Vom Mietwucher zum gesellschaftlichen Eigentum

BLOCK 5: WIDERSTAND

Wohnen ist ein Menschenrecht

Das Eigentum von Wohnimmobilien ist in der Bundesrepublik sehr ungleich verteilt. Die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung besitzen ca. die Hälfte aller Immobilien im Land. Gleichzeitig lebt, mit fast 60 Prozent, die Mehrheit der Menschen hierzulande zur Miete. Bei Ein-Personen-Haushalten, welche die mit Abstand größte Gruppe der Miethaushalte ausmacht, beträgt diese Zahl sogar knapp drei Viertel. Durchschnittlich bringen Haushalte etwas mehr als ein Viertel ihrer monatlichen Nettoeinkommen für die Mietzahlungen auf (ohne Heizkosten und Warmwasser). Bei den Ein-Personen-Haushalten liegt die Mietbelastungsquote im Durchschnitt sogar bei über 30 Prozent.

Natürlich gibt es hierbei einen großen Unterschied zwischen dem ländlichen Raum und den Metropolen. Vor allem in den großen Städten gehen die Zahlen noch weiter auseinander. Am stärksten ist das im Osten der Republik zu beobachten. Der Anteil der Menschen, die in den Städten zur Miete wohnt, ist dort besonders hoch. Das hat verschiedene Ursachen, die ihren Ursprung in der Geschichte haben, sowie darin, wie die Integration des Gebiets der ehemaligen DDR in die BRD und der Ausverkauf des ehemaligen Volkseigentums stattgefunden hat.

Leipzig

In Leipzig besitzen heute laut Grundstücksmarktbericht knapp 10 Prozent der Bewohner Wohneigentum, die restlichen 90 Prozent wohnen zur Miete. Diejenigen, die sich Wohneigentum leisten können, kommen auch heute noch in den meisten Fällen nicht aus der Stadt. So kann man bspw. ebenfalls im Grundstücksmarktbericht der Stadt nachlesen, dass 94 Prozent der Käufer von Eigentumswohnungen nicht aus Sachsen kommen.1

Anfang der 90er war Leipzig eine schrumpfende Stadt. Seit gut 15 Jahren wächst Leipzig wieder. Nach jahrelang subventioniertem Abriss wurde mittlerweile dazu übergegangen, auch wieder neu zu bauen.2 Der Neubau erfolgte allerdings oft auch im Bereich der Mietwohnungen nicht für diejenigen, für die es notwendig wäre, zum Beispiel für Familien mit mehreren Kindern und mit Einkommensverhältnissen, die in Leipzig typisch sind. In den vergangenen Jahren hatte die Stadt im Schnitt jährlich ca. 8.000 Zuzüge zu verzeichnen. Diese Zahl ist aktuell wieder etwas rückläufig und liegt derzeit bei rund 4000 pro Jahr. Ende Oktober 2019 gab die Stadt bekannt, dass die Marke von 600.000 Einwohnern geknackt sei.

Heute gilt in Leipzig: Günstiger Wohnraum ist knapp. Es ist im Gegensatz zu den 90er und 00er Jahren für viele nicht mehr so einfach, eine Wohnung zu bekommen, die sie sich auch leisten können. Der stärkste Bedarf ist bei Ein-Personen- und Vier-Personen-Haushalten zu verzeichnen. Der Wohnungsneubau der privaten Immobilienkonzerne zielt aber auch in Leipzig meist am Bedarf vorbei, da dort im Normalfall die Orientierung an Eigentumswohnungen sowie Mietwohnungen im Hochpreissegment stattfindet. Nun hat Leipzig noch eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft und darüber hinaus einige große Wohnungsgenossenschaften. In den Händen der kommunalen LWB befinden sich 2019 ca. 35.000 Wohnungen, das entspricht rund 10 Prozent am Gesamtwohnungsbestand. Zusätzlich kommen alle neun großen Wohnungsgenossenschaften auf etwas über 53.000 Wohnungen, was 16 Prozent entspricht. Das ist immerhin schon ein gutes Viertel der Wohnungen in der Stadt, die im Sinne der Daseinsvorsorge bewirtschaftet werden könnten.

