Die Tageszeitungen vom 30. November 2016 und die ARD-Tagesschau vom Vorabend melden: „In ganz Europa Ladestationen für E-Autos“. Es komme zu einer gewaltigen Investitionsoffensive in der Europäischen Union, um dem Elektro-Auto zum endgültigen Durchbruch zu verhelfen. Dafür wirbt auch bereits eine Fast-Allparteienkoalition von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP und AfD. Warum das ein großangelegter Schwindel ist, erklärt Winfried Wolf HIER.
Es stimmt ja: Alle reden vom Boom der Elektroautos. Beispielsweise wie folgt: „Bei den Elektromobilherstellern herrscht Goldgräberstimmung. Die Marktprognosen versprechen bis zu einer Million verkaufter E-Mobile in den nächsten fünf Jahren.“ Uups. Das war 1991 so zu lesen – in der VCD-Zeitschrift „Fairkehr“ (3/1991). Heute, ein Vierteljahrhundert später, gibt es in Deutschland gerade mal 25.500 Elektroautos. Wirklich „heute“: Ende 2016.
Doch es gibt – erneut! – die Aussage der Berliner Regierung, wonach es bis zum Jahr 2025 wenigstens eine Million E-Autos geben soll. Naja, vor zwei Jahren hieß es noch: bis 2020; aber Schwamm drüber.
Nun bezog sich jedoch vor einem Vierteljahrhundert die Zielvorgabe „eine Million E-Autos“ auf einen westdeutschen Pkw-Park von 30 Millionen bzw. auf damals 35 Millionen Kraftfahrzeuge. Das hätte einem E-Auto-Anteil an allen Pkw von 3,3 Prozent oder an allen Kfz von 2,8 Prozent entsprochen. Im Jahr 2025 würde sich die eine Million Elektro-Pkw auf eine Gesamt-Pkw-Flotte von rund 55 Millionen Pkw und von gut 65 Millionen Kfz beziehen Der Anteil der Elektroautos an allen Pkw ist dann auf 1,8 Prozent, derjenige an allen Kfz auf unter 1,5 Prozent gesunken. Er hat sich fast halbiert. Aktuell sind es 44 Millionen konventionelle Pkw und 54 Millionen Kfz. Der Anteil des E-Auto-Flöttchens mit 25.500 Stromern an allen Pkw liegt bei 0,056 Prozent, derjenige an allen Kfz bei 0,047 Prozent; er ist kaum messbar und eigentlich irrelevant. Mehr als 99 Prozent aller Autos sind konventionelle Benziner und Dieselfahrzeuge. Vor allem aber: 2025 gibt es auch dann, wenn es diese ein Million Elektro-Autos geben würde, zwanzig Millionen konventionelle Kfz mehr als 1990 (in BRD und DDR zusammen). Selbst wenn dieses reichlich ehrgeizige Ziel zur „Elektronmobilität“ umgesetzt werden würde, liegen die klimaschädigenden Kfz-Emissionen aus dem deutschen Autoverkehr beträchtlich höher als 1990/91. Wobei wir dabei noch die Tatsache bedenken müssen, dass die aktuellen Zahlen zum Spritverbrauch um 42 Prozent höher sind als offiziell ausgewiesen.
Inzwischen sind es ausgerechnet die Grünen, die sich in besonderem Maß für das Elektro-Auto engagieren. Der Grünen-Fraktionschef Anto Hofreiter argumentiert dabei wie ein Vollpfosten-Auto-Macho: „Ein Elektroauto zu fahren macht deutlich mehr Spaß als Benziner oder Dieselfahrzeuge – weil Sie zum Beispiel blitzschnell an der Ampel starten können, da lassen Sie jeden Maserati stehen. […] Es geht hier um Klimaschutz, um mehr Gesundheit, aber auch um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.“[1]
Betrachten wir die Sache nüchtern. Bei einer „Elektromobilität mit Pkw bleiben die wesentliche Kritikpunkte, die es im Fall eines auf Pkw basierenden Transports gibt, bestehen. Und zwar wie folgt:
– Der Pkw-Verkehr benötigt rund vier Mal mehr Fläche als ein Verkehrssystem, das auf Fußwegen, Radfahren und öffentlichen Verkehrsmitteln beruht. Er ist für dicht besiedelte Städte schlicht nicht geeignet bzw. er zerstört Lebensqualität und Urbanität.
– Mal ganz praktisch: Los Angeles ist die Stadt mit der höchsten Pkw-Dichte. Es gibt dort mehr angemeldete Pkw als Einwohner. Es ist auch die Stadt mit der höchsten Highway-Dichte. Es ist die Stadt mit dem beeindruckendsten Dauerstau. Und die Stadt mit einer besonders niedrigen Pkw-Reisegeschwindigkeit (sie ist geringer ist als die eines – meinetwegen: sportlichen – Fahrradfahrers). Jetzt gönnen wir doch Elon Musk den Erfolg und lassen uns mal annehmen, dass dort alle Pkw Tesla wären. Dass es auch ein gigantisches Netz von Ladestationen mit Millionen Steckdosen und „Supercharger“ (Schnelllade-Stationen) geben würde. Würde sich am Stau und an der Reisegeschwindigkeit und an dem Flächenverbrauch irgendetwas ändern?
