Super-Mario von Brüssels Gnaden

Die neue Technokraten-Regierung in Italien

Nun also wieder ein Experte. Am 13. Februar wurde Mario Draghi als neuer italienischer Ministerpräsident vereidigt. Draghi soll für Stabilität sorgen und weitere Regierungskrisen verhindern. Von denen gab es im Laufe der Corona-Pandemie bislang zwei. Im August kollabierte die Koalitionsregierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung mit dem Ministerpräsidenten Giuseppe Conte nach 14-monatiger Amtszeit. Die Nachfolgekoalition, erneut mit Giuseppe Conte als Ministerpräsident, hielt nur bis Januar dieses Jahres. Grund für deren Scheitern waren Unstimmigkeiten über die Verwendung von Covid-19-Rettungsgeldern der EU; Auslöser war ein Polit-Manöver des drittletzten Ministerpräsidenten, Matteo Renzi. Vieles spricht dafür, dass es sich dabei um ein – möglicherweise mit Brüssel und Berlin abgestimmtes – abgekartetes Spiel handelte. Der Industriellenverband Confindustria will einen direkteren Zugriff auf die EU-Milliarden. Die Großindustrie kann k ein Interesse daran haben, dass die Cinque-Stelle-Klientel – vor allem kleine Geschäfte – größere Teile der EU-Gelder bekommt.

Und nun soll Draghi es richten. Diesem werden entsprechend von den EU-Top-Leuten und der deutschen Regierung reichlich Rosen auf den Weg gestreut. Der ehemalige Goldman-Sachs Banker, langjährige italienische Zentralbankchef (2005-2011) und langjährige Präsident der Europäischen Zentralbank (2011-2019) gilt als Architekt der Euro-Rettung im Zuge der globalen Finanzkrise. Eher verhalten wird dabei erwähnt, dass Draghi zu den zentralen Figuren des europäischen Austeritätsregimes des vergangenen Jahrzehnts zählt. Auch bei der Vorbereitung Italiens auf den Beitritt zur Euro-Währung spielte Draghi eine Rolle. Als Generaldirektor im Finanzministerium trieb er federführend die Privatisierung staatlicher Unternehmen voran.

Covid-19 hat Italien schwer getroffen. Die schrecklichen Bilder aus den norditalienischen Krankenhäusern zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 gingen um die Welt und verleiteten die übrigen europäischen Regierungen zur panischen, verspäteten und sehr kurzfristig anberaumten Durchführung erster Lockdown-Maßnahmen. Ohne Selbstorganisation aus der Bevölkerung wäre in Italien alles noch schlimmer geworden. Beispielhaft dafür war die Errichtung eines neuen Krankenhauses innerhalb kürzester Zeit durch Fans des norditalienischen Fußballclubs Bergamo. Bis zum 7. März 2021 nahezu als 100.000 Menschen an den Folgen des Virus gestorben. In Europa gab es nach den offiziellen Zahlen nur in Großbritannien mehr Tote (in Russland gibt es korrigierte, halboffizielle Zahlen, wonach es dort bislang mehr als 200.000 Opfer gibt). Die italienische Wirtschaft brach innerhalb eines Jahres um neun Prozent ein. Es handelt sich um die schwerste Rezession seit dem Zwe iten Weltkrieg; die unmittelbaren Auswirkungen dürften schlimmer als diejenigen der bitteren Eurokrise sein. Fast 450.000 Menschen haben ihren Job verloren. Mehrfach kam es im Jahr 2020 in verschiedenen italienischen Städten zu Massenprotesten und Ausschreitungen durch prekarisierte Jugendliche und in den Ruin getriebene Kleingewerbetreibende.

Wachsender Druck von EU und Großkapital

Die Aufgabe, die Draghi von der europäischen Politik und Wirtschaft gestellt wird, ist die Organisation der Verteilung von Italiens Anteil am 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds der EU. Dieser Fonds ist eine Premiere für die EU, die erstmals als Ganzes Schulden in einer solchen Größenordnung aufnimmt und dafür gemeinschaftlich geradesteht. Allerdings wird jedes Land individuell mit seinem Anteil am Wiederaufbaufonds haften. An die Mitgliedsstaaten verteilt werden soll das Geld in Form von Krediten und nicht zurückzahlbaren Zuschüssen. Fließen sollen die Mittel von 2021 bis 2023. Die größte Summe, gut 200 Milliarden Euro, ist für Italien vorgesehen.

Die Gelder sind an harte Bedingungen und restriktive Erwartungen geknüpft. Die Deutsche Welle zitierte am 5. Februar den Chef des italienischen Industriellenverbandes Confindustria, Carlo Bonomi, mit den Worten: „Die EU erwartet größere Strukturreformen vom Land, die bisher nicht umgesetzt wurden.“ Laut Deutscher Welle verlangt die EU-Kommission von Italien unter anderem Reformen beim Rentensystem, der Justiz und beim Wettbewerb, womit nur eine schärfere Privatisierungspolitik und ein Abbau der Rentenzahlungen gemeint sein können.

