Erscheint in Lunapark21, Heft 65 (Sommer 2025)
Die goldene Regel der Ethik lautet in einem biederen deutschen Reim: »Was du nicht willst, dass man dir tu’/ das füg auch keinem andern zu.« Im Umgang mit Menschen, die viel Macht haben, war die Berufung auf diese Regel schon immer schwierig. Machthaber gehen einfach davon aus, dass ihnen sowieso nie passieren wird, was sie anderen Menschen antun können. Einfach weil sie genug Macht haben, es zu verhindern. Dass jede Macht Grenzen hat, wird in Zeiten des Erfolges gern verdrängt.
US-Präsident Donald Trump hatte in seiner ersten Amtszeit das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt. Nun hat er die USA in einen Krieg geführt. Nicht nur, weil er es will. Er wollte schon früher. Sondern weil er es kann. Eine Einschränkung seiner Macht durch eine Entscheidung des US-Kongresses fürchtet er nicht. Skeptiker in den Führungsetagen des US-Militärs, der Geheimdienste und der Diplomatie sind gefeuert. Rücksichten auf isolationistische Strömungen unter seinen Anhängern muss Trump nicht nehmen. Autoritäre Bewegungen müssen nicht homogen sein, sie können sich heftig zerstreiten, ihre Führer können sie nicht absetzen. Tage vor dem Angriff verkündete der rechtsradikale Bewegungskader Stephen Bannon, dass der Präsident es seinen Leuten nur richtig erklären muss. Dafür sei ein Anführer da.
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Der Eintritt der USA in den Krieg zwischen Israel und dem Iran ändert zwei Dinge nicht. Zum einen setzen auch die USA allein auf Bombardierungen, das heißt: auf eine militärische Erpressung des Iran. Dazu muss es aber jemanden geben, der dieser Erpressung nachkommt, die aktuelle oder eine andere Regierung. Eine Eroberung und Besetzung des Landes ist nicht beabsichtigt. Nur dann würde man sich von allen weiteren Kompromissen mit einer selbständigen iranischen Staatsmacht unabhängig machen. Fast alle Erfahrungen des Desasters im Irak werden im Weißen Haus gerade ignoriert. Die politischen Rückwirkungen eines unabsehbar langen Kampfeinsatzes von US-Bodentruppen fern der Heimat, ohne Perspektive – diese Erfahrung ist nicht vergessen.
Kein Ende in Sicht
Zum zweiten ist auch nach der schweren Bombardierung eine Lösung nicht abzusehen. Netanyahus Aufrufe zu einer Revolution in Teheran sind lächerlich. Der Krieg gegen den Terror hat gezeigt, wie schwierig ein Regimewechsel und wie unvorhersehbar die Folgen sind. Ohne eine Kapitulation der iranischen Führung in der Frage der Anreicherung von Uran gibt es für die USA und Israel keinen Sieg.
Die NGO Arms Control Association reagierte auf den Angriff in der Nacht vom 21. zum 22. Juni sofort und präzise: »Die US-Militärschläge auf iranische Nuklearziele, darunter den schwer verteidigten, unterirdischen Urananreicherungskomplex von Fordo, können das iranische Atomprogramm zeitweilig zurückwerfen. Doch auf längere Sicht werden Militäraktionen den Iran zu der Erkenntnis drängen, dass Kernwaffen zur Abschreckung nötig sind, und Washington an Diplomatie nicht interessiert ist. Vor dem Beginn der israelischen Bombenoffensive am 13. Juni war es Konsens unter den US-Geheimdiensten, dass der Iran keine Entscheidung über den Bau einer Bombe getroffen hat und Monate, wenn nicht länger, davon entfernt war, eine sehr einfache Bombe zusammenzubauen. Vor Beginn des israelischen Angriffs war man sich einig: Es bestand keine unmittelbare Gefahr, dass der Iran sein Atomprogramm waffenfähig machte.
Militärschläge allein können die umfangreiche iranische Expertise in Nukleartechnologie nicht zerstören. Die Angriffe werden das iranische Programm zurückwerfen, aber nur um den Preis, dass die Entschlossenheit Teherans zur Wiederherstellung seiner entscheidenden Atomprogramme zu stärken, möglicherweise einen Rückzug aus dem Atomwaffensperrvertrag zu erwägen und möglicherweise die Militarisierung des Uranprogramms einzuleiten.«
Sehnsucht nach der guten alten Welt?
