Aufmarsch im Indopazifik

US-Militärbasen, koloniale Traditionen, (deutsche) Kanonenbootpolitik

Was die jährlich im Februar stattfindende Münchener Sicherheitskonferenz mit Bezug auf Nato-Strategie und deren Umfeld verkörpert, ist in Fernost der Shangri-La-Dialog, die Asien-Sicherheitskonferenz in Singapur. Bei der jüngsten Tagung Anfang Juni kündigte der deutsche  Verteidigungsminister Boris Pistorius an, dass die Bundeswehr ihr Engagement im Indopazifik „in den nächsten Jahren verstetigen“ müsse.

Schon seit Jahren betrachten die USA China als neuen strategischen Rivalen und leiteten eine massive Aufrüstung ihrer Basen im Pazifik ein, wo sie ohnehin seit dem 19. Jahrhundert, der Zeit ihrer ersten imperialen Ausdehnung, militärisch präsent sind.

Koloniale Kontinuität der US-Präsenz

In seinem 2009 erschienenen Buch „Island of Shame“ behandelt der US-amerikanische Anthropologe David Vine das „Strategic Island Concept“ des US-Militärs. Das beruht im Prinzip auf einigen Deals von US-Regierungen mit dem vormals britischen Imperium, die bis auf das Jahr 1940 zurückgehen. Damals ließ US-Präsident Franklin Delano Roosevelt Kriegsschiffe an Großbritannien liefern, das im Krieg gegen Deutschland stand. Im Gegenzug überließen die Briten den Amerikanern einige Inseln ihres Imperiums. So gelang der erste strategische Schritt zur weltweiten Präsenz mit Militärbasen, die die USA nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich ausbauten. In seinem Buch „Base Nation“ von 2015 gibt Vine einen Überblick über größere und kleinere US-Militärstützpunkte, deren Anzahl er mit 800 beziffert. Auf diese Zahl beziehen sich zahlreiche Publikationen der vergangenen Jahre. Die methodisch korrekte Ermittlung einer Gesamtzahl ist zwar au s verschiedenen Gründen als problematisch anzusehen, jedoch ist unstrittig, dass die USA mehr als 90 Prozent aller ausländischen Militärbasen unterhalten. Wenn man die Übersee-Militärbasen von Großbritannien und Frankreich hinzunimmt, erreichen die Nato-Staaten einen Anteil von mindestens 95 Prozent aller weltweiten, ausländischen Militärbasen.

Militärbasen als (neo-)kolonialer Zustand

Hawaii ist dabei nicht mitgerechnet. Wegen seiner strategischen Bedeutung wurde Hawaii bereits 1898 während des Spanisch-Amerikanischen Krieges per Beschluss des US-Kongresses annektiert und nach dem Ersten Weltkrieg zum wichtigsten Flottenstützpunkt der USA im Pazifik ausgebaut. Im Zweiten Weltkrieg wurden nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor rund 500.000 US-Soldaten dort stationiert, in etwa der damaligen Einwohnerzahl entsprechend. Nach dem Krieg erwuchs ein starker Widerstand der Urbevölkerung gegen die US-Militärpräsenz, der bis heute anhält. Dem wurde jedoch 1959 mit der Aufnahme von Hawaii als 50. Bundesstaat der USA die Speerspitze genommen. Damit hat Hawaii ein Privileg, das etwa Puerto Rico in der Karibik mit vergleichbarer US-Militärpräsenz nicht vergönnt ist.

Statistisch gesehen gehört Hawaii damit jedenfalls nicht zu den Überseeregionen der USA im Pazifik mit starker Militärpräsenz. Diese sind vor allem Guam und darüber hinaus die Nördlichen Marianeninseln, die Marshall-Inseln und andere.

Die stärkste Präsenz der USA außerhalb ihres Territoriums mit zirka 43.000 Militärangehörigen besteht in Japan, wovon mehr als die Hälfte auf Okinawa stationiert ist. Für Deutschland beläuft sich die Zahl der im Ausland stationierten Truppen aktuell auf etwa 38.000.

Globalisierung lokaler Umweltzerstörung

Neben der grundsätzlichen Problematik US-amerikanischer Militärpräsenz und den geopolitischen Implikationen spielen die Umweltbelastungen eine wesentliche Rolle. Im Unterschied zu den meisten Militärstandorten in anderen Teilen der Welt, wo die Verseuchung von Boden und Grundwasser sowie Luftschadstoffe und Lärm durch den Flugbetrieb wesentlich als lokale Immissionen relevant sind, haben in der Pazifikregion alle Umweltbelastungen eine globale Dimension.