Bürgerliche Kommentatoren sehen Draghi als ein Mann der großen europäischen Banken und Konzerne und der EU. In der britischen Financial Times hieß es dazu am 8. Februar: In Brüssel habe man es mit „großer Erleichterung“ begrüßt, dass Italiens Staatspräsident Mario Draghi als neuen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten bestimmt habe; und dann steht da der Zusatz: „We expect Italy to do its homework“. Das ist trefflich formuliert: Italien wird in Brüssel wie ein Schuljunge gesehen, der seine „Hausaufgaben“ zu erledigen habe.

Draghi selbst gibt sich einige Mühe, davon abzulenken, dass er den Job der von Deutschland bestimmten EU-Kommission zu erledigen hat. Er kleidet seine neue Regierung vielmehr in die Farben der italienischen Trikolore und spricht von einer „Regierung der nationalen Einheit“, wie sie vergleichbar auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges nötig gewesen sei. Sein Kabinett umfasst 23 Minister. 15 von ihnen gehören höchst unterschiedlichen Parteien an. Somit sind neben der Fünf-Sterne-Bewegung und dem sozialdemokratischen PD auch die nur noch als Parlamentsfraktion existierende, eigentlich aufgelöste Kleinpartei Liberi e Uguali, die rechtsradikale Lega sowie die vom ehemaligen Ministerpräsidenten Renzi gegründete und vom PD abgespaltene Kleinpartei Italia Viva Teil der Draghi-Regierung. Acht weitere Minister sind so genannte Fachleute. Indem Draghi versucht, möglichst viele Parlamentsfraktionen an sein Kabinett zu binden, will er kommenden Misstrauensanträg en vorbeugen. Ob sein Appell an die „nationale Verantwortung“ hier dauerhaft fruchtet, ist aber fraglich.

Der linke, an der Universität Sannio lehrende Wirtschaftsprofessor Emiliano Brancaccio lässt jedenfalls kein gutes Haar an der neuen Regierung. Für ihn dient die Berufung des Technokraten Draghis unter anderem dazu, Trends zu beschleunigen, die ohnehin schon vorhanden seien. Dem Radiosender Radio Populare sagte er am 4. Februar, die Regierung diene dem Zweck, „die demokratischen Institutionen weiter zu schwächen und die Macht in den Händen der Exekutive weiter zu zentralisieren.“ Tatsächlich ist die Geschichte der Expertenregierungen in Italien auch eine der Stärkung des Zentralstaates zum Nachteil des Parlaments (siehe auch Seite 77, „Ort & Zeit“). Im Hinblick auf den Wiederaufbaufonds fügt Brancaccio hinzu: „So beginnt eine neue, sehr harte Phase der europäischen Umstrukturierung, mit der einzig absehbaren Opposition der kleinen Eigentümer, während die Arbeiterorganisationen noch unvorbereitet auf den Kampf erscheinen.“

Einheitsregierung gegen Lohnabhängige und Prekäre

Ein Blick auf das von Draghi zusammengestellte Regierungspersonal zeigt, dass Kleinunternehmen, Lohnabhängige und prekarisierte Schichten nur wenig Gutes von dieser Regierung zu erwarten haben. Zumindest in dieser wesentlichen Klassenfrage unterscheidet sich Draghis Kabinett qualitativ nicht von den Vorgängerregierungen. Auch die gravierenden regionalen Ungleichheiten Italiens dürften kaum angepackt werden.

So ist der Wirtschaftsminister Daniele Franco ein Vertrauter Draghis. Gemeinsam verbrachten sie einige Jahre in Führungspositionen der Banca d‘Italia. In seiner Funktion als Gouverneur der Bank machte Draghi den Kollegen unter anderem zum Zentraldirektor des Bereichs Wirtschaftsforschung. Die italienische Zentralbank ist überhaupt eine Kaderschmiede für Mitglieder von Expertenregierungen. Die Technokraten-Ministerpräsidenten Carlo Azeglio Ciampi und Lamberto Dini sind ebenfalls dieser Einrichtung entsprungen.

Minister für die Wirtschaftsförderung ist Giancarlo Giorgetti von der rechtsradikalen Partei Lega. Er war einer der Hauptbefürworter für den Amtsantritt Draghis, der Ministerposten ist seine Belohnung. Er wird nun viel daransetzen, dass der vergleichsweise wohlhabende und teils hochindustrialisierte italienische Norden die größten Anteile aus dem EU-Wiederaufbaufonds erhält. Der verarmte italienische Süden hat in der Regierung hingegen keine Lobby. Die „Ministerin für den Süden und den Zusammenhalt“, Mara Carfagna, hat ihre politische Karriere eng mit der von Silvio Berlusconi verknüpft. Sie dürfte die mafiösen Wirtschaftsstrukturen im Süden des Landes fördern – auf Kosten der verarmten Bevölkerung.

Berlusconis Partei Forza Italia ist darüber hinaus mit dem Minister für öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta, in der Regierung vertreten. Brunetta war bereits von 2008 bis 2010 Verwaltungsminister und machte damals mit markigen Sprüchen über „untätige Staatsangestellte“ und „fette Beamte“ von sich reden. Ausgerechnet er soll nun eine Verwaltungsreform auf dem Rücken der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes durchsetzen.

In dem Maß, wie Mario Draghi in Italien seinen Job zur Zufriedenheit der Brüsseler Bürokratie und der deutsch dominierten großen Unternehmen in Europa macht, in dem Maß wird Super-Mario den Lohnabhängigen Italiens nicht als Superheld erscheinen.