Aufrüstung in Eurasien

Von Kipppunkten war schon die Rede. Jetzt wird einiges gekippt werden. Abrüstung, Klimapolitik, Inflationsbekämpfung, Staatsfinanzen, Sozialetats. Nach der russischen Invasion der Ukraine geht manches über Bord.

Corona hat schon viel gekostet? Egal, 100 Milliarden für ein Sondervermögen Bundeswehr hauen wir raus. Und wegen eines Militäretats in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zieren wir uns auch nicht mehr. Bei 1,3 Prozent lagen die Kosten für Deutschlands Streitkräfte im vergangenen Jahr. Also auf die jährlich knapp 50 Milliarden Euro noch einmal die Hälfte drauf.

Kohle werden die Kraftwerke wieder verfeuern. Soll sich die Erderwärmung eben gedulden. First things first. Und Atomkraft gibt es ja auch noch.

Die Welt scheint verrückt geworden. Aber gemach, sie war es schon zuvor, wie Anne Rieger in folgendem Beitrag darlegt.

Aufrüstung, Abrüstung, Hochrüstung: Die USA geben den Takt vor

Russland hat seinen Militärhaushalt gesenkt. Er lag 2020 bei 62 Milliarden Dollar gegenüber 70 Milliarden Dollar im Jahr 2016. Im Gegensatz dazu wurde das Verteidigungsbudget der US-Regierung gegenüber 2016 von 606 Milliarden Dollar auf 778 Milliarden erhöht, im vergangenen Jahr allein um vier Prozent.

Die USA haben 2020 knapp dreimal so viel Geld für Verteidigung ausgegeben wie ihre Rivalen China und Russland zusammen. Das US-Budget war fast viermal höher als das von China und mehr als zwölfmal höher als das von Russland, wie eine Studie des Internationalen Instituts für Strategische Studien in London belegt. Da üblicherweise zum offiziellen Budget versteckte Mittel für die Streitkräfte in anderen Etatposten hinzukommen, die US-Experten in der Vergangenheit auf bis zu 200 Milliarden Dollar bezifferten, hieße das: Der reale US-Militärhaushalt könnte im kommenden Jahr die Billionenschwelle überspringen.

Aufrüsten soll voraussichtlich vor allem die Navy, die eine herausgehobene Funktion für den transpazifischen Aufmarsch gegen China hat. Zudem sind die Aufrüstung im Weltall sowie die Modernisierung der Atomwaffen geplant. Der US-Militärhaushalt umfasst auch 300 Millionen Dollar Militärhilfe für die Ukraine – 50 Millionen mehr als von der Regierung von Präsident Joe Biden beantragt. Vier Milliarden Dollar sind für die „Europäische Abschreckungsinitiative“ vorgesehen, die 2014 als Reaktion auf die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim ins Leben gerufen wurde. Sieben Milliarden gehen in die „Pazifische Abschreckungsinitiative“.

Bereits 1996 hieß es im Pentagon-Strategiepapier „Joint Vision 2010“, das Ziel der US-Streitkräfte liege in der Erlangung von „Full Spectrum Dominance“, der militärischen Überlegenheit zu Lande, zu Wasser und in der Luft, inklusive dem Weltraum – und dies gegenüber jedem potentiellen Feind. Das im Jahr 2000 veröffentlichte Dokument „Joint Vision 2020“ erneuert diesen Anspruch: „Aufgrund der globalen Natur unserer Interessen und Verpflichtungen, müssen die USA ihre militärische Präsenz in Übersee sowie die Fähigkeit, schnell weltweit Macht ausüben zu können, erhalten, um

eine Dominanz auf allen Gebieten zu erlangen.“ Dem “Base Structure Report 2009” des Verteidigungsministeriums zufolge unterhalten die USA 716 Militärbasen in knapp 40 Ländern.