Heute wird zuweilen vergessen, mit welcher Erleichterung das Ende des Kalten Krieges aufgenommen wurde. Die Anzahl der verfügbaren Atomsprengköpfe sank von 1986 etwa 64.000 auf etwa 12.000 heute. In Europa kam noch die konventionelle Abrüstung im Rahmen des KSZE-Prozesses dazu. Gewaltige Ressourcen wurden so für den Aufbau einer anderen Welt freigesetzt.
Doch wofür wurden sie genutzt? Welche Welt ist in den letzten 35 Jahren errichtet worden? Der Golfkrieg 1991 zeigte sogleich, dass keine neue Welt des Friedens ausgebrochen war. Damals schrieben Linke von einer »neuen Weltordnung«, die von den USA dominiert werde. Tatsächlich ist es eine Weltunordnung und es geht nicht immer nur um die USA. Selbst zu Zeiten des Kalten Krieges waren auch die beiden Supermächte auf lokale und regionale Verbündete angewiesen. Schon damals bekamen beide Seiten eines solchen Bündnisses nicht immer, was sie wollten. Zum Beispiel an der Frage der Produktion und des Zugangs zu Atomwaffen zeigten sich heftige Konflikte zwischen und in den weltpolitischen Lagern. Weder die USA noch die Sowjetunion wollten hier Konkurrenz.
Zwei plus Sieben
Es gab und gibt nur zwei atomare Supermächte. Verglichen mit den USA und Russland sind die Bestände der Atommächte Großbritannien, Frankreich und China deutlich geringer. Faktisch verfügen heute noch eine Reihe weiterer Länder über solche Massenvernichtungswaffen: Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Das widerspricht dem Programm des Atomwaffensperrvertrages von 1968. Indien, Pakistan und Israel haben den Vertrag nicht unterzeichnet. Nordkorea unterschrieb 1985, ist aber 2003 ausgetreten.

In der Präambel bekennen sich die Teilnehmerstaaten zu dem Ziel, »zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Beendigung des nuklearen Wettrüstens herbeizuführen und auf die nukleare Abrüstung gerichtete wirksame Maßnahmen zu ergreifen«. Und Artikel VI legt ausdrücklich fest: »Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.« Nur wenige Staaten besaßen Atomwaffen und haben auf sie verzichtet: Südafrika und drei Nachfolgestaaten der Sowjetunion: die Ukraine, Kasachstan, Belarus. Alle aktuellen Kernwaffenstaaten planen heute, für eine unbegrenzte Zeit an diesen Massenvernichtungswaffen festzuhalten. Die wichtigsten Kernwaffenstaaten verletzten damit den Vertrag, dem sie 1968 (USA, Sowjetunion, Großbritannien) oder 1992 (Frankreich, Volksrepublik China) beigetreten sind.

Israel ist eine nichtoffizielle Atommacht. Der Bestand an Kernwaffen, über die das Land verfügt, wird auf etwa 90 geschätzt. Mit den dazugehörigen Trägermitteln sind sie die ultimative Abschreckungswaffe. Das heißt, sie einzusetzen ist gleichbedeutend mit der totalen politischen Niederlage. Das ist das nukleare Tabu: Ein Einsatz von Kernwaffen mag auf dem Papier kalkulierbar sein, mag ebenso geplant werden wie ein konventioneller Krieg. Und selbstverständlich existieren Berechnungen über Zerstörungsradien und mögliche Verluste, auf dem Papier. Die Explosion eines nuklearen Sprengkopfs wird als ein lokales Ereignis betrachtet. Alle Politiker und Militärs egal welchen Landes wissen, es ist ganz anders. Der DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker sprach in den 1980er Jahren öffentlich über Atomwaffen als »Teufelszeug«. Den sowjetischen Genossen gefiel das nicht: Bloß weil es stimmt, muss man es ja nicht sagen. Wer keine göttliche Rechtfertigung vorzeigen kann, kann den Einsatz von Kernwaffen nicht rechtfertigen. Nur gibt es auch viele politische Entscheidungen ohne Rechtfertigung.
