Ukraine-Krieg und Inflation

Kenneth Rogoff: „Krieg bringt Crash-Gefahr“

Mit dem Kreml-Krieg gegen die Ukraine kommt es zu einem weltweiten Schub zur Steigerung der Rüstungsausgaben. Dies muss den längst in Gang gekommenen inflationären Prozess weltweit steigern. Nur wenn Rüstung zu 100 Prozent über Steuern, also über einen Abzug bei den Lohn- und Kapital-Einkommen finanziert wird, lösen diese vermehrten Ausgaben keinen inflationären Prozess aus. Dieser Zusammenhang wurde von Ernest Mandel wie folgt beschrieben: „Die Rüstungsproduktion hat, monetär betrachtet, ein besonderes Merkmal; sie vermehrt die zirkulierende Kaufkraft, ohne einen zusätzlichen Zustrom an Waren als Gegenwert hervorzubringen. Selbst wenn diese gestiegene Kaufkraft zur Anschaffung von Maschinen und zur Einstellung von Leuten führt, die vorher arbeitslos waren, entsteht eine zeitweilige Inflation. Die Einkommen der Arbeiter und die Gewinne der Gesellschaften erscheinen auf dem Markt als Nachfrage nach Konsumgütern und Produktionsgütern, ohne d ass die Produktion dieser Güter gesteigert worden ist. Es gibt nur einen Fall, bei dem die Produktion von Rüstungsgütern keine Inflation verursacht: wenn alle Rüstungsausgaben restlos mit Steuern finanziert werden, das heißt, wenn die Kaufkraft der Konsumenten wie der Unternehmen entsprechend vermindert wird.“1

Tatsächlich erfolgen nicht nur die neuen Rüstungsausgaben überwiegend auf Kreditbasis. Wir leben nun seit mehr als einem Jahrzehnt in Zeiten hoher und steigender Verschuldung jeglicher Art (steigender privater Verschuldung, steigender Verschuldung von Unternehmen und vor allem steigender öffentlicher Schulden). Die staatliche Verschuldung als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (Schuldenquote) hat zunächst in der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 durch die massiven staatlichen Programme zur Verhinderung eines weltweiten Finanz- und Wirtschaftskollapses erheblich zugenommen. Sie konnte danach nur in wenigen Staaten, so in Deutschland, wieder abgebaut werden. Mit den gewaltigen staatlichen, fast ausschließlich kreditbasierten Ausgaben zur Bewältigung der Pandemie kam es zu einer neuen massiven Ausdehnung der Schuldenquoten. Länder wie Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland, Portugal und Belgien wiesen bereits Anfang 2022 Schuldenquoten von deutlich mehr als 100 Proz ent aus und galten nach herkömmlichen Kriterien als überschuldet.2 Die nun neu massiv steigenden Rüstungsausgaben stellen ein zusätzliches Element in diesem inflationären Prozess dar.

Bereits vor Kriegsbeginn gab es in Nordamerika und in Europa den Umschlag von niedrigen Preissteigerungen hin zu einer trabenden Inflation. In den USA lag die Inflationsrate im Januar 2022 bei 7,5 Prozent, in Westeuropa bei rund 5 Prozent. Der neue Rüstungsboom könnte dazu führen, dass wir bald wieder eine galoppierende Inflation erhalten. Da die Zentralbanken in Nordamerika und in Europa sich ohnehin seit Anfang 2022 genötigt sehen, die Zinssätze erstmals seit einem guten Jahrzehnt anzuheben, kann die Kombination von allgemeinen Krisentendenzen plus hohen Schuldenquoten plus steigenden Zinssätzen plus „trabender Inflation“ weltweit zu schweren Verwerfungen, wenn nicht zu einer neuen weltweiten Wirtschaftskrise führen. Ein deutlicher Reallohnabbau für Dutzende Millionen Menschen ist im laufenden Jahr heute bereits gesichert.

Eine knappe Woche vor dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine äußerte sich der wohl bekannteste Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff in einem Interview wie folgt: „Kurzfristig würde eine Invasion der Ukraine die Inflation nach oben treiben, weil ein Krieg immer zu Angebotsengpässen führt, was wiederum die Preise treibt. Das würde die Europäische Zentralbank vor eine knallharte Frage stellen: Geht sie gegen die Inflation vor und erhöht die Zinsen? Oder lässt sie das lieber, weil sie damit eine Rezession verschärfen könnte, die im Kriegsfall schnell entstehen kann. […] Wir werden an einen Punkt kommen, an dem die Leitzinsen [der Notenbanken; W.W.] höher liegen müssen als die Inflationsrate, um sie noch zu bekämpfen. Darauf wird dann ein größerer Crash folgen.“3

Anmerkungen:

1 Ernest Mandel, Marxistische Wirtschaftstheorie, Frankfurt/M. 1970, S. 555.

2 Offiziell gilt in der EU als Obergrenze eine Schuldenquote von 60 Prozent – die öffentlichen Schulden eines Landes dürfen nicht höher als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. 100 Prozent gilt allgemein und kaum bestritten als Schuldenniveau, das ein Land nahe an den Staatsbankrott bringen kann. Anfang 2022 betrug in der EU die durchschnittliche Schuldenquote bereits 98 Prozent. Schwergewichte wie Italien (155%), Frankreich (116%) und Spanien (122%) liegen massiv über dieser Schranke. Mit der neuen Hochrüstung, die ja von fast allen EU-Ländern begrüßt wird, kommt es zu einer nochmaligen Steigerung.

3 Kommt jetzt der Crash?, Interview mit Kenneth Rogoff, in: Die Zeit vom 17. Februar 2022.