Globale Rüstungsausgaben in astronomischer Höhe

Im Jahr 2020 gab die US-Regierung 39 Prozent der globalen Rüstungsausgaben von 1981 Milliarden Dollar aus. Nach Ermittlung des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) wird die astronomische Summe für Gehälter von Armeeangehörigen, für Waffenarsenale und Kampfeinsätze verwendet. Die globalen Rüstungsausgaben boomen. Sie stiegen 2020 um 2,6 Prozent. Bedenkt man, dass gleichzeitig das weltweite Bruttoinlandsprodukt wegen der Pandemiemaßnahmen um 4,4 Prozent sank, wird der menschenverachtende kapitalistische Irrsinn der Hochrüstung noch deutlicher. Die gesamten Ausgaben der Nato-Staaten summieren sich auf 1107 Milliarden Dollar. Mit Abstand folgen China mit 252 Milliarden, Indien mit 73 Milliarden, Russland mit 62 Milliarden und Großbritannien mit 59 Milliarden Dollar.

70.000 US-Truppen an der Nato-Ostflanke

Die Nato nahm seit 1999 14 osteuropäische Länder auf und stationierte dort Truppen – in Estland nur 160 Kilometer von St. Petersburg entfernt. 2008 sicherte das Militärbündnis auch der Ukraine die Möglichkeit einer Aufnahme zu und rüstet sie auf. Die Nato stünde dann auf 2000 Kilometern Länge direkt an der russischen Grenze und Russland wäre militärisch nahezu eingekreist. Die USA benutzt den aggressiven Militärpakt, um seine weltweiten Vorherrschaftsansprüche durchzusetzen. Sie haben in Europa über 70.000 G. I. stationiert, die Hälfte davon in Deutschand.

Etwa 6000 der 70.000 US-Militärs befanden sich bisher auf Rotation in osteuropäischen Ländern. Im Februar wurden 1000 davon nach Rumänien verlegt, und die Gesamtzahl in Europa um 2000 Truppen erhöht. Russlands Sicherheitsrat kritisierte die Präsenz Zehntausender US-Soldaten in Europa samt taktischer Atomwaffen, 200 Panzern und 150 Kampfflugzeugen. Seit 2015 beraten und trainieren Reservisten der US-Nationalgarde die ukrainische Armee gemeinsam mit Soldaten anderer Nato-Länder, vor allem Kanadas und Deutschlands.

Was würde die US-Regierung, was die Menschen in den USA sagen und tun, wenn russische Soldaten in Mexiko und Kanada stationiert wären? Würden sie tatenlos zusehen oder würden sie eigene Streitkräfte an ihrer Grenze zusammenziehen und Verbündete aktivieren?

Europäische Nato-Mitglieder rüsten auf

Panzerbrigaden werden rollierend in Estland, Lettland, Litauen und Polen stationiert. In Litauen unter Führung der Bundeswehr. Das griechische Parlament hat im Februar ein großes Rüstungsprogramm für die Marine und Luftwaffe gebilligt. Konkret geht es um die Anschaffung deutscher Torpedos sowie dreier französischer Fregatten und sechs französischer Kampfbomber des Typs Rafale. Damit wird sich der Anteil der Rüstungsausgaben in demjenigen EU-Land, das mit Abstand am höchsten verschuldet ist, von 2,4 Prozent im Jahr 2015 im kommenden Jahr auf rund drei Prozent erhöhen. Dänemark will im eigenen Land US-Truppen stationieren lassen, in Deutschland sollen Atombomber für 7,5 Milliarden Euro angeschafft werden. Die Niederlande werden unter anderem Scharfschützengewehre und Munition liefern. Die USA wollen in Albanien ein neues Spezialkräfte-Hauptquartier einrichten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigte, dass noch im laufenden Jahr det aillierte Pläne für Nato-Kampftruppen in Rumänien, Bulgarien, Ungarn sowie der Slowakei erarbeitet werden. Sie sind allerdings in Bulgarien, Ungarn und der Slowakei heftig umstritten. Bulgarien teilte mit, dass vier spanische Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter Typhoon „im Rahmen der Bemühungen zur Sicherung der Ostflanke“ eingetroffen seien. In Rumänien sind bereits 900 US-Militärs stationiert, weitere 1000 wurden im Februar von Deutschland nach Rumänien verlegt. In der Slowakei wollen die USA ihre militärische Präsenz mittels eines Partnerschaftsvertrages verstärken und die beiden Militärflughäfen Slia ˘ c und Kuchyña ausbauen. Die Slowakei erhält Militärhilfe in Höhe von 100 Millionen Dollar.