Lag der Leerstand in Leipzig 2009 noch bei 11 Prozent, so gibt die Stadt im Jahr 2019 einen Leerstand von offiziell ca. 2 Prozent an, was etwa 7.000 Wohnungen entspricht. Dabei werden aber nur die Wohnungen berücksichtigt, die auch auf „dem Markt“ sind. Mehr als doppelt so viele stehen tatsächlich leer, werden aber aus verschiedenen Gründen nicht auf dem Markt angeboten. Die offiziellen Leerstandszahlen, ob am Markt oder nicht, sind außerdem immer nur Schätzungen von Seiten der Stadt, da keine umfassende Datengrundlage existiert. Wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht, fragt man sich durchaus, ob die reale Zahl leerstehender Häuser nicht noch weitaus höher liegt. Verwunderlich wäre das nicht, da sich so mancher mit Kauf- und Weiterverkauf von Immobilien – sprich: Spekulation – in den vergangenen Jahrzehnten eine goldene Nase verdient hat. Das Interesse an steigenden Immobilienpreisen geht Hand in Hand mit künstlicher Wohnraumverknappung . Hier müssten Möglichkeiten der Stadt geprüft werden, die Eigentümer zu verpflichten, diese Wohnungen zur Nutzung auch zu öffnen.

2006 und 2007 fand in Leipzig eine lang andauernde Debatte über die Privatisierungspläne des Oberbürgermeisters und verschiedener Stadtratsfraktionen statt. Eine der ersten bevorzugten Privatisierungskandidaten aus dem Eigentum der Stadt Leipzig war die kommunale Wohnungsbaugesellschaft. In der damaligen Debatte wurde der im Frühjahr 2006 durchgezogene Verkauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft als positives Beispiel dafür angeführt, wie sich eine Stadt ihrer Schulden entledigen könne. Nachdem gegen diese Pläne Widerstand in der Stadt laut wurde und auch die Mehrheit im Leipziger Stadtrat nicht zustande kam, wurden in den folgenden Monaten fast alle anderen kommunalen Betriebe und Unternehmen auf den Prüfstand gestellt. Am Ende sollten in einem ersten Schritt die Stadtwerke zu 49,9 Prozent privatisiert und in einem weiteren Schritt die kommunale Holding LVV, die als Dach im Querverbund von Wasserwerken, Stadtwerken und Verkehrsbetrieben fungierte, ebenfal ls zur Hälfte veräußert werden. Der Stadtrat gab dafür mehrheitlich sein Votum. Am Ende scheiterten sämtliche Privatisierungsvorhaben an einem Bürgerentscheid der Einwohner. Anfang 2008 stellte der Entscheid den Privatisierungsplänen des Stadtrats das Votum der Bürgerinnen und Bürger entgegen, welche mit knapp 90 Prozent für den Erhalt in öffentlichem Eigentum stimmten und damit den Privatisierern einen Strich durch die Rechnung machten.

Seither hat sich die Strategie des Verkaufs öffentlichen Eigentums verändert: Statt offensiv die großen kommunalen Betriebe und Unternehmen zu verkaufen, wurden Teilbereiche herausgelöst und in einer Art „Salamitaktik“ veräußert. Dabei wurden in den vergangenen Jahren u.a. Tochterunternehmen der Stadtwerke verkauft, aber auch der kommunale Wohnungsbestand weiter ausgedünnt. Die kommunale Wohnungsbaugesellschaft LWB ist nach wie vor zu 100 Prozent in den Händen der Stadt, allerdings ist der Kernbestand von 38.800 Wohneinheiten im Jahr 2006 auf 31.200 im Jahr 2011 gefallen. Erst in den letzten Jahren gab es wieder einen leichten Anstieg auf aktuell ca. 35.000 Wohnungen. Im Vergleich z.B. mit der Landeshauptstadt Dresden hat die Stadt Leipzig mit der kommunalen LWB ein wichtiges Werkzeug für die Stadtplanung und -entwicklung zur Verfügung und muss dieses nur richtig nutzen und ausbauen.

Dresden

Im Jahr 2006 verkaufte die Stadt Dresden ihren kompletten kommunalen Wohnungsbestand an den US-amerikanischen Hedgefonds „Fortress“. Die kommunale WOBA Dresden GmbH verfügte über etwa ein Fünftel des Dresdner Wohnungsbestandes. Die Veräußerung fand vor dem Hintergrund eines aufgrund von hoher Verschuldung nicht genehmigten städtischen Haushaltes statt. Betroffen waren auch viele Sozialwohnungen. Trotz vieler Warnungen und starker Proteste aus der Bevölkerung konnte der Komplettverkauf nicht verhindert werden. Mit dem Verkauf handelte die Stadt gleichzeitig aus, für die kommenden 30 Jahre weiterhin 10.000 Wohnungen vergünstigt an einkommensschwache Dresdner Bürgerinnen und Bürger mit entsprechender Berechtigung vergeben zu dürfen. Dies bedeutete aber nur kurzfristig eine Entlastung für den Stadthaushalt. Die städtischen Schulden wurden innerhalb kurzer Zeit zurückgezahlt. Damit verzichtete die Stadt auf die kontinuierlichen Einnahmen aus der Wohnungsbaugesellschaft, welche jährlich zwischen 10 und 20 Millionen Euro eingebracht hätten. Noch viel gravierender ist, dass mit dem Verkauf ein wichtiges Werkzeug der Stadtentwicklung aus der Hand gegeben wurde.