Dass die zivile Nuklearkatastrophe in Fukushima von 2011 eine kontinuierliche Verseuchung des Pazifiks verursacht, die auch die Westküste Amerikas betrifft, ist noch am ehesten in der öffentlichen Wahrnehmung. Weniger hingegen der Atommüll, der durch die langjährigen Atomwaffenversuche der USA im Pazifik existiert. So lagern allein in einem Bunker auf den Marshall-Inseln 85.000 Kubikmeter nuklearen Abfalls. Was seinerzeit als Provisorium vorgesehen war, ist zur Dauereinrichtung geworden, deren Zustand aufgrund von Leckagen im Betondeckel als dramatisch einzuschätzen ist. Inzwischen wirkt sich auch der Klimawandel aus mit Wirbelstürmen und dem Anstieg des Meeresspiegels, so dass die Katastrophe des vermeintlichen Nuklearsarges vorprogrammiert ist. Die US-Regierung fühlt sich jedoch nicht mehr zuständig. Das gilt um so mehr für Umweltverseuchungen in kleineren Dosierungen, deren Anzahl aber gewaltig ist.

Der in Okinawa lebende britische Journalist Jon Mitchell dokumentiert in seinem 2020 erschienen Buch „Poisoning the Pacific – The US Military’s Secret Dumping of Plutonium, Chemical Weapons, and Agent Orange“, in welchem Ausmaß über Jahrzehnte der Pazifik vom US-Militär verseucht wurde. Das beginnt mit Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg, über die chemischen Kampfstoffe aus dem Vietnamkrieg bis hin zu perfluorierten Chemikalien aus biologisch nicht abbaubaren Löschschäumen.

Betroffen ist vor allem Okinawa. Dort wird deutlich, wie die Weltmacht USA der lokalen Bevölkerung und den indigenen Völkern in der Pazifikregion Schaden zufügt.

Okinawa: „Kein Korn Sand für den Krieg“

Obwohl Okinawa nach der kriegsbedingten Okkupation durch die USA 1945 seit 1972 wieder zu Japan gehört, gebärden sich die USA dort immer noch als Besatzungsmacht, was in der jüngsten Vergangenheit auch zu Massenprotesten geführt hat. Unter den insgesamt rund 45.000 auf Okinawa lebenden militärischen und zivilen US-Bürgern ist eine hohe Kriminalitätsrate zu verzeichnen. Durch das für Okinawa geltende Truppenstationierungsabkommen werden aber Gewaltakte des US-Militärs außerhalb militärischer Zonen nie bestraft. Allein zwischen 1972 bis 2015 wurden fast 6000 kriminelle Handlungen durch US-Militärs erfasst, darunter auch zahlreiche Gewaltverbrechen wie Vergewaltigungen.

Darüber hinaus konzentriert sich der Widerstand gegen die US-Präsenz in den letzten Jahren auf die im Bau befindliche Militärbasis Henoko. Um den genannten Problemen aus dem Weg zu gehen, ist die Verlagerung eines zentral gelegenen Militärstandortes in einen dünner besiedelten Teil Okinawas geplant. Die neue Militärbasis im Umfeld des Küstendorfes Henoko zerstört vorhandene Korallenriffe und bedroht Tausende Tierarten, darunter auch einige vom Aussterben bedrohte. Die Start- und Landebahn wird Offshore gebaut, wozu über 35 Millionen Tonnen Erde und Sand ins Meer geschüttet werden. Die auch international kommunizierten Protestaktionen laufen unter dem Motto: „Kein Korn Sand für den Krieg“.

US-Militär plus regionale Frontstaaten

Mit der US-Präsenz ist es freilich in der Region nicht getan. Während man in Deutschland zu Recht das im vergangenen Jahr beschlossene 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket bereits als irrwitzig bezeichnen kann, erreichen die auf Druck der USA ge-planten Aufstockungen der Militärbudgets noch ganz andere Dimensionen. In Japan soll der Etat verdoppelt und in Südkorea sogar verdreifacht werden. Japan wird damit zum Land mit dem drittgrößten Rüstungshaushalt der Welt und beschafft ein Raketenarsenal, das Ziele in China geballt angreifen kann.1

Ähnliches vollzieht sich derzeit in Südkorea. Pikant ist dabei die von den USA erzwungene Annäherung mit Japan, das die Verbrechen aus der Zeit seiner Kolonialherrschaft über Südkorea (1910 bis 1945) bis heute nicht umfassend anerkennt. Entschädigungen für südkoreanische Zwangsarbeiter sollen nun in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit von japanischen Konzernen übernommen werden, was aber in Südkoreas Bevölkerung auf mehrheitlichen Widerspruch stößt.2

Zu den militärischen Planungen im Sinne der US-Konfrontationspolitik gehören inzwischen auch in Südkorea Bestrebungen für eine eigene Atombewaffnung. Der Ausbau der Militärbasen und des Militärpersonals in Südkorea hat aktuell eine ähnliche Dimension wie in Deutschland.