Das iranische Atomprogramm
Erklärtes Ziel der israelischen und US-amerikanischen Luftangriffe ist es, den Iran an der Produktion von Kernwaffen zu hindern. Der Iran unterzeichnete den Atomwaffensperrvertrag 1968. Offiziell vertritt die iranische Regierung die Position, dass sie den Bau von Kernwaffen nie angestrebt hat und eine Urananreicherung nur zu zivilen Zwecken betreiben. Doch die Ausweitung der Anreicherung wurde mindestens als Druckmittel eingesetzt. Das war ein riskantes Spiel. Das Beispiel Nordkorea zeigt: Ein Aufstieg zu einem Kernwaffenstaat ist möglich. Aber erst wenn es geklappt hat, ist die Staatsführung sicher.
Sicher ist die iranische Staatsführung nicht. Die islamistische Diktatur im Iran hat das Land in eine Sackgasse manövriert. Politisch ist der »Kampf gegen den Zionismus« der letzte Rest des globalen Anspruches der islamischen Revolution im Iran. Es war ein Feld, auf dem die arabisch-sunnitischen Regime am Golf unter Druck gesetzt werden sollten. Für die Bevölkerung des Iran hat es, wenn überhaupt, eine ideologische Bedeutung. Mit den Konflikten im Iran, mit den Alltagsproblemen einer Bevölkerung von 90 Millionen Menschen hat es nichts zu tun. Die »Frau-Leben-Freiheit«-Proteste 2022 sind nicht vergessen.
Durch die Straße von Hormuz werden noch immer etwa 20 Prozent der Welterdölexporte verschifft. Doch in den letzten Jahren ging das globale Gewicht des Nahen und Mittleren Ostens zurück. Seine Energiereserven haben nicht mehr die Bedeutung wie Mitte der Siebziger Jahre. Damals entfielen auf den Mittleren Osten stabil über 36 Prozent der globalen Erdölproduktion. In diesem Jahrhundert lag der einsame Höhepunkt bisher im Jahr 2016 bei nur 34 Prozent. Nordamerika war trotz eigener Förderung bis 2018 immer ein Nettoimporteur von Erdöl. Seit 2019 gibt es einen Überschuss. 2023 verbrauchten sogar die USA allein – ohne Kanada – weniger Erdöl, als im eigenen Land gefördert wurde. Aufgrund sinkender Nachfrage geht der Ölverbrauch in Europa insgesamt und in der EU langsam zurück. Massiv zugenommen hat der Erdölverbrauch in Südostasien. Wenn morgen aufgrund des Krieges der Iran versuchen würden, diesen Seeweg zu sperren, dann würde das unter den Abnehmern vor allem Indien, treffen, aber auch China. Der alte Gegensatz zwischen dem Iran und den arabischen Golfstaaten würde massiv verschärft.
Israel: Ende der Abschreckung
Für die Mehrheiten in Israel geht es dagegen um die eigene Existenz. Die Regierung Netanyahu wie ihre Vorgänger verfolgten lange eine Abschreckungsstrategie. Irgendein Kompromiss mit den Palästinensern schien unnötig. Mit dem Blick auf die großen militärischen Möglichkeiten der israelischen Armee sah man die bloße Drohung eines Einsatzes für ausreichend an, um einen effektiven Angriff auch nur auf Teile Israels auszuschließen. Dieses Kalkül erwies sich am 7. Oktober 2023 als Illusion. Deshalb konnte die israelische Regierung seither die nötigen Ressourcen für eine Zerschlagung der Achse des Widerstands mobilisieren. Die Hamas und die Hisbollah sind militärisch besiegt. Die Reaktion des Iran waren erstmalig direkte Raketenangriffe auf Israel im April und Oktober 2024. Sie zeigten nur, wie weit der Angreifer unterlegen war. Die folgenden israelischen Luftangriffe zerstörten wesentliche Elemente der iranischen Luftabwehr. Anfang Dezember fiel das Regime in Syrien, ein letzter Verbündeter des Iran. Gaza ist aus den Schlagzeilen, solange keine Deportation der Bewohner aus dem Küstenstreifen organisiert wird. Auch anderswo ziehen sich ungelöste, blutige Konflikte hin: Im Ostkongo, Sudan, Somalia, …
Der islamistische Traum einer Vernichtung des Zionismus ist auch zerplatzt. Israel verfügt über ganz andere Ressourcen und setzt sie seit dem 7. Oktober rücksichtslos ein. Die israelischen Luftstreitkräfte sind in der Lage, die 1600 Kilometer zwischen Tel Aviv und Teheran selbständig zu überwinden. Sie waren über dem Iran in wenigen Stunden erfolgreicher als Russland in der direkt benachbarten Ukraine in Jahren. Die ukrainische Luftabwehr hält die russischen Bomber auf Abstand. Israel hat die Luftherrschaft über dem Iran erobert und den US-Bombern den Weg freigemacht. Das ist mit modernen Waffensystemen möglich, ohne auf Nuklearwaffen zurückzugreifen.