Der Finanzinvestor hat nach dem Dresdner Erwerb alle von ihm in der Bundesrepublik aufgekauften Wohnimmobilienbestände in der Bundesrepublik in der Holding GAGFAH zusammengeführt und deren Hauptsitz aus steuerlichen Gründen nach Luxemburg verlegt. Ende 2006 ging die Holding an die Börse.3 Die Privatisierung, der anschließende Börsengang der GAGFAH und die folgenden mehrfachen Weiterverkäufe führten zu einem deutlich spürbaren Anstieg der Mieten in der Stadt. Dieser profitorientierte Handel mit Immobilien, der Verkauf und Weiterverkauf großer Immobilienbestände innerhalb kurzer Zeiträume findet bundesweit seit Jahren statt und sollte verboten werden, denn er ist treibende Kraft bei der sozialen Entmischung der Städte.

Seit 2006 hat sich die Situation deutlich verändert: Dresden erlebt, ebenso wie Leipzig, einen starken Zuzug und die Mieten steigen seit Jahren. Insbesondere einkommensschwache Menschen haben heute Probleme, günstigen Wohnraum zu finden. Die Erkenntnis, dass der Stadt heute ein „Werkzeug“ wie die WOBA fehlt, mit dem man auch das Mietniveau auf dem Wohnungsmarkt mit beeinflussen kann, ist mittlerweile auch bei einem Großteil der politischen Entscheidungsträger über alle Parteien hinweg gereift.

Gut elf Jahre nach dem Deal wurde im Herbst 2017 eine neue kommunale Wohnungsbaugesellschaft in Dresden gegründet.

Eine der Überlegungen dabei hat sicherlich auch mit der Tatsache zu tun, dass im Jahr 2036 die Belegungsrechte der Stadt für 10.000 einkommensschwache Dresdner in den damals verkauften Wohnungen endgültig auslaufen werden. Das vorrangige Unternehmensziel der neuen kommunalen Gesellschaft ist es, in den nächsten drei Jahren 800 belegungsgebundene Wohnungen zu schaffen.4 Derzeit verfügt die Wohnungsbaugesellschaft noch nicht über vermietbare Wohnungen. Die ersten Wohnungen werden voraussichtlich im I. Quartal 2020 bezugsfertig sein. Das klingt positiv, allerdings sind 800 belegungsgebundene Wohnungen innerhalb von drei Jahren, verglichen mit dem Bestand der vormals über 47.000 städtischen WOBA Wohnungen natürlich weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. So mahnt der Dresdner Ausverkauf von 2006 als lehrreiches Negativbeispiel. Am Dresdner Beispiel lässt sich praktisch nachverfolgen, dass Privatisierung langfristig geradezu zwangs läufig zu negativen und kostenintensiven Folgen für die Stadtentwicklung und die Mieterinnen und Mieter führt.

Der wirksamste Mieterschutz ist die Enteignung

Im Bereich des Wohnens drückt sich sehr deutlich die immer stärkere Spaltung in arm und reich aus. Für viele ist es nicht einfach, eine bezahlbare Wohnung zu finden und auch in einem so reichen Land wie der BRD wächst die Zahl der wohnungslosen Menschen beständig.5

Wenn es um soziale Wohnungspolitik geht, muss auch deshalb über die Eigentumsfrage gesprochen werden. Und zwar ganz grundsätzlich, denn es kann keine soziale Wohnungspolitik ohne die Einschränkung von Verwertungsinteressen geben. Der wirksamste Mieterschutz ist daher die Enteignung des Haus- und Grundbesitzes und die Überführung der Eigentums- und Besitzrechte auf die Kommunen bei Mitbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht der Mieterorganisationen und Mieter. Ein Schritt in diese Richtung wäre zunächst wenigstens die schrittweise Überführung des Grund und Bodens in Gemeindeeigentum, denn es ist eine öffentliche Aufgabe, eine angemessene Wohnungsversorgung im Interesse des Gemeinwohls generell wirtschaftliche Einzelinteressen vorzuziehen. Das gelingt umso besser, wenn ein hoher und wachsender Anteil an Wohnungen in öffentlicher Hand sowie unter öffentlicher Kontrolle ist und gesetzliche Regelungen getroffen werden, die dafür sorgen, dass Int eressen des Gemeinwohls an erster Stelle stehen.