Einkreisung Chinas mit Taiwan

Strategisch geht es für die USA darum, die „erste Inselkette“ rund um China in Beschlag zu nehmen. Diese erstreckt sich von Okinawa im Norden über Taiwan bis zu den Philippinen. Dort gab es vor fast 30 Jahren einen kompletten Rückzug des US-Militärs, der aber seit 2014 in zunächst kleinen Schritten wieder rückgängig gemacht wurde. Seit Anfang dieses Jahres werden die bestehenden fünf Stützpunkte um vier weitere aufgestockt. Im Gegenzug versucht China seine Präsenz auf kleinen Inseln im Südchinesischen Meer auszubauen, deren Beschlagnahme völkerrechtlich umstritten ist.

Im Zentrum der Eskalation steht freilich Taiwan, das vor allem gemäß strategischen Diskursen in den USA von China militärisch bedroht ist. Der US-Politikwissenschaftler Michael Klare freilich, der Mitbegründer des Komitees für eine vernünftige US-China-Politik3 ist, verweist aber darauf, dass solches Szenario in den USA systematisch herbeigeredet werde.4 Da die Volksrepublik China die Wiedervereinigung mit Taiwan als langfristig angelegtes Ziel ansehe, seien für dieses Ziel vor allem wirtschaftliche und soziale Entwicklungen maßgebend. Das schließe zwar militärische Optionen nicht aus, was man aber offenbar seitens der USA bewusst zu provozieren suche.

Germans to the Front

Die zunehmende Bundeswehrpräsenz im Indopazifik wird in Deutschland sicherlich völlig anders wahrgenommen als in China. Während man hierzulande mit dem Schwadronieren über „westliche Werte“ auch gezielt historisches Bewusstsein entsorgt, ist man sich in China nicht nur der eigenen langen kulturellen und politischen Tradition, sondern auch der Etappe europäischer Kolonialisierung, beginnend mit den Opiumkriegen ab 1839 sehr bewusst. In einer späteren Etappe war Deutschland im Rahmen der berüchtigten Kanonenbootpolitik in China an vorderster Front dabei. Dazu gehörte auch die Besetzung der Bucht von Tsingtau ab 1897, die 1918 zwangsläufig endete. Mit dem Verlust des Brückenkopfes in China zerplatzten auch koloniale Expansionspläne. Die Neuauflage der Kanonenbootpolitik dürfte die ohnehin vorhandenen gravierenden Schwierigkeiten deutscher Konzerne in China verstärken. Mit der mittlerweile gewonnenen Wirtschaftsmacht sitzt China am längeren  Hebel für asymmetrische Gegenreaktionen. Wenn man den gegen Russland entfachten Wirtschaftskrieg als Schuss ins eigene Knie bezeichnen kann, so ist die exportfixierte deutsche Industrie mit der auf mehreren Ebenen erfolgenden Eskalation gegen China auf dem Weg in den Selbstmord.

Völlig realitätsfremd wirkt es deshalb, wenn es auf der Homepage der Bundeswehr heißt: „Von der schnittigen Fregatte bis zum topmodernen Unterseeboot – mit ihren Seesystemen ist die Bundeswehr für ihre Einsätze auf allen sieben Weltmeeren vielseitig ausgerüstet.“

Karl-Heinz Peil lebt in Frankfurt a.M. und ist aktiv in der Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ und Betreiber der Websites www.visualbases.org zu fremden Militärbasen sowie www.umwelt-militaer.org zu Umweltbelastungen durch das Militär.

Anmerkungen:

1 German Foreign Policy vom 3. Februar 2023: Die Militarisierung der ersten Inselkette https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9152

2 German Foreign Policy vom 22. Mai 2023: Blockbildung in Ostasien

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9245

3 https://www.saneuschinapolicy.org/who-we-are

4 Telepolis vom 17. April 2023: Wie wahrscheinlich ist eine chinesische Invasion in Taiwan?

https://telepolis.de/-8964870