– Die CO-2-Bilanz von Elektro-Pkw ist dann, wenn auch die Herstellung der Pkw und der Batterien in die Bilanz einbezogen wird, bereits in Europa weitgehend identisch (schlecht) wie diejenige des Pkw-Verkehrs mit konventionellen Motoren. In anderen Regionen, so in China, wo die Elektro-Pkw-Offensive besonders massiv vorangetrieben wird, schneiden Elektro-Pkw nochmals deutlich schlechter ab, da der Strom-Mix zu einem noch größeren Teil von Kohlekraftwerken bestimmt wird.
– Es bleibt auch bei dem immensen, überproportional hohen Blutzoll – von aktuell weltweit 1 Million Straßenverkehrstoten pro Jahr. In (ganz) Europa sind es rund 45.000 Straßenverkehrstote jährlich (in der EU 33.000). Das heißt: Bereits in Europa mit einer relativ niedrigen Rate an Straßenverkehrstoten gibt es in einem Jahrzehnt 450.000 Straßenverkehrstote, was der Bevölkerungszahl der Stadt Stuttgart entspricht.
– Die gesellschaftlichen (rein finanziellen) Kosten eines auf Elektro-Pkw basierenden Transports sind gewaltig. Die Subventionen je Elektro-Pkw betragen aktuell in Deutschland je Pkw 4000 Euro. Hinzu kommen versteckte Beiträge wie diejenigen für eine Elektro-Pkw-Infrastruktur. Am Ende sind es deutlich mehr als 10.000 Euro je E-Pkw. In China werden je Elektro-Pkw bereits umgerechnet zwischen 10.000 und 20.000 Euro an direktem Zuschuss gezahlt. Überall, wo Elektro-Pkw im Einsatz sind, erhalten die Nutzer zusätzlich enorme Privilegien wie freie – für E-Cars reservierte – Parkplätze, Mitbenutzung von Busspuren, kostenlosen oder stark subventionierten Strom.
– Besonders oft wird das Beispiel Norwegen als „vorbildlich“ in Sachen Elektromobilität angeführt. Tatsächlich ist das skandinavische Land führend beim Anteil von Elektro-Pkw an allen neu verkauften Pkw. Doch es ist auch führend bei der Subventionierung dieser Transportform. Im Land gibt es weitgehend Steuerfreiheit beim Kauf eines Elektro-Pkw: es wird keine Mehrwertsteuer und keine Kfz-Steuer erhoben. Eine Studie aus dem Jahr 2014 ergab: Pro Jahr (!) wird in Norwegen ein Elektro-Pkw mit 6200 Euro aus Steuermitteln subventioniert. Während der rund zehnjährigen Lebensdauer zahlt der Staat also 62.000 Euro an Subventionen je Elektro-Pkw.
– Elektro-Pkw sind dann, wenn sie von Individuen gekauft werden, fast immer Zweit- oder Drittwagen. Für Norwegen gibt es auch hierzu die exakten Zahlen: 93 Prozent der Käufer eines Elektro-Pkw verfügen bereits über ein Auto mit konventionellem Antrieb. Das heißt jedoch: Damit wird mit Elektro-Pkw die gesamte Pkw-Flotte eher noch vergrößert. Die Käufer von Elektro-Pkw leisten sich für den Stadtverkehr einen Zweit- oder gar Drittwagen. Sie blockieren dort die Busspuren und behindern damit den öffentlichen Verkehr. Für Touren mit größeren Entfernungen wird weiterhin ein Pkw mit Benzin- oder Dieselkraftstoff-Antrieb – oder, völlig absurd, ein Hybrid-Pkw mit zwei Motoren und 500 Kilogramm Zusatzgewicht – genutzt. Wobei dann der E-Pkw, wenn er nicht benutzt wird, in der City einen Stellplatz benötigt. Elektroautos verstärken damit den Trend, den es seit zwei bis drei Jahrzehnten gibt: Das Auto als allgemeines Verkehrsmittel wird aufgespalten in viele Autos für unterschiedliche Zwecke: Stadtauto (gerne als e-car), Familienauto („Van“), Freizeitauto (SUV), Kleintransporter und Tourenwagen. Damit aber wird die Zahl der Pkw nochmals deutlich erhöht.[2]
– Hinzu kommt: Die meisten Käufer von E-Pkw sind bislang entweder Behörden und Unternehmen in öffentlichem Eigentum. In diesem Fall werden zusätzliche Steuergelder dafür eingesetzt, dass ein grüner Schein produziert wird. In China sind beispielsweise mehr als die Hälfte der verkauften Elektro-Pkw solche, die an Behörden und andere öffentliche Stellen gingen.
