach von doppelt so viel – so sieht kein Erfolg aus. Am 8. Dezember rief unteressen der linksalternative gewerkschaftliche Zusammenschluss Solidaires erstmals explizit zum Protest in Verbindung mit der „Gelbwesten-Bewegung“ auf. Gewerkschaftliche und linke Akteure versuchten, die Bewegung vor allem in Richtung Sozialprotest und Forderung nach Steuergerechtigkeit zu orientieren und dabei auch ökologische Belange zu berücksichtigen.

In Städten wie Rennes, Nantes und Toulouse klinkten Gewerkschaftsstrukturen sich schon relativ frühzeitig aktiv in die Protestbewegung ein. Dadurch wandelte die Protestbewegung in Teilbereichen ihren Charakter, je nach örtlicher Zusammensetzung.

Bis Ende des Jahres 2018 wies die Protestbewegung allerdings beide Facetten auf. An militanten Auseinandersetzungen mit der Polizei sowie Ausschreitungen, wie sie vor allem am 1. und 8. Dezember im Zentrum von Paris stattfanden, beteiligten sich sowohl militante Faschisten aus außerparlamentarischen rechtsextremen Gruppen, etwa demBastion Social, als auch anarchistische Strömungen wie die Insurrektionalisten. Beide arbeiteten keineswegs zusammen, sondern waren parallel zueinander ohne jegliche Absprache oder Koordination aktiv. Hinzu kamen Gelegenheitsrandalierer und Plünderer – die am 3. und 10. Dezember den Richtern vorgeführten Festgenommenen waren meist sozial prekär lebende junge Männer aus kleinen Provinzstädten, die zum ersten Mal im Leben an einer Demonstration teilnahmen, sich vom Aktionsfieber anstecken – und dann dabei erwischen ließen.

Ab dem 26. November trat die Bewegung insofern strukturierter auf, als sich an diesem Tag ein offizieller Sprecherausschuss aus acht Personen bildete, der einen Forderungskatalog mit 42 Punkten aufstellte. Dazu hatten sich zunächst einige, die von Anfang an aktiv waren, im Raum Paris versammelt und dann Tausende von Sympathisanten per Facebook konsultiert. Allerdings wurde von Teilen der Protestbewegung, vor allem in West- und Südfrankreich, die Legitimität dieser Vertreter in Frage gestellt. Mehrere Medien, so die Zeitung Le Parisien, untersuchten die Biographien dieser acht, insbesondere deren Facebook-Seiten. Demnach hat die Mehrheit unter ihnen einen eher rechten, zwei dagegen haben einen eher linken respektive gewerkschaftlichen Hintergrund. Am bekanntesten wurden der Lkw-Fahrer Eric Drout, dessen Publikationen aus früheren Monaten eher einen rechtslastigen Background haben, und die (schwarze) Karibikfranzösin und Kleinunternehmerin Priscillia Ludoksy.

Bernard Schmid besitzt selbst keine gelbe Warnweste, da er kein Auto sein eigen nennt und zu den Kritikern des motorisierten Individualverkehrs zählt. Dennoch interessierte er sich von Anfang an für diese neue, spannende, heterogene, in Teilbereichen auch problematische Protestbewegung und war bei mehreren ihrer Demonstrationen in Paris mit dabei. Festgenommen wurde er selbst nicht, da er es schaffte, unauffällig auszusehen; als Anwalt beriet er einen der Aufgegriffenen.

Anmerkung der Webredaktion: Dieser Artikel erschien zuerst in dem Lunapark21-Heft Nr. 44 am 8. Januar 2019