Sparpolitik und Militarismus. Die Waffenkäufe Griechenlands und die deutsche Rüstungsindustrie

Aus: LunaPark21 – Heft 17

Der nicht enden wollende Streit über ein paar raue Felsen an der türkisch-griechischen Meeresgrenze ist ein erheblicher Wachstumsfaktor der deutschen Rüstungsexportindustrie. Denn Griechenland ist laut dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) der Hauptimporteur von Kampfflugzeugen, Unterseebooten und Schützenpanzerwagen „Made in Germany“ [1]. Und während Deutschland auf Sparpakete drängt, die die letzten Euro aus der griechischen Bevölkerung herauspressen sollen, wird das im globalen Vergleich übermäßig hohe Rüstungsbudget Griechenlands nur wenig angetastet. Und der Export von Militärgütern aus Deutschland boomt. Laut Angaben des deutschen Bundeswirtschaftsministerium erzielte dieser Sektor im Jahr 2010 historische Rekordeinnahmen in Höhe von 2,6 Milliarden Euro. [2]SIPRI zufolge kommt ein Drittel davon aus Griechenland, rund 10 Prozent entfallen auf die Türkei. Da ist es kaum verwunderlich, dass Kürzungen im Sicherheitsbereich tabu sind und keine größeren Versuche durch die internationale Gemeinschaft unternommen werden, den Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei zu lösen.

Wachstumsfördernde Spannungen

Dabei beziehen sich die Streitigkeiten hauptsächlich auf die Bestimmung der Territorialgewässer, Luftmeilen und auf den militärischen Status einiger griechischer Inseln. Ursprünglich gehen die Unstimmigkeiten auf die konflikreiche Konstituierungen der beiden Nationen nach dem Niedergang des Osmanischen Reiches zurück. Nach seiner Staatsgründung 1830, die von Frankreich und Großbritannien stark vorangetrieben wurde, um das Osmanische Reich zu schwächen, versuchte Griechenland mehrfach, sein Territorialgebiet zu erweitern, was mit militärischen Niederlagen, Verschuldung und Staatspleiten verbunden war. Die Parallelen zur aktuellen Situation sind oft erstaunlich. [3]

Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem sich das Osmanische Reich mit den Mittelmächten verbündet hatte, besetzten die Siegermächte den Großteil der osmanischen Gebiete. Auch Griechenland kämpfte ab 1917 an der Seite der Entente im Krieg, zum einen aufgrund der politischen und finanziellen Abhängigkeit von Frankreich und Großbritannien, zum anderen in der Hoffnung, die Idee eines Großgriechenlands realisieren zu können. Um für ihre Unabhängigkeit von Frankreich, Großbritannien, Griechenland und Italien zu kämpfen, engagierten sich viele vor allem junge Bewohner des im Ersten Weltkrieg zusammengebrochenen Osmanischen Reichs im Türkischen Befreiungskrieg. Um diese Bestrebungen zu unterdrücken und um den geschwächten Zustand des Nachbarlandes für die eigenen Expansionsvorhaben auszunutzen, begab sich Griechenland mit Unterstützung Großbritanniens und Frankreichs in einen Feldzug gegen das Osmanische Reich. Dies mündete 1922 in der sogenannten „Kleinasiatischen Katastrophe“ mit einem „Bevölkerungsaustausch“, der Zwangsumsiedlung von 1,2 Millionen Griechen und 500000 Türken. Diese Niederlage trug wesentlich zu dem zehn Jahre darauf erfolgenden zweiten Staatsbankrott Griechenlands bei. Ähnlich wie heute, erhielt das Land Folgekredite nur mit übermäßig hohen Zinsen, jedoch mit verpflichtender Bevorzugung der Gläubiger aus Großbritannien.

Nach ein paar Jahrzehnten relativ guter Beziehungen zwischen den beiden Mittelmeerländern Griechenland und Türkei verschlechterten sich diese erneut ab den 1950er Jahren. In der Zeit der faschistischen Militärdiktatur 1967 bis 1974 konnte Griechenland Mitglied der Nato bleiben; die USA und andere Nato-Staaten führten mit der griechischen Armee gemeinsame Manöver durch. Als im Juli 1974 die Militärs in Athen einen Griechenland-freundlichen Putsch der Nationalgarde auf Zypern organisierten, löste dies die Invasion der türkischen Armee auf Zypern und die bis heute anhaltende Zweiteilung mit einem türkisch besetzten Teil im Norden der Insel aus. Die Diktatur in Athen brach endgültig in sich zusammen. Doch erneut hatte sich der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei zugespitzt.