Der Rest der Welt
Einen direkten Einfluss auf die kriegführenden Staaten haben andere Länder nicht. Doch auf nur einen Tag diplomatischer Gespräche zwischen dem Iran, der EU, Großbritannien, Frankreich und Deutschland reagierte Donald Trump flink mit der Behauptung: »Iran will nicht mit Europa reden, sie wollen mit uns reden.« Europa könne den USA »in dieser Sache nicht helfen.« Keine 36 Stunden später war klar, was gemeint war: Niemand hat etwas zu sagen, wenn die USA Bomben werfen. Nur hat die Empfindlichkeit Trumps tiefere Wurzeln. Allein Entscheidungen zu treffen ist souverän. Die Folgen souveräner Entscheidungen allein zu tragen ist riskant.
Radien, außerhalb derer technische Kampfmittel bei einer Erddetonation kampffähig bleiben:
Aus einem Ausbildungsbuch der Nationalen Volksarmee der DDR
Ein Ende des Konfliktes um das iranische Atomprogramm ist nicht abzusehen. In Washington haben sicher manche Experten das warnende Beispiel Russlands vor Augen. Russland ist eine atomare Supermacht, aber auch nur das. In der Ukraine hat es sich übernommen. Die militärischen Möglichkeiten der USA sind ungleich größer, für eine Eroberung des Irans reichen sie nicht. Was also, wenn die Führung in Teheran nicht nachgibt? Die Auseinandersetzungen im eigenen Land werden zunehmen. Die Abhängigkeit der USA von ihren geschmähten Verbündeten wird sich erhöhen. Alleingänge werden schwieriger, wenn die Abhängigkeit von den Verbündeten wächst. Anfang Juli läuft die aktuelle Frist für eine Neuregelung der US-Zollpolitik gegenüber der EU aus.
Welche Prinzipien?
Von Regierungen wird prinzipieller Widerspruch nicht kommen. Juristische Bedenken gegen einen präventiven Angriff spielen keine Rolle. Die Frage ist, ob eine demokratische Linke nicht nur Macht kritisieren kann, sondern auch dazu beiträgt, Macht zu kontrollieren. Ihre Sache war einmal verloren, als die Leute aufhörten, die Macht zu kontrollieren, die sie selbst für ein großes Ziel, eine historische Mission einsetzen wollten. Am Ende wandten sich die Bevölkerungen im Ostblock dem Kapitalismus als dem kleineren Übel zu. Die Sieger des Kalten Krieges haben den Frieden verloren und tun so, als ob das nichts heißt. Sie können das, weil ihre Herrschaft nicht in Frage steht. Die aktuelle Epoche der Weltwirtschaft und Weltpolitik begann 1989 und dauert an.
Und nun? In den Zeiten des Kalten Krieges schrieb Friedrich Dürrenmatt ein Theaterstück über den Versuch, durch höchsten persönlichen Einsatz die Menschheit vor der atomaren Katastrophe zu retten. Das Stück spielt in einem Irrenhaus: »Die Physiker«. Die Helden auf der Bühne scheitern. Für das Publikum schrieb er in einem Kommentar: »Wer für sich zu lösen versucht, was alle angeht, wird scheitern.« Die Einsicht ist bis heute gültig. Frieden gibt es nicht im Plural.
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