„Über Mietverträge kollektiv verhandeln“

BLOCK 4: GESCHICHTE

Interview mit Kristofer Lundberg,

Vorsitzender des Regionalverbands Westschweden der schwedischen Mietergewerkschaft Hyresgästföreningen

In Deutschland konzentriert sich der große, bundesweite Mieterbund vor allem auf Rechtsberatung und -hilfe statt auf politische Arbeit. Die Mieterorganisation in Westschweden hat eine andere, viel politischere Herangehensweise. Ist das in ganz Schweden so, und wie ist es dazu gekommen?

Hyresgästföreningen, die Mietergewerkschaft, ist in ganz Schweden eine politische Organisation, allerdings sind die politischen Grundlagen, das Selbstverständnis und die Methoden regional unterschiedlich.

Um die Mietergewerkschaft zu verstehen, muss man ihre Geschichte betrachten. Die ersten Mietergewerkschaften wurden 1917 von Menschen aus der sozialistischen, kommunistischen, syndikalistischen und gewerkschaftlichen Bewegung gegründet. Sie organisierten offensive Kämpfe mit Mietstreiks, Blockaden, Boykotten und Massenprotesten und schlossen sich 1923 zu einer landesweiten Organisation zusammen.

1936 erkämpfte die Mietergewerkschaft das Recht, über Mietverträge kollektiv zu verhandeln. Bis heute verhandelt sie für alle drei Millionen Mieterinnen und Mieter in Schweden mit öffentlichen und privaten Vermietern über die Mieten, genau wie eine Gewerkschaft über Löhne verhandelt.

Unter dem Druck einer starken Mietergewerkschaft wurde der Wohnraummangel durch den Bau guter, günstiger Wohnungen für alle durch den Staat beseitigt.

Nach diesem Erfolg entwickelten sich die Ortsgruppen eher zu Geselligkeitsvereinen, die oft nicht mehr wie eine Gewerkschaft wirkten. Die Verhandlungsmacht blieb aber erhalten und die Mieten blieben niedrig.

Nach dem Zusammenbruch des Stalinismus und der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie hielten Neoliberalismus und Privatisierungspolitik Einzug. Die Mietergewerkschaft, die noch stark an die Sozialdemokratische Partei gebunden war, leistete kaum Widerstand gegen die Einführung von Marktmechanismen in der Wohnungswirtschaft und verlor an Boden.

In den folgenden Jahren begannen einzelne Ortsgruppen in verschiedenen Städten, sich zu wehren.

Wir haben die Mietergewerkschaft in Westschweden, wo ich seit 2017 Regionalvorsitzender bin, wieder zu einer kämpferischen Organisation mit klaren politischen Zielen gemacht, die in der Bewegung landesweit als Vorbild gesehen wird. Von uns kam auch die Initiative für die aktuelle landesweite Kampagne gegen die Wohnungspolitik der Rot-Grünen Regierung.

Eine halbe Million Mitglieder landesweit klingt ziemlich beeindruckend. Nimmt ein großer Teil der Mitglieder an der politischen Arbeit der Organisation teil?

Die Mietergewerkschaft organisiert 538.000 Mitgliedshaushalte, das entspricht mehr als einer Million Menschen, in 1220 Ortsgruppen. Die Ortsgruppen sind unterschiedlich aktiv, aber viele von ihnen treffen sich jede Woche. In Göteborg kommen hunderte Menschen zu unseren monatlichen Veranstaltungen, im März waren es sogar 700. In der letzten Woche haben wir eine Demo gegen die rechte Stadtratskoalition mit 1000 Menschen organisiert.

Welche Hauptforderungen hat die Mietergewerkschaft?

Das hängt von der Situation ab. Aktuell kämpfen wir wieder gegen die Privatisierung kommunaler Wohnungen und gegen die Pläne der Regierung zur Einführung von Marktmieten. Wir verteidigen das Recht, die Mieten kollektiv auszuhandeln. Außerdem fordern wir, dass die Anwohner in ihren Vierteln selbst entscheiden können, zum Beispiel über Sanierungen. Mieterinnen und Mieter sollen die Kontrolle darüber haben, ob renoviert wird oder nicht. Damit werden oft Luxussanierungen verhindert.

Was für Kampagnen und Aktionen organisiert ihr?

Wir organisieren politische Bildungsprogramme, Jugendarbeit, Sozialarbeit, Demonstrationen, Diskussionen und Protestaktionen. Zum Beispiel haben junge Mitglieder mit Zelten einen Platz besetzt, um gegen den Wohnungsmangel zu protestieren.

Arbeitet ihr mit Gewerkschaften, Parteien oder anderen Partner*innen zusammen?

Wir kooperieren mit Gewerkschaften, Genossenschaften und dem Arbeiterbildungsverband. Wir sind mit keiner Partei verbunden. Nach den Erfahrungen unter dem Einfluss der Sozialdemokratie wollen die Mitglieder nicht mehr von einer Partei geführt werden. Es gibt aber Parteien, die unsere Forderungen aufgreifen, die Linkspartei und die Sozialistische Gerechtigkeitspartei. Linke Parteien nehmen an unseren Protesten teil.

Kannst Du Beispiele für erfolgreiche Kämpfe in den letzten Jahren anführen?

Wir haben die Überführung von 900 Wohnungen aus Privatbesitz in öffentliches Eigentum durchgesetzt, die Privatisierung von tausenden Wohnungen verhindert und Renovierungen ohne Mieterhöhung erkämpft.

Das Interview führte Thies Wilkening für Lunapark21. Kristofer Lundberg lebt und arbeitet in Göteborg.