BLOCK 1: AKTUELL
„Wir hoffen, dass unser Beispiel Schule macht“ · Interview mit Michael Prütz
Als Reaktion auf eure Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung, Kathrin Lompscher (Die Linke) vor der Sommerpause 2019 mit dem Vorschlag eines „Mietendeckels“ reagiert. Nun hat sich die rot-rot-grüne Koalition in der Hauptstadt auf einen Vorschlag dazu geeinigt. Wie sieht der aus?
Der Mietendeckel wurde am 18. Oktober in einer Sitzung des Koalitionsausschusses aller drei Berliner Regierungsparteien beschlossen. Das Ergebnis ist ein historischer Erfolg der Mieterbewegung. Vorgesehen sind nicht nur ein Mietenstopp, sondern auch Mietabsenkungen in einem bestimmten Rahmen. Damit ist die Umverteilung von unten nach oben in diesem Bereich gestoppt und sogar umgekehrt.
Wie genau sind die Mieten gedeckelt worden, wie entsteht der von dir genannte Effekt?
Erstens werden die Mieten für fünf Jahre eingefroren. Zweitens gibt es Kategorien von Preisen für die einzelnen Wohnungen, insgesamt sind es 18. Die höchste Kategorie ist 9,80 Euro, die niedrigste Kategorie 3,21 Euro. Wenn jemand jetzt aus einer sehr teuren Wohnung auszieht, sagen wir mal, er zahlt jetzt 15 Euro pro Quadratmeter, muss die Wohnung neu vermietet werden zum Preis des Deckels, also maximal für 9,80 Euro. Das ist das eine.
Der Mietendeckel gilt also für Neuvermietungen?
Er gilt auch für die Bestandsmieten, aber eben auch für Neuvermietungen. Denn es kommt drittens hinzu, dass Bestandsmieten, die höher liegen als 20 Prozent über den einzelnen Deckelstufen, als Wuchermiete gelten und auf den vorgeschriebenen Deckel abgesenkt werden können.
Neubau wurde allerdings komplett ausgenommen, da können auch weiterhin 20 oder auch 40 Euro pro Quadratmeter verlangt werden.
Ja, der Neubau ab 2014 ist komplett aus dem Mietendeckel rausgenommen. Die Preisgestaltung ist völlig frei, außer bei sozial gebundenen Wohnungen. Es gibt natürlich auch keinen Deckel für das Gewerbe. Das ist in Berlin ein riesiges Problem.
Und der Deckel ist unterschiedlich je nach Kategorien?
Je nach Kategorie reicht er von 3,21 Euro bis 9,80 Euro. Nach der „Wuchergrenze“ können Vermieter bis zu 20 Prozent mehr zu verlangen, aber eben auch nicht mehr. Ausnahmen gibt es noch für Modernisierungen, da kann ohne Begründung 1,00 Euro pro Quadratmeter umgelegt werden.
Das ist ein gutes Ergebnis.
Es ist hervorragend. Man muss sagen, dass die Regierungskoalition im intensiven Kontakt mit der Mieterbewegung auf ihre wesentlichen Forderungen eingegangen ist und sie umgesetzt hat. Damit war überhaupt nicht mehr zu rechnen, weil die Sozialdemokraten sich quergelegt hatten. Doch letztlich haben sie dann eingelenkt.
Woher kommt der Gesinnungswandel?
Wenn die Koalition geplatzt wäre, hätte es Neuwahlen gegeben, bei denen die SPD Gefahr lief, als dritte hinter Grünen und Linkspartei zu landen. Das hat sie wohl zur Besinnung gebracht. Sie hatten mehr zu verlieren als alle anderen.
Wie kommen die Mieter zu einer Mietabsenkung?
Es wird eine neue Aufsichtsbehörde installiert. Die nimmt die Absenkungswünsche entgegen und führt sie durch. Gegebenenfalls kann sie auch Sanktionen und Strafen verhängen. Besonders relevant wird dies bei Neuvermietung nach Auszug. Da muss die Miete dann auf eine der 18 Kategorien abgesenkt werden. Beispiel: Die jetzige Wohnung kostet 20 Euro pro Quadratmeter. Der Mieter zieht aus, und der neue Mieter muss nur noch zum Beispiel 7,80 zahlen. Je nach Lage und Ausstattung. Man muss aber betonen, dass die Immobilienwirtschaft gerade dagegen Sturm läuft. Denn diese Regelung belastet richtig die Profite, besonders diejenigen der großen Konzerne.