1974 begann die sich wechselseitig verstärkende Spirale der Aufrüstung beider Länder. Der Zypern-Konflikt spielt seither eine wichtige Rolle. Auch griechische Explorationsbohrungen in der Ägäis verschärften die zwischenstaatlichen Spannungen. Denn der umstrittene Verlauf der Grenzen erhält vor allem vor dem Hintergrund der Erdölvorkommnisse östlich der Insel Thassos, die als relativ groß eingeschätzt werden, seine Bedeutung. 2006 führten die Streitigkeiten über die Grenzen in der Ägäis sogar zu einem tödlichen Zusammenstoß, als ein türkischer und ein griechischer Kampfjet über der Insel Karpathos kollidierten.

Dimitris Droutsas, der bis Juni 2011 griechischer Außenminister war, äußerte jüngst, dass es „fast täglich Konflikte mit der Türkei gibt“. Er berichtete aus dem Alltag seiner Arbeit als Außenminister, wohlgemerkt inmitten der existentiellen Krise des Staates Griechenland, wie folgt: „Als Außenminister erhielt ich immer am Nachmittag eine Nachricht des Verteidigungsministeriums mit der aktuellen Auflistung der türkischen Verletzungen unsere Luftraums.“ Droutsas hält es auch für normal, dass es zwischen Griechenland und der Türkei ein Wettrüsten gibt, obwohl beide Länder Mitglied in der Nato sind. Droutsas: „Ob wir wollen oder nicht, Griechenland ist auch heute gezwungen, über ein starkes Militär zu verfügen.“ [4]

Für die anderen Nato-Staaten und deren Rüstungsindustrie ist dieser „Normalzustand“ höchst profitabel.

Kredite zur Rettung deutscher Waffenexporte?

Griechenland gab nach Angaben der NATO im Jahr 2010 mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung aus, wobei hier außermilitärisches, etwa polizeiliches Equipment, noch nicht einbezogen ist. Andere Quellen nennen einen solchen Anteil von „knapp drei Prozent.“ In jedem Fall liegen damit die griechischen Rüstungsausgaben erheblich über dem Anteil der Rüstungsausgaben am BIP in anderen europäischen Ländern. Nur die Türkei – ein ebenfalls hoch verschuldetes Land – leistet sich mit einem Anteil der Militärausgaben in Höhe von 2,7 Prozent des BIP ein vergleichbar hohes Niveau. In den Jahren 2010 und 2011 gab es gewisse Kürzungen bei den Rüstungs- und Militärausgaben. Diese sind jedoch unvergleichlich geringer als die Kürzungen in den Sozialetats, bei der Gesundheit und im Bildungsbereich usw. Im laufenden Jahr 2012 sollen die Beiträge Griechenlands für die Nato sogar um 50 Prozent auf 60 Millionen Euro steigen.

1614 Kampfpanzer im Bestand

„2010 betrug der griechische Rüstungsetat fast sieben Milliarden Euro. Das entsprach knapp drei Prozent der Wirtschaftsleistung, eine Zahl, die in der Nato nur von den USA übertroffen wurde (….) Hauptprofiteur der griechischen Aufrüstungspolitik ist ausgerechnet Sparmeister Deutschland. Laut dem gerade veröffentlichten Rüstungsexportbericht 2010 sind die Griechen nach den Portugiesen – auch ein Staat kurz vor der Pleite – die größten Abnehmer. (…) Diesem Bericht ist zu entnehmen, dass Griechenland 2010 exakt 223 Panzerhaubitzen vom Typ M109 aus Bundeswehrbeständen sowie ein U-Boot der Klasse 214 aus Deutschland importierte. Gesamtwert der Waffengeschäfte: 403 Millionen Euro. In den Jahren zuvor verdiente im Süden Europas vor allem Krauss-Maffei Wegmann prächtig. Das Unternehmen lieferte 170 Leopard-2-Panzer an Athen aus, dabei ging es um 1,7 Milliarden Euro (…) Auch U-Boote von ThyssenKrupp, Hubschrauber von Eurocopter und Lenkflugkörper von Diehl BGT Defence zählen zum Stolz des griechischen Militärs. Das Kriegsgerät trug erheblich dazu bei, dass die Staatsschuld Griechenlands explodierte.(…)

