Lunapark21 – Heft 26
Ein Vergleich der Krisen in den Inselstaaten Island und Zypern ist lehrreich. Beide Länder haben eine ähnlich große (oder auch kleine) Bevölkerung. In beiden Staaten ist das Bruttoinlandsprodukt je Kopf vergleichbar groß (und relativ hoch). In beiden Ländern gab es im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts einen allgemeinen Boom des Finanzsektors. Bei Ausbruch der jeweiligen Krise – in Island 2008 in Zypern 2013 – war die Bilanzsumme der größten Banken des Landes acht bis zehn Mal höher als das jeweilige Bruttoinlandsprodukt.
Bei Krisenbeginn 2008 sah die Reaktion in Reykjavik ähnlich aus wie fünf Jahre später diejenige in Nikosia: Die isländische Regierung verstaatlichte die Banken. Die Regierungen in London und Den Haag entschädigten in ihren Ländern einige zehntausend Anleger, die bei dem Bankenkrach in Reykjavik ihr Geld verloren hatten. Sie forderten von Islands Regierung ultimativ, die beim isländischen Bankenkrach vernichtete Summe von knapp 4 Milliarden Euro zu erstatten. Islands Regierung reagierte, wie Regierungen eines kapitalistischen Landes halt so reagieren: Man werde zahlen – und zwar alles. Daraus sollte dann nochmals ein Business werden: neue Kredite gegen „Wir-zahlen-alles“.
Doch die Menschen in Island sahen das anders. Sie setzten im März 2010 und April 2011 zwei Volksabstimmungen durch. In beiden lehnte es die Bevölkerung ab, für die spekulativen Geschäfte einiger Weniger zu bezahlen. Ein drittes Referendum fand am 20. Oktober 2012 statt. In dieser Abstimmung ging es um eine neue Verfassung mit vielen Elementen direkter Demokratie. Erneut gab es – bei hoher Wahlbeteiligung – eine große Mehrheit für eine solche einigermaßen basisdemokratische Verfassung. Mehr als 80 Prozent stimmten der Forderung zu, dass „die natürlichen Ressourcen Islands vergesellschaftet“ werden müssen.
Als Folge der Proteste weigerten sich die isländischen Regierungen (mit unterschiedlicher Zusammensetzung), eine öffentliche Verantwortung für die privaten Bankenschulden zu übernehmen. Die ausländischen Aktivitäten der isländischen Banken wurden in eine Bad Bank ausgelagert (womit sie weitgehend wertlos sind). Für heimische Spareinlagen gab es eine Garantie. Sondersteuern für Banken wurden beschlossen. Die öffentlichen Ausgaben wurden nicht reduziert. Die isländische Währung, die Krone, wurde um 60 Prozent gegenüber dem US-Dollar abgewertet (heute im Vergleich zu 2008: – 50 %).
Der überwiegende Teil der westlichen Kommentatoren in den „Qualitätsmedien“ erklärte, dass ein Nein zur Kreditrückzahlung Islands Ökonomie völlig abstürzen und die Arbeitslosenzahl hochschnellen lassen würde. In der deutschen Wochenzeitung Die Zeit: konnte man 2009 lesen „Nur der Euro kann jetzt das bankrotte Land noch retten“. Die Bilanz Ende 2012: Die Arbeitslosigkeit auf der Insel, die kurzzeitig bei 8 Prozent lag, wurde auf rund 4 Prozent halbiert; es handelt sich um eine der niedrigsten Raten in Europa. Die Staatsverschuldung stieg auf knapp 100 Prozent des BIP und sinkt inzwischen wieder. Das Bruttoinlandsprodukt war 2011, 2012 und 2013 deutlich positiv (für 2014 werden + 2,5 % erwartet). Der Bankensektor ist komplett verstaatlicht. Der Sozialstaat blieb weitgehend erhalten. Mehr als zwei Drittel der isländischen Bevölkerung lehnen einen Beitritt des Landes zur EU ab. Anfang 2014 erklärte die isländische Regierung, das Land wolle endgültig nicht mehr der EU beitreten. „Wie gut, dass wir nicht den Euro haben“, sagt der isländische Schriftsteller Hallgrímur Helgason. „Und wie gut, dass wir standhaft geblieben sind“, fügt er hinzu. „Die Krise hat uns gut getan. Die Menschen lebten in einer falschen Realität, weil sie in Luftschlössern wohnten. Dann ist alles zusammengebrochen. Und so kehren wir nun zu unseren Wurzeln zurück. (…) Wirklich erstaunlich ist: Nach dem Crash gab es einen Boom auf dem isländischen Buchmarkt! Offenbar haben die Menschen plötzlich gemerkt, was die wahren Werte im Leben sind: Natur, Kultur und Literatur. Nicht Banken, Bonds und Big Business.“