Darum ist ein umfangreiches Programm zur Re-Kommunalisierung von Wohnungen und die Stärkung kommunaler Wohnungsgesellschaften notwendig, um Städte und Gemeinden in ihrem stadtentwicklungspolitischen Handlungsspielraum zu stärken und den Zugang zu kostengünstigen Wohnungen für alle Bedürftigen zu verbessern. Oft gibt es in den Parlamenten hierfür aber keine Mehrheiten. Daher schauen viele Akteure aktuell nach Berlin, wo viele Aktive seit über einem Jahr Druck machen, um per Volksentscheid in direktdemokratischer Abstimmung die Enteignung von Immobilienspekulanten voranzutreiben. Allerdings wird auch dort bereits versucht, von Seiten der Immobilienlobby sowie der Senatsfraktionen, in der Frage möglicher Entschädigungen die Position aufzuweichen.

An anderer Stelle können wir, wenn es um die Interessen des Konzernprofits geht, anhand zahlreicher Beispiele sehen, wie die öffentliche Hand – vor internationalen privaten Schiedsgerichten verklagt – ständig zur Kasse gebeten wird, wenn private Großinvestoren der Meinung sind, ihnen stünden Gewinne zu. Also warum nicht konsequent sein, den Spieß umdrehen und zusammen mit der Enteignung Schadensersatz für die Belastungen der Mieterinnen und Mieter über die vergangenen Jahre einfordern, anstatt den Spekulanten auch noch „marktübliche Preise“ aus der öffentlichen Kasse zu zahlen? Die Enteignung sollte im Regelfall ohne Entschädigung erfolgen, dennoch sollte die Bedürftigkeit der Enteigneten jeweils geprüft und im positiven Fall eine Entschädigung gewährt werden. Auf jeden Fall wird das, was in Berlin in dieser Sache passiert, entscheidende Bedeutung besitzen für den Kampf für Vergesellschaftung von Wohnraum in der ganzen Bu ndesrepublik.

Mike Nagler kommt aus Karl-Marx-Stadt, ist Architekt und Bauingenieur, lebt seit 19 Jahren in Leipzig und ist dort im Antiprivatisierungsnetzwerk aktiv. Er war einer der Initiatoren des erfolgreichen Leipziger Bürgerentscheids zum Erhalt kommunaler Unternehmen und Betriebe und organisiert u.a. gemeinsam mit Freunden jedes Jahr das globalisierungskritische Leipziger Filmfestival „globaLE“.

Anmerkungen:

1 Quelle: Grundstücksmarktbericht der Stadt Leipzig 2016

2 Im Rahmen des Programms „Stadtumbau Ost“.

3 Im September 2004 erwarb die FORTRESS Deutschland GmbH die Essener GAGFAH, zu deren Besitz unter anderem ca. 81.000 Wohnungen zählten, von der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) für rund 3,5 Milliarden Euro. Im Juli 2005 kaufte FORTRESS die Hannoveraner NILEG Immobilien Holding, bestehend aus der Wohnungsbau Niedersachsen, Wohnungsgesellschaft Nord und der Osnabrücker Wohnungsgesellschaft, mit 28.500 Mietwohnungen im Eigenbestand von der NordLB für 1,5 Milliarden Euro. Im März 2006 erwarb FORTRESS 

die WOBA DRESDEN GMBH mit unter anderem ca. 47.000 Wohnungen von der Stadt Dresden für 1,75 Milliarden Euro.

4 Quelle: https://www.wid-dresden.de/aktuelle-meldung/grusswort-zum-ersten-spatenstich.html

5 2018 gab es nach offiziellen Schätzungen fast 700.000 Wohnungslose in der Bundesrepublik. Als Hauptgründe für die steigende Zahl der Wohnungslosen werden das unzureichende Angebot an bezahlbarem Wohnraum, die Schrumpfung des Sozialwohnungsbestandes und die Verfestigung von Armut benannt. Quelle: BAG Wohnungslosenhilfe, vom 11.11.2019, https://www.bagw.de

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