Als Griechenland 2003 mit (…) KMW den Kauf von Leopard-Panzern besiegelte, garantierte dies (…) auch hunderte Jobs für das Unternehmen Hellenic Defence Systems in der griechischen Hafenstadt Volos. Diese Tochterfirma von KMW wurde eigens gegründet, um Griechenland als Kunden zu gewinnen; sie wurde anschließend mit der Montage von über 100 Panzern beauftragt. (…) Selbst Rüstungslobbyisten wundern sich darüber, dass Griechenland laut UN-Register im Jahr 2009 exakt 1614 Kampfpanzer im Bestand hatte. ´In dieser zerklüfteten Region können die Griechen damit gar nichts anfangen´, sagt ein Branchenkenner. Gekauft wurde trotzdem.“

Claas Tatje, Schöne Waffen für Athen, in: Zeit-online vom 7. Januar 2012

Die konstant hohen Rüstungsausgaben, die höchstens in homöopathischer Dosis reduziert werden, stehen in einem krassen Widerspruch zu der Sparpolitik, die die Bevölkerung direkt trifft. Griechenland verpflichtete sich im aktuellen Memorandum gegenüber der ‚Troika‘ [5], durch Kürzungen der Renten und Sozialhilfen, durch die Reduktion des Mindestlohns um 22 Prozent, durch den Abbau der Ausgaben im Gesundheitssystems und durch den Ausverkauf öffentlichen Eigentums an private Konzerne rund fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 14,6 Milliarden Euro einzusparen.

Das heißt im Klartext: Ein Großteil der Einsparungen bei zuvor hart erkämpften sozialen Standards wird für die Anschaffung weiterer Militärausstattung und für die Aufrechterhaltung der überdimensionierten Armee mit 130000 Mann verwendet werden. Der Verteidigungsetat soll im Jahr 2012 zwar um rund 400 Millionen Euro gekürzt werden. Diese Einsparungen betreffen allerdings den Personalbereich. Das Rüstungsbudget bleibt weitgehend konstant hoch.

Wachsender Anteil der Rüstungsausgaben durch BIP-Schrumpfung

Das griechische Bruttoinlandsprodukt wurde jedoch 2010 und 2011 um mehr als zehn Prozent reduziert. 2012 wird es laut EU-Angaben einen weiteren Rückgang von 4,4 Prozent geben. Da die Ausgaben für die Kriegsmaschinerie weitgehend konstant bleiben, dürfte der Anteil der Ausgaben für Militärausgaben am BIP gerade in den Jahren 2011 und 2012 nochmals deutlich ansteigen. Das würde auch den bisherigen Trend bestätigen: SIPRI zufolge wuchsen die Militärausgaben von 5,921 Milliarden im Jahr 2000 auf 8,620 Milliarden Euro im Jahr 2010 an.

Ein großer Teil der Ausgaben fließt also folglich nach Deutschland. Zu Unternehmen wie Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann, ThyssenKrupp oder Diehl Defense. Daraus könnte man schlussfolgern, dass deutsche Banken unter anderem Kredite liefern, um die Fortführung der Einkäufe von Waffen aus Deutschland zu sichern.

Wobei zu bedenken ist: Deutschland ist nicht nur für Griechenland ein wichtiger Rüstungslieferant. Der drittgrößte Kunde deutscher Rüstungsunternehmen ist nach Südafrika, – wer sonst? – die Türkei. Dabei lösen sich Griechenland und die Türkei regelmäßig ab, wenn es um die Spitzenposition bei den Rüstungsimporten aus Deutschland geht: Vor drei Jahren rangierte die Türkei noch auf Platz eins.