Wie war die Stimmung der letzten Wochen? Auf der Straße waren ja nicht so viele, an der Demonstration im September hatten sich nur etwa 5000 Leute beteiligt, nicht gerade berauschend. Wie ist die Stimmung in der Stadt?
Die Stimmung in der Stadt, und das wird sich jetzt noch weiter verstärken, ist extrem aufgeheizt. Auf der einen Seite sammeln Vermieterverbände und Lobbyisten massiv Geld für eine Kampagne, die den Mietendeckel als eine Enteignungskampagne in ein negatives Licht rücken soll. Auf der anderen Seite gibt es täglich überall in der Stadt Mieterversammlungen, Demonstrationen, kleinere Besetzungen, alles Mögliche. Die Leute sind sehr aktiv, viele Mieter engagieren sich weiterhin. Eine derart extreme Polarisierung habe ich in meinem ganzen politischen Leben noch nicht erlebt.
Die Wohnungsbaugenossenschaften haben sich ebenfalls gegen den Mietendeckel gestellt. Wie erklärst du dir das?
Das kann ich dir nicht erklären. Alle Wohnungsbaugenossenschaften in Berlin schreiben schwarze Zahlen, die hätten überhaupt kein Problem damit. Es gibt jetzt Mitglieder dieser Genossenschaften, die machen von unten Druck gegen diese Entscheidung. Es sind wohl nur die Bonzen, die dagegen sind, nicht die Mitglieder.
Wie positionieren sich in dieser Situation die Medien?
Naja, unterschiedlich. Eben so bunt wie die mediale Landschaft ist. Die konservativen Zeitungen treten eindeutig als Lobbyisten der Eigentümer und der Unternehmerverbände auf. In den eher liberalen Blättern, wie dem Tagesspiegel und der Berliner Zeitung, wird recht ausgewogen berichtet. Da kommen natürlich die Unternehmerverbände zu Wort, aber eben auch wir. Jeden Tag ist in all diesen Zeitungen etwas zu dem Thema zu lesen.
Was machen die Mieterverbände jetzt? Und was treibt die Mieter jetzt um? Du sagst ja, da ist unglaublich viel in Bewegung geraten.
Jetzt treibt die Leute um, ob es diesen Mietendeckel wirklich geben wird, der muss ja noch in ein Gesetz gegossen werden. Die Lobbyverbände versuchen da noch einzugreifen, das ist es, was alle im Moment hochemotional beschäftigt.
Aber es sieht gut aus. Der Gesetzentwurf wurde am 22. Oktober in der Berliner Regierungskoalition endgültig beschlossen. Nun muss er noch durchs Berliner Abgeordnetenhaus.
Das ist die eine Seite. Und die andere Seite ist – was viele Mieterinnen und Mieter ebenfalls umtreibt: Wie geht es mit dem Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co Enteignen weiter? Denn das ist ja nun die nächste Frage. Wir haben die gültigen Unterschriften in einem sehr kurzen Zeitraum beigebracht. Jetzt warten wir darauf, dass Innensenator Geisel (SPD) die zweite Stufe des Volksbegehrens freigibt. Das hat er bislang nicht getan, er versucht, das zu verschleppen.
Geisel ist vom rechten Flügel der SPD?
Ja.
Welche Möglichkeiten hat er da? Anfangs sah es ja so aus, als würde der Mietendeckel dagegen ausgespielt.
Das ist aktuell nicht der Fall. Es ist hochinteressant – ich hatte selber Gelegenheit, auf vielen SPD-Versammlungen zu reden: In der SPD tobt derzeit eine große Auseinandersetzung über die Frage der Enteignung. Auf dem Landesparteitag der Berliner SPD am 26. Oktober haben sich die Delegierten noch einmal hinter Michael Müller gestellt und es abgelehnt, den Volksentscheid zu unterstützen. Aber damit ist das Thema noch nicht komplett durch. Die Partei bleibt gespalten, die Basis ist eher für Enteignungen, die Amtsinhaber dagegen. Das wird jetzt nochmal durchgerührt durch das extrem schwache SPD-Ergebnis in der Landtagswahl in Thüringen: Die dort für die SPD nur erzielten 8,2 Prozent stärken die Forderungen der Basis nach einer echten Kurskorrektur der Spitze.
