Wohnen ist Daseinsvorsorge, ist etwas, was die Gemeinschaft zur Absicherung aller vorhält
Sie suchen eine Mietwohnung in Berlin? Wie wäre es mit Angeboten wie diesem bei www.immobilienscout24.de [vom 28.11.2019]: Rigaer Straße im Friedrichshain, drei Zimmer, Balkon, Einbauküche, 90,79 Quadratmeter für eine monatliche Kaltmiete von 1.770,41 Euro. Oder: Frankfurter Allee: drei Zimmer, Balkon, Keller, 95 Quadratmeter für monatlich 1.950 Euro kalt. Oder vielleicht: Dunckerstraße im Prenzlauer Berg, ein Zimmer mit 36,39 Quadratmetern, Einbauküche und Balkon für 900 Euro kalt. Nichts für Sie dabei? Da sind Sie nicht allein. Die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung ist – zumindest in deutschen Großstädten – eine Qual. Es muss sich etwas ändern, denn Wohnen ist Daseinsvorsorge!
Die Idee zum vorliegenden Heft trug Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) im Frühsommer an die Redaktion von Lunapark21 heran. Dort stießen wir sofort auf offene Ohren. Das Thema ist virulent, viele arbeiten dazu. Aber warum wir, GiB, auch?
GiB wurde vor neun Jahren gegründet, um den fortwährenden Privatisierungen etwas entgegenzusetzen. Wir etablierten ein Büro, stritten mit für die Offenlegung von geheimen Wasserverträgen, kämpften gegen die Bahnprivatisierung und die Autobahnprivatisierung, klärten über Pläne zur Privatisierung von Schulen auf. Besonders intensiv widmeten wir uns den öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP).
Aus drei Gründen haben wir uns entschieden, auch zum Thema Wohnen zu arbeiten:
1. Zwischen Wohnen und Privatisierung besteht ein enger Zusammenhang, zu dem wir schon viel Wissen gesammelt haben. Privatisierungen werden in der Bevölkerung von einer großen Mehrheit abgelehnt. Selbst Politiker, die an der Verscherbelung von Wohnraum vor 15 Jahren beteiligt waren, wie der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, SPD, gestehen die Nachteile des Ausverkaufs ein. Aber was haben diese Privatisierungen genau bewirkt? Wie haben sie die Wohnverhältnisse verändert? Wo entstand dauerhafte Intransparenz durch den Wechsel ins Privatrecht? Wo wurden Verwaltungen geschwächt? Antworten auf diese Fragen bieten wir mit diesem Heft.
2. Wir sehen Wohnen als Daseinsvorsorge und Wohnraum als Infrastruktur. Infrastrukturen bedürfen öffentlicher Planung, Bereitstellung und Regulierung. Daseinsvorsorge ist per Definition etwas, das die Gemeinschaft zur Absicherung alle r vorhält. Aber wir müssen die Bedarfe genau kennen. Wir wissen auch, dass eine Einrichtung, weil sie zur Daseinsvorsorge gehört, nicht automatisch demokratisch gesteuert wird – diese Demokratie muss eigens durchgesetzt werden. Und genau das machen wir seit fast einem Jahrzehnt.
3. Nicht zuletzt fällt eine unisono propagierte Lösung für Wohnprobleme in unseren Bereich: der Neubau. Alle bisherigen Privatisierungs- und ÖPP-Vorhaben, gegen die wir uns gewehrt haben, waren eng mit dem Aus- und Neubau von Infrastrukturen verbunden. Und Bauen, soviel ist uns mittlerweile klar, ist extrem klimaschädlich. Daher ist es nicht mehr zeitgemäß, wir müssen neue Lösungen finden. Auch dazu soll dieses Heft einen Beitrag leisten.
Katrin Kusche, Laura Valentukeviciute und Carl Waßmuth · Gemeingut in BürgerInnenhand – GiB
In Stuttgart engagieren wir uns für eine Verbindung der Bewegungen „Recht auf Stadt“, „Klimaschutz“ und „Oben bleiben und Stuttgart21 stoppen“
Seit Mitte November hat Stuttgart München den Rang als Stadt mit den höchsten Mieten in Deutschland abgelaufen. Schon der bisherige Platz zwei war Beweis genug, dass in Stuttgart für Mieterinnen mit kleinem und mittlerem Budget fast alles falsch läuft. „Das hochpreisige Segment weitet sich zunehmend aus,“ stellt das Statistische Amt fest, „weniger als 10 Prozent der Wohnungen werden noch für unter 10 Euro je Quadratmeter angeboten. Wohnungen ab 15 Euro pro Quadratmeter aufwärts machen inzwischen 38 Prozent aller Angebote aus.“
Die Faktenbasis ist amtlich. Unsere Spekulation und Mietenexplosion bremsenden politischen Vorstöße im Stadtrat gelten der grün-schwarz dominierten Stadtpolitik jedoch schon als direkter Weg zurück in die DDR. Dass der wohnungspolitische Zug in Stuttgart weiter in die falsche Richtung fährt, resultiert aus einem weiteren Spitzenplatz, den die Stuttgarter Stadtpolitik besetzt: In fast religiöser Marktgläubigkeit und inniger Verbundenheit mit Investoreninteressen hat sie sich resistent gemacht gegen Fakten und dagegen immunisiert, daraus wirksame Schlussfolgerungen zu ziehen. So hat 2017 das Deutsche Institut für Urbanistik für Stuttgart „zunehmend stattfindenden Ersatzneubau als Treiber von Verdrängungsprozessen“ identifiziert. Weiter: „In fast allen Fällen richtet sich das Wohnungsangebot dieser Neubauten vor allem an NeubewohnerInnen.“ Stuttgart reißt sich ab, die unkritische Unterstützung des Gentrifizierungsbeschleunigers € 4Abbruch für Neubau“ geht weiter.