Obwohl Griechenland mit 11 Millionen Einwohnern ein vergleichbar kleines Land ist, nimmt es den 5. Rang auf der Liste der weltweit größten Rüstungsimporteure ein. Neben Deutschland sind die USA und Frankreich wichtige Lieferanten für Griechenland. In den letzten fünf Jahren hat Griechenland US-amerikanische Militärgüter im Wert von nahezu vier Milliarden Euro eingekauft. Daher ist es wenig erstaunlich, dass die USA ihre europäischen NATO-Partner im Oktober 2011 dazu ermahnte, im Zuge der Schuldenkrisen bloß nicht den Rüstungsetat anzutasten.

Wirtschaftlicher und politischer Druck

Die USA, Deutschland und Frankreich, die wichtigsten Rüstungslieferanten Griechenlands und der Türkei, haben ein vitales Interesse daran, den Konflikt der beiden Länder weiterhin schwelen zu lassen. Denn trotz Wirtschaftskrise macht die Rüstungsindustrie ungestört weiter Rekordgewinne. Dabei plädierten vor zwei Jahren der damalige Regierungschefs Papandreou und der türkische Premier Erdogan zaghaft dafür, die Rüstungsausgaben bilateral zu senken. Dem Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit zufolge warnten die Regierungen in Berlin und Paris jedoch davor, diese Vorhaben umzusetzen, wenn die Finanzhilfen fortgeführt werden sollten. Auch ThyssenKrupp drohte laut dem griechischen Finanzminister Panos Beglitis damit, im Falle einer Unterbrechung der Rüstungsimporte, eine Werft mit 1500 Arbeitsplätzen und 2 Milliarden Euro Investitionen in Griechenland, zu schließen. Die Verträge der Rüstungskonzerne mit Griechenland – die teilweise erst durch Bestechungen zustande kamen [6] – sollen um jeden Preis weitergeführt werden.

Anmerkungen:

[1] SIPRI ist eine 1966 von der schwedischen Regierung gegründete Stiftung, die zu Konflikt und Kooperation im Kontext globaler Entwicklung forscht. Zu den militärischen Ausgaben aller Länder im Vergleich: SIPRI (2010): The SIPRI Military Expenditure Database (http://milexdata.sipri.org/result.php4). Außerdem zu internationalem Waffenhandel: Holtom, Paul; Béraud-Sudreau, Lucie; Bromley, Mark; Wezeman, Pieter D.; Wezeman, Siemon T. (2011): Trends in International Arms Transfers 2010. Solna: Stockholm International Peace Research Institute. Die Ergebnisse weichen vom aktuellen Bericht der Bundesregierung zum Export konventioneller Rüstung ab, in dem sich Portugal auf Platz 1 und Griechenland auf Platz 2 befindet.

[2] BMWi – Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2011): Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2010 – Rüstungsexportbericht 2010. Berlin: BMWi.

[3] Siehe Winfried Wolf, Geschichte einer Abhängigkeit – Deutsche Panzer und Siemens-Fakelaki, in: Lunapark21, Heft 10, Sommer 2010.

[4] Wiedergegeben bei Claas Tatje, Schöne Waffen für Athen, in: Zeitonline 7.1.2012. NATO (2010): Financial and economic data relating to NATO defence. Press Release 078 (10/06/10). pp. 4. In: www.nato.int/nato_static/assets/pdf/pdf_2010_06/20100610_PR_CP_2010_078.pdf (2/1/12).

[5] Die sogenannte Troika besteht aus den drei Akteuren: Europäische Union, Internationaler Währungsfonds (IWF) und Europäische Zentralbank (EZB).

[6] Diese Bestechung wurde besonders gut für den deutschen Konzern Siemens dokumentiert. Danach setzte Siemens in Griechenland ein Jahrzehnt lang pro Jahr rund 15 Millionen Euro an Schmiergeldern ein. Siemens ist zugleich der Lieferant der Brennstoffzellentechnik in den U-Booten der HDW-Werft, die an Athen geliefert werden. Siemens hält gleichzeitig 49 Prozent der Anteile am Panzerbauer KMW, der an Griechenland Panzer liefert.

Dalilah Reuben-Shemia studiert Globale Politische Ökonomie, hat in Griechenland gelebt und ist sporadisch im globalisierungskritischen Netzwerk Attac aktiv. Neben der Eurokrise beschäftigt sie sich mit sozialen Bewegungen und solidarischer Ökonomie.