Wie sieht die Positionen-Bildung bei den Grünen aus?
Die Grünen haben sich auf ihrem Parteitag für die Enteignung ausgesprochen, aber in der Praxis tun sie nichts dafür. Sicher, einzelne Kreisverbände haben Unterschriften gesammelt, doch richtig aktiv sind sie nicht.
Aber sie sind auch keine Bremser…
Nein, überhaupt nicht. Sie versuchen auch, Kontakt zu uns zu halten und Rücksprache zu nehmen, aber wir haben uns im Moment – weil die Position der Grünen ja klar ist – mehr auf die SPD konzentriert. Da waren wir eingeladen zu verschiedenen Kreisdelegiertenversammlungen, auf denen wir unsere Positionen darstellen konnten. Das war außerordentlich interessant.
Wer sind deiner Meinung nach die 50 Prozent in der SPD, die die Initiative ablehnen? Sind das die Älteren?
Nicht unbedingt die Älteren, es geht auch mitten durch die einzelnen Bezirke. Die Neinsager lehnen die Enteignung auch nicht grundsätzlich ab, die sagen nur, es sei der falsche Zeitpunkt, man müsse erst andere Sachen machen. Sie versuchen also, das ein bisschen zu verzögern. Es ist vor allen Dingen die Bürokratie, die Regierungsbürokratie und die Bürokratie auf den einzelnen Stadtteilebenen, die wirklich dagegen ist, die Bürgermeister und was weiß ich. An der Basis ist die Zustimmung sehr groß.
Wie viele Mitglieder hat die SPD noch in Berlin?
17.000.
Das ist nicht sehr viel.
Nein, überhaupt nicht. Ich hab oft auf SPD-Versammlungen geredet, da sitzt das gleiche Milieu wie bei den Grünen, die gleiche Art von Leuten. Von einer Arbeiterklasse ist da nichts mehr zu sehen.
Ist das bei der LINKEN anders?
Ja.
Was macht ihr jetzt im Volksentscheid nach der Ablehnung des SPD-Landesparteitags?
Naja, es ist eine große Herausforderung. Wir haben ja drei Stufen. Die erste wurde genommen. Jetzt kommt erst die zweite. Da müssen wir in vier Monaten 170.000 gültige Unterschriften sammeln, und zwar solche von wahlberechtigten Berlinerinnen und Berlinern. Dann kommt erst die richtige Volksabstimmung per Wahl, wo also alle zur Wahlurne gerufen werden.
Da müssen die Leute dann auf die Bezirksämter?
Jetzt in der zweiten Stufe können sie auf die Bezirksämter, aber wir dürfen auch auf der Straße sammeln, beides ist möglich.
Und in der dritten Stufe müssen sie auf die Bezirksämter?
Genau: Da müssen sie in die Wahllokale, wie bei herkömmlichen Wahlen.
In jedem Fall rechnet ihr also damit, dass das Volksbegehren stattfindet. Kannst du dir auch vorstellen, dass es im Falle der Abstimmung eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt?
Ja. Auch in der Bevölkerung ist die Stimmung zu 50 Prozent für uns, zu 50 Prozent gegen uns. Es wird sich dann zeigen, wer besser mobilisieren kann. Das ist nicht ohne. Die Unternehmerverbände haben eine Kampagne gestartet, die bezahlen jetzt gerade die Wohnungsbauunternehmer, 1,6 Millionen Euro haben sie sich zum Ziel gesetzt. Damit wollen sie die Berliner Bevölkerung gezielt beeinflussen gegen Enteignung und Mietendeckel. Und unsere finanziellen Möglichkeiten liegen bei einem Bruchteil dessen, was die Unternehmerverbände und die Konservativen aufbieten. Da ist richtig was los.
Das wird mit Sicherheit ein Präzedenzfall für Großstädte, wo die Mieten ebenfalls so hoch sind.
Ja, absolut. Wir hoffen sehr, dass unser Beispiel Schule macht.
Michael Prütz lebt in Berlin. Er ist Sprecher der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“.