überbau und basis in politik & wirtschaft
Wenn Wahlen etwas ändern würden? Wahlen ändern etwas. Trump steht für neue Steuergeschenke an die Reichen. Er kritisierte die Biden-Regierung dafür, dass sie Benjamin Netanyahu überhaupt Grenzen setzte. Er rühmt sich seiner Arbeit für die Abschaffung des Rechts auf Abtreibung und hält die Klimakrise für einen Witz. Und dann ist da noch die Sache mit der Demokratie. Macht korrumpiert. Macht ohne Kontrolle korrumpiert absolut. Vor Trump gab es nie einen US-Präsidenten, der nach seiner Abwahl versuchte, durch einen Sturm auf das Parlament im Amt zu bleiben. Trotzdem wurde er nun mit 74 Millionen Stimmen wiedergewählt. 70 Millionen US-Amerikaner:innen haben für Kamala Harris gestimmt. Im Senat und wahrscheinlich – Stand 10. November – im Repräsentantenhaus werden die Republikaner die Mehrheit stellen. Der Oberste Gerichtshof ist bereits fest in erzkonservativen Händen. In einigen Bundesstaaten regieren noch die Demokraten.
In der Ankündigung dieses Heftes haben wir geschrieben: »Es ist noch nicht vorbei.« In den aktuellen Verwerfungen von Politik und Ökonomie diesseits und jenseits des Atlantik liegt ein gewaltiges Konfliktpotential. Die US-Demokraten wie die europäische Sozialdemokratie wollten den Neoliberalismus gestalten. Doch er hat sie aufgefressen. Es geht nicht nur darum, dass sie eine Politik gegen weite Teile ihrer Wähler:innen gemacht haben. Das Problem liegt tiefer. Menschen können sich für einen Unterdrücker entscheiden, gerade weil er ein starker und erfolgreicher Unterdrücker ist. Das Recht des Stärkeren bedeutet auch, sich einem noch Stärkeren bereitwillig unterzuordnen. Das ist Trumps Angebot an seine Wähler. Anders als Liberale gern glauben, schließt individuelle Freiheit Herrschaft nicht aus. Während die Leute in ihrem Privatleben Freiheit und Selbstbestimmung mit großem Nachdruck einfordern, resignieren sie vor der großen Politik, d ie nur etwas für große Männer ist.
Kurz vor den Wahlen in den USA legte der Wirtschaftshistoriker Harold James eine Diskussion von Möglichkeiten und Grenzen eines »Faschismus in unserer Zeit« vor. Wir bringen eine Übersetzung dieses spannenden Textes, der eine Brücke zwischen der nationalen Politik, der internationalen Politik und der Weltwirtschaft schlägt. An der US-Staatsverschuldung und ihrer Rolle auf den Finanzmärkten erörtert Sebastian Gerhardt die Politik der Republikaner, die schon vor ihrem Wahlsieg am 5. No- vember entscheidenden Einfluss auf die US-Wirtschaftspolitik geltend machen konnten. Jürgen Bönig vergleicht den Umbruch in der deutschen Autoindustrie mit dem Niedergang der deutschen Druckmaschinenindustrie. Er bilanziert die Verluste, die durch die Zerstörung von Fähigkeiten und Kenntnissen auf Seiten der Beschäftigten eingetreten sind – und wieder eintreten werden. Schließlich verfolgt Kai Eicker-Wolf eine verspätete Reaktion der Politik auf die Veränderungen der letzten Jahre: Er schildert das absehbare Ende der deutschen Schuldenbremse, die heute auch in den Parteien weg gewünscht wird, die sie einmal erfunden hatten.
Die Beiträge dieses Spezial liefern keine abschließende Einschätzung. Die Verantwortung für diese Welt wollen und können wir unseren Leser:innen nicht abnehmen. In die Worte des Philosophen Lothar Kühne gefasst: Was wir zu geben versuchen »ist kein Sack, der die Erde umschließt und mit dem man sie nun nach Hause tragen kann.« Es wird ein Gerüst angeboten, das denjenigen, »die sich daran hinaufgearbeitet haben, etwas mehr Übersicht ermöglicht, wenn es trägt.«