Die US-Notenbank stützt seit September den in Geld schwimmenden Finanzmarkt mit Zusatzmilliarden

Das Finanzkapital schwimmt in Liquidität. Zugleich herrscht die Angst vor jenem Moment, wenn das viele Geld plötzlich verschwindet. Der IWF (Internationale Währungsfonds) unter seiner neuen Chefverwalterin Kristalina Georgiewa berichtet in warnendem Ton, dass die Unternehmen in vielen kapitalistischen Ländern, von den USA über Westeuropa bis China und Japan, ihre Verschuldung in den letzten dreizehn Jahren dramatisch erhöht haben. Wie das? Haben nicht die Unternehmen – zumindest in Ländern wie USA, Deutschland und China – seit 2013 satte Gewinne gemacht und andererseits – besonders in Deutschland – den hohen Cash-flow (frei verfügbare hereinkommende Zahlungen) nur zögernd investiert? Wo ist das überschüssige Geld jetzt? Es liegt gewissermaßen auf der hohen Kante. Es ist zwar investiert, aber im Finanzsektor untergebracht oder, im Alltagsdeutsch gesprochen, gespart.

Frau Georgiewa hatte von der Bruttoverschuldung gesprochen. Netto sind die Unternehmen weniger verschuldet als früher. Das heißt, die Produktionsunternehmen schwimmen in Liquidität, sind aber zugleich hoch verschuldet. Die Unternehmen bringen ihre Überschussliquidität als kurzfristige Einlage oder längerfristiges Darlehen bei den Banken (und Schattenbanken) unter, sie kaufen Geldmarkt- und andere Fondsanteile sowie noch stärker als früher eigene Aktien zurück – Letzteres verringert ihr Eigenkapital, erhöht also auch ihre Nettoverschuldung. Die Banken, Schattenbanken und Fonds ihrerseits kaufen Aktien und geben das Geld weiter als Kredit an traditionelle Unternehmen, Häuslebauer, Staaten und Staatsinstitutionen sowie immer mehr an spekulativ tätige Hedge- und Private Equity Fonds.

Die IWF-Direktorin warnt, dass im Fall eines konjunkturellen Abschwungs Unternehmenskredite im Wert von 19 Billionen (19.000 Mrd.) Dollar gefährdet seien, was 40 Prozent der Gesamtschulden der acht größten Industrienationen entspreche. Natürlich werden Kredite dieser Summe nicht auf einen Schlag faul. Die Angst geht aber um, dass ein, zwei oder drei größere Schuldner ihre Kredite nicht mehr bedienen können, dass daraufhin die Kreditgeber der betroffenen Branche ihr Geld schnell zurückfordern und damit weitere Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten bringen. Um ihre Schulden zu begleichen, fordern die klammen Unternehmen ihrerseits das von ihnen investierte (alias bei Banken und Fonds deponierte) Geld zurück. So bringt, zusätzlich zu den faul gewordenen Kreditsummen, der Rückfluss der Forderungen einige Banken in Schwierigkeiten. Das ist der gefürchtete Moment, wenn die Liquidität plötzlich verschwindet.

Vor gut zwei Monaten, am 16. September schien dieser Augenblick schon gekommen zu sein. Am US-Geldmarkt schossen die Zinsen für die sogenannten „Fed-Funds“ um bis zu 0,10 Punkte nach oben. Am Geldmarkt kaufen und verkaufen die Banken untereinander kurzfristigen Kredit – von einem Tag Laufzeit bis zu drei Monaten. Kredit bester Qualität sind die kurzfristigen Schuldpapiere, eben jene Fed-Funds der US-Notenbank Fed, die als Schöpferin des Dollars per Definition nicht Pleite gehen kann und den Zins für diese Papiere in der angekündigten Spanne („Leitzins“, derzeit 1,5 bis 1,75 Prozent) hält.

Normalerweise geschieht das geräusch- und problemlos. Dass es an diesem Tag und den folgenden zunächst nicht gelang, zeigt, dass zumindest einige Banken nicht mehr bereit waren, anderen kurzfristigen Kredit zu geben. Sie misstrauten einander, ganz so wie an jenem 9. August 2007, als die große Finanzkrise einsetzte. Ganz wie im August vor zwölf Jahren spendete die US-Notenbank Extraliquidität von einigen 70 Milliarden Dollar und wiederholte den Vorgang täglich.

Fed-Chairman Jerome Powell hat angekündigt, dass die Extraliquidität von der Notenbank zur Dauereinrichtung werden wird. Zusätzlich hat die Fed am 14. November weitere Liquiditätsspenden von jeweils mehreren Zehn Milliarden Dollar und Extrakredit über den Jahreswechsel hinweg angekündigt, an dem wegen des Bilanztermins besonders hoher Bedarf an Liquidität besteht. Powell behauptet, dass diese Maßnahmen nicht wie die Anleihekäufe früherer Jahre und wie sie die Europäische Zentralbank heute wieder betreibt, dem Zweck dienen, die Kreditvergabe und die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen. Vielmehr brauche der in Geld schwimmende Finanzmarkt diese Zusatzmilliarden. Wozu? Um dem drohenden Crash zu entkommen.

Erstaunlich ist eigentlich, wie groß die Angst vor dem Crash ist, obwohl die staatlichen Stellen deutlich machen, dass sie immer und überall zur Stützung bereit sind.

Lucas Zeise ist Wirtschafts- und Finanzjournalist. Er schreibt regelmäßige Beiträge über das wirtschaftliche Geschehen im Weltkapitalismus in der Tageszeitung junge Welt