Die USA im Indopazifik

Während Russland Truppen an der Grenz zur Ukraine zusammenzog, machte die US-Regierung deutlich, dass ihr strategisches Ziel angeblich nur sei, Chinas Einfluss in Ostasien einzudämmen. Außenminister Antony Blinken flog nach Melbourne, um mit seinen Verbündeten in der „Quad-Staaten-Gruppe“, Australien, Indien und Japan, ein Gegenmodell zur „Neuen Seidenstraße“ zu schaffen. Vordergründig geht es um wirtschaftliche Kooperation, Informationsaustausch und gemeinsame Forschungsprojekte. Die Zusammenarbeit beschränkt sich nicht auf zivile Themen. Die Quad-Länder haben bereits verschiedene Militärabkommen unterzeichnet und im vergangenen Jahr begonnen, gemeinsame See-Manöver im indopazifischen Raum durchzuführen. Zwar bestreiten sowohl die USA als auch Indien, dass es sich um ein Militärbündnis handele. Aber nach dem Treffen erklärte Australiens Außenministerin Marise Payne, die vier Länder wollten darüber hinaus verbündete S taaten in der Region aufrüsten. Vor kurzem kündigte Indonesien an, amerikanische und französische Kampfflugzeuge im Wert von 22 Milliarden Dollar zu kaufen.

Manöver

Mit den Manövern demonstriert die US-Regierung ihre Macht. Die Nato probt etwa Einsätze zur Rohstoffsicherung und Angriffsszenarien im Zusammenhang von Großmachtkriegen, die nichts mit Landesverteidigung zu tun haben. Zum dritten Mal in Jahresfolge wird ab Mai das Großmanöver „Defender Europe“ unter Führung der US-Armee in Europa stattfinden, an dem 33.000 Soldatinnen und Soldaten aus 26 Ländern teilnehmen. Es soll Bereitschaft, Abschreckung und Zusammenarbeit mit Verbündeten in und außerhalb der Nato einüben. Die Zusammenarbeit mit Staaten außerhalb der Nato wird militärisch immer bedeutender, das gilt für die Ukraine, Schweden und Finnland. Defender 2022 soll vom 8. Mai bis 16. Juni 2022 dauern. Schauplatz werden 15 Länder vom hohen Norden Europas bis zum Schwarzen Meer sein. Die Defender-Manöver sollen in Zukunft jedes Jahr stattfinden, mal ist der Schwerpunkt eher Europa, dann die Pazifik-Region. Dabei bleibt es nicht. Beispiele sind das Nato-Manöver „Allied Spirit“ mit 6000 Militärs aus mehr als zehn Ländern in der Oberpfalz oder „Neptun Strike 22“ im Mittelmeer, an dem unter anderem der US-Flugzeugträger Harry Truman beteiligt war.

Eurasische Friedenspolitik

Profiteur dieser aggressiven Hochrüstungspolitik ist offensichtlich die Rüstungsindustrie, jedoch auch die Industrien, die an billigen Rohstoffen und Arbeitskräften, an Transportwegen und Exportmärkten interessiert sind. Ein Beispiel ist der Streit um Nord Stream 2, bei dem es auch darum ging, dass US-Konzerne Gas nach Europa liefern wollen, anstatt dass die Menschen in Europa die billigere und klimapolitisch weniger problematische russische Variante erhalten.

Die globalen Rüstungsausgaben boomen und werden wohl weiter steigen, wenn wir den Verursachern nicht in den Arm fallen. Das Geld, das für die weltweite Rüstung ausgegeben wird, würde ausreichen, um Hunger und Armut in der Welt zu beenden und für alle Menschen einen für sie kostenlosen Zugang zu medizinischer Versorgung, Pflege, umfassender Bildung und ein würdevolles Leben im Alter zu ermöglichen. Auch Klima- und Umweltschäden könnten so vermindert werden. Seit Beginn des „Kriegs gegen Terror“ 2001 hat nach Schätzung des Costs of War Project an der Brown University im US-Bundesstaat Rhode Island das US-Militär 1,2 Milliarden Tonnen Treibhausgase ausgestoßen.

Ein Festhalten an und die Entwicklung einer eurasischen Friedenspolitik ist in unserem Interesse. Eine Sicherheitszone zwischen den osteuropäischen Nato-Staaten und Russland ist zu errichten und dort dürfen keine Mittelstreckenraketen stationiert werden.

Anne Rieger ist Co-Sprecherin des Bundesausschusses Friedensratschlags