„Neuer Bioimperialismus“

Vandana Shiva im Interview über die Macht Monsantos, gentechnisch veränderte Organismen und Saatgutfreiheit
Lunapark21 – Heft 22

Warum haben Monsanto und andere Konzerne die gentechnisch veränderten Organismen (GVO) auf den Markt gebracht?

Es handelt sich um eine Strategie, die Kontrolle über unser Ernährungs- und Gesundheitssystem zu erlangen. 1987 fand in Genf eine Konferenz statt, an der die UNO und die Industrie teilnahmen. Ich habe diese Top-Manager reden hören. Es geht eindeutig um das Eigentum an Saatgut, um die Möglichkeit, Nutzungsgebühren erheben zu können. Darum müssen sie die Saatgutvielfalt, die Saatgutsouveränität und die Nahrungsmittelsouveränität zerstören. Warum sollten ihnen Bauern Nutzungsgebühren zahlen, die über eigenes Saatgut verfügen? Darum geht es bei den GVO: aus einem kollektiven Nutzen ein Monopol zu machen. Nehmen wir das Beispiel Mais: In jedem der Saatkörner stecken Millionen Jahre Evolution sowie tausende Jahre kleinbäuerlicher Züchtung. Das ist Intelligenz. In den 1980er Jahren merkten Konzerne wie Monsanto: Wir können Lizenzgebühren für jede Pflanze einnehmen, wenn wir die Eigentumsrechte für uns beanspruchen und die Intelligenz der Natur und der Bauern leugnen.

Die Konzerne führen das Argument höherer Erträge und den Kampf gegen den Hunger an…

Es sind in der Welt die Zentren für Saatgut-Vielfalt, in denen die Bauern ausgeklügelte landwirtschaftliche Systeme entwickelt haben. Sie haben die längste Erfahrung. Das Agrarwissen in unseren Gesellschaften ist reichhaltig. Wir könnten die Weltbevölkerung mehrfach ernähren, wenn wir uns weltweit nach der Arbeitsweise der Kleinbauern und nicht der Monsantos richten. Wir sprechen von Gesundheit und Ernährung pro Hektar, denn darum sollte es bei Nahrungsmitteln gehen. Monsanto produziert keine Nahrungsmittel, sondern giftige Profitgüter. Im Übrigen: Nur 10 Prozent der Mais- und Sojaproduktion weltweit sind für die menschliche Nahrungskette bestimmt, werden direkt von den Menschen konsumiert. Der Großteil wird für Agrotreibstoffe und für tierische Futtermittel verwendet.

Niemand in der Welt erzielt höhere Erträge aufgrund der gentechnisch veränderten Komponente. Die Transgene weisen nur zwei Eigenschaften auf: zum einen das Bt (Bacillus thuringiensis), ein Gift, das mit der Genmanipulation in die Pflanze eingebracht wird. Zum anderen gibt es die Resistenz gegen Round Up Ready (Glyphosat), ein Pestizid, dem die Pflanze ausgesetzt wird. Alles was wir haben sind also zwei giftige Anwendungen. Nicht mehr. Die eine Anwendung soll Schädlinge kontrollieren, die andere Unkräuter. Beide Anwendungen versagen. Sie haben Super-Schädlinge und Super-Unkräuter geschaffen. Schädlinge, die angeblich durch das Gift Bt kontrolliert werden sollten, sind resistent geworden. Daher wurden neue Bt-Gene hinzugefügt. Ähnliches geschah mit den Roundup-Pflanzungen und der exzessiven Anwendung von Glyphosat. In den USA kämpft die Hälfte der Farmen mit nicht kontrollierbaren Unkräutern. Nun lautet dort die Empfehlung: „Kauft Agent Orange, wenn Roundup Ready nicht funktioniert.“ Das Gift Agent Orange wurde bekanntlich im Vietnamkrieg eingesetzt und entwickelt von – Monsanto.

Wie gelingt es den Konzernen dennoch, sich mit den GVO weitgehend auf den Märkten durchzusetzen?

Es sind viele Wege, auf denen die GVO und die Konzerne, die dahinter stehen, unser Saatgut, unsere Landwirtschaft, unsere Politik, unsere Ökonomie kontaminieren. Monsanto schrieb das WTO-Gesetz über intellektuelle Eigentumsrechte. Monsanto hat kürzlich die sogenannte Monsanto-Schutzklausel in das aktuelle Haushaltsgesetz der USA gemogelt. Es verbietet den US-Gerichten faktisch, Urteile gegen den Konzern zu vollstrecken. Gerade versucht Monsanto, das Biosicherheits-Gesetz in Indien zu seinen Gunsten zu modifizieren, eine Deregulierung im Namen der Regulierung durchzusetzen. Das geschieht jeden Tag, in jedem Teil der Welt. Es gibt keinen Ort, an dem Monsanto nicht daran arbeitet, das Regierungssystem zu korrumpieren.

Wie gelingt es Monsanto, die Bauern zu überzeugen?

Ich will mein Heimatland Indien und den Fall der Baumwolle anführen. Zuerst einmal hat die Regierung auf mysteriöse Weise ihre Arbeit eingestellt. Wir haben das weltweit führende Institut für Baumwollforschung. In Indien gab es 1500 Baumwoll-Varietäten. Bis 1998 verteilte das Institut Saatgut. 1998 stellten sie das ein. Gleichzeitig begann Monsanto, Saatgut-Unternehmen in Indien aufzukaufen oder sich mit ihnen zu assoziieren.

Die Bauern hatten auch ihr eigenes Saatgut. Monsanto überzeugte die Bauern, dass ihr Saatgut schlecht, primitiv sei. Sie kündigten eine neue Wundersaat an, die die Bauern laut Werbung zu Millionären machen würden. Anfangs schickten sie Wagen mit Videoleinwänden in die Dörfer. Je nach Region arbeiten sie mit Symbolen der Gottheiten, um ihr Saatgut anzupreisen. Die Bauern mit ihrem tiefen Vertrauen in ihre Heiligen glauben: Wenn der Heilige mir sagt, was zu tun ist, dann sollte ich das tun. Was passierte? Das Saatgut der Regierung gibt es nicht mehr, das Saatgut der Bauern gibt es nicht mehr, also müssen die Bauern ihr Saatgut nun auf dem Markt kaufen. Und was gibt es auf dem Markt? Monsanto hat 60 indische Unternehmen in Lizenzverträge gezwängt, damit sie nur noch die gentechnisch veränderte Bt-Baumwolle verkaufen und den Verkauf ihres eigenen Saatgutes einstellen. In Indien kostete das öffentliche Baumwoll-Saatgut 5 Rupien pro Kilo, das Gensaatgut von Monsanto nun 4000 Rupien.

Bei einem Landbesuch informierte eine Kollegin mich über einen Suizid im Dorf und ich entschied, die Witwe zu besuchen. Ich fragte sie, warum ihr Mann sich umgebracht habe. Die Frau zeigte auf eine kleine Schachtel über der Feuerstelle. Die war voll von leeren Saatgutpackungen. Mir wurde klar, dass dieser Bauer viele, viele Marken ausprobiert hatte. Das Saatgut wird unter dem Namen Mahyco oder dem Namen Razi verkauft, unter dem Namen der indischen Unternehmen, die den Bauern vertraut sind. Aber in der Ecke jeder Packung befindet sich ein kleines Logo mit dem Namen Bollgard, der Bt-Baumwolle von Monsanto. Die Bauern merken gar nicht, dass es sich um Monsanto handelt. Sie denken, der Fehler liegt bei der Marke. Wenn es mit einer