Tatsächlich konnten im vergangenen Jahr (2015) weltweit nur 420.000 Elektro-Pkw verkauft werden. Das entspricht rund 0,5 Prozent aller verkauften Pkw. In Deutschland wurden 2015 gerade mal 12.400 E-Autos verkauft. Und, besonders krass: In den ersten zehn Monaten des Jahres 2016 wurden in Deutschland weniger Elektro-Pkw verkauft als im Vorjahr – obwohl Schäuble den spendablen Max gibt und direkt Gelder beim Kauf eines Elektro-Pkw zuschießt.
Vor wenigen Tagen äußerte VW-Chef Müller, es gebe längst genügend Elektro-Modelle im Angebot. Es seien doch die Käufer, die diese derzeit nicht nachfragten. Müller hat damit zwar Recht. Doch er wurde für diese Aussage massiv kritisiert – und ging darauf in Deckung. Nun erklärt auch VW, man wolle „mit E-Autos an die Weltspitze“. Interessant ist jedoch, dass die Autokonzerne E-car-Modelle entwickeln, von denen sie selbst nicht überzeugt sind. Die als reine Ladenhüter in den Showrooms stehen. Oder dazu dienen, staatlichen Auflagen zu genügen.[3]
Wie ist dann die Propagandaschlacht pro Elektro-Pkw zu erklären? Nun, in jüngerer Zeit hat sich die Kritik an der Autogesellschaft verschärft. Es gibt auch ein deutlich verändertes Käuferverhalten, vor allem bei jungen Menschen. Das Prestige und die Symbolkraft, die die Automobilität fast ein Jahrhundert lang hatte (und in den Schwellenländern noch hat), wurde deutlich reduziert. Vor diesem Hintergrund kommt es zu einer Art „Beruhigungs-Offensive“. Die Autolobby verkündet: Wir haben längst Alternativen zum Auto mit konventionellem Antrieb und zum Pkw in Privatbesitz. Es werde in Bälde massenhaft Elektro-Pkw geben. Darüber hinaus würden sich clevere Systeme für Miet-Pkw und Car-Sharing ausbreiten. Und dann gibt es noch Google-Car, automatisches Fahren usw.
Die „Alternativen“, die die Autolobby bietet, stellen damit vor allem ein „green-washing“ der Autogesellschaft dar. Elektromobilität dort, wo es Sinn machen würde, taucht nicht auf – auf der Schiene, als Eisenbahn, S-Bahn oder Tram. Ja, die Deutsche Bahn AG und der Bahnchef sind besonders eifrige Fürsprecher für Elektro-Pkw (und bieten solche bei ihrer Miet-Pkw-Tochter an). Grube als Ex-Daimler-Manager weiß, was sein Ex-Arbeitgeber will. Und der Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber traf den Nagel auf den Kopf, als er erklärte: „Beim [Elektro-Pkw-Modell] Denzo handelt es sich um die beste Alternative zur Rückkehr zum Fahrrad.“[4]
Genau darum geht es: Bitte nicht zurück zum Fahrrad! Bitte keine Rückkehr zu Nachhaltigkeit und Vernunft!
[1] Interview im Handelsblatt vom 3. November 2016.
[2] Angaben für Norwegen nach: Studie von Anders Skonhoft, Universität Trondheim, 2014 (www.ntnu.edu/employees/anders.skondhoft und www.ntnu.edu/documents/140152/622066862/Skondhoft_2014.pdf). Wiedergegeben in: Tageszeitung vom 9. September 2014.
[3] Typisch ist hierfür das Beispiel BMW in China. Der deutsche Autokonzern stellte im November 2013 zusammen mit seinem chinesischen Partner Brilliance in Guangzhou (ehemals Kanton) das neue Elektroauto-Modell „Zinoro“ der Öffentlichkeit vor. Doch zur Weltpremiere waren nur chinesische Journalisten zugelassen; deutsche Medienvertreter wurden explizit ausgeschlossen. Ein BMW-Sprecher begründete dies damit, dass das Fahrzeug „für den Rest außerhalb Chinas nicht relevant“ sei. Dabei ist China der weltweit größte Automarkt überhaupt – und somit außerordentlich „relevant“ für den „Rest der Welt“. Der Grund für die vornehme Zurückhaltung besteht laut Frankfurter Allgemeine Zeitung im Folgenden: Das Modell wurde „unter dem Druck der chinesischen Regierung“ entwickelt. Diese verlange, so die FAZ, „dass Ausländer eine rein chinesische Marke etablieren und dass sie ein in China entwickeltes und gebautes Fahrzeug mit alternativem Antrieb auf den Markt bringen.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Januar 2014).
[4] In: Handelsblatt vom 22. April 2014. Im übrigen schreiben die Unternehmen, die ausschließlich Elektro-Pkw herstellen, trotz der Subventionen rote Zahlen (so Tesla in Kalifornien, USA) (wohl mit Ausnahme des letzten Geschäftsjahres, in dem es ein erstes kleines Plus gab.
Die nächste Print-Ausgabe von Lunapark21 erscheint am 15.12.16. Schwerpunkt ist die Präsidentenwahl in den USA und das Programm des President-elect Donald Trump. Mit Beiträgen u.a. von Mike Davis und Sebastian Gerhardt.
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