Es geht dabei auch um Klimaschutz. Der Bund Deutscher Architekten (BDA), ökosozialistischer Umtriebe unverdächtig, fordert: „Dem Erhalt des Bestehenden kommt Priorität vor dem leichtfertigen Abriss zu, alle verwendeten Materialien müssen vollständig wiederverwendbar oder kompostierbar sein, der Verzicht auf kohlenstoffbasierte Materialien und fossile Brennstoffe im Bauen tritt an die Stelle der Energieeffizienz.“ Doch auch die BDA-Mahnung verhallt unter einem grünen OB und einem grünen Baubürgermeister ungehört. Niko Paech nannte das die „Lebenslüge einer Mehrheitsgesellschaft, die sich für klimakompetent hält, aber handelt wie ökologische Vandalen“. Als wäre das 1,5-Grad-Ziel kein Imperativ, sondern unverbindliche Empfehlung. Die grüne Unterstützung des Klima-Skandal-Projekts Stuttgart 21, das eine Verkehrswende verbaut, ist Teil dieser Ignoranz. Dagegen gehen jeden Montag hunderte auf die Straße, inzwischen im 10. Jahr. 365 Tage im Jahr, 24 Stunden täglich ist ihre Mahnwache gegenüber dem Hauptbahnhof auf dem Posten. Die Schnittmengen mit den Jugendlichen der Fridays for future sind da und ermöglichen gegenseitige Unterstützung. „System Change, not climate change!“ – das ist die Verbindung zwischen Recht-auf-Stadt-, Klima- und S21-Bewegung, an der unsere Fraktion im Rathaus mitarbeitet.
Tom Adler und Hannes Rockenbauch, Co-Vorsitzende der Fraktion LINKE-SÖS-PIRAT-TIERSCHUTZ im Stuttgarter Gemeinderat
Angst, dass Wohnen in Hamburg für viele unbezahlbar wird
Es ist schon erstaunlich, wie sich Wahrnehmung und Empörungsgrad verändern. Als Mitte der 1970er Jahre erstmals die Millionengrenze bei den Arbeitslosenzahlen überschritten wurde, war das lange Zeit das dominierende soziale Thema. Zumal immer wieder neue Negativrekorde gebrochen wurden: 1985 gab es 2,3 Millionen, 1997 schon 4,4 und 2005 sogar 4,86 Millionen Erwerbslose. Inzwischen haben wir uns irgendwie daran gewöhnt, kaum jemand regt sich noch darüber auf, dass im Jahresdurchschnitt 2019 immer noch 2,3 Millionen Menschen ohne Erwerbsarbeit sind.
Wie wird es uns mit der „Wohnungsnot“ und dem „Mietenwahnsinn“ ergehen, mit der „neuen Wohnungsfrage“ – Begriffe, die mittlerweile überall Verwendung finden, um die herausragenden sozialen Verwerfungen der Gegenwart zu erfassen? Wobei einschränkend anzumerken ist, dass wir es vor allem mit einem Problem der (großen) Städte, weniger mit der Lage auf dem Land zu tun haben. Immerhin rangierte im Oktober 2019 bei einer bundesweiten Umfrage der R+V-Versicherung zu den „Ängsten der Deutschen“ die Aussage „Wohnen in Deutschland unbezahlbar“ mit 45 Prozent an sechster Stelle, gleichauf mit der Sorge vor dem „Pflegefall im Alter“. Eine etwas anders gelagerte, ebenfalls repräsentative lokalspezifische Erhebung der Friedrich-Ebert-Stiftung 2019 ergab, dass die Aussage, „Ich habe Angst, mir das Leben in Hamburg in Zukunft nicht mehr leisten zu können“, von jeweils 59 Prozent der Mieterinnen und Mieter und der Menschen mit wen iger als 2.000 Euro-Monatseinkommen bejaht wird. Das wird noch überboten von den entsprechenden Antworten in der Altersgruppe der 16- bis 39jährigen, wo 61 Prozent diese Befürchtung äußern. Berechtigte Ängste, denn es gibt aktuell in Hamburg nur noch 130.000 Wohnungen mit einer Miete unter 6,60 Euro je Quadratmeter netto kalt. Gleichzeitig stehen den knapp 80.000 Sozialwohnungen rund 368.000 Haushalte gegenüber, deren Einkommen so gering ist, dass sie einen entsprechenden Wohnberechtigungsschein erhalten könnten.
Lunapark21 Extra beleuchtet die vielschichtige Wohnungsfrage intensiv. Damit wird ein nachhaltiger Beitrag geliefert dazu beizutragen, dass noch mehr Menschen gegen den Mangel an bezahlbaren Wohnungen und die Mietenexplosion mobilisiert werden.
Wir müssen das Thema am Kochen halten, damit wir uns nicht an die damit verbundenen Probleme von Millionen Menschen gewöhnen.
Wohnen ist ein immer noch zu erkämpfendes Grundrecht!
Heike Sudmann (Jg. 1962) ist seit den 1980er Jahren politisch aktiv und aktuell wohnungs-, stadtentwicklungs- und verkehrspolitische Sprecherin sowie stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft. Mehr auf der Fraktions-Website unter https://www.linksfraktion-hamburg.de/fraktion/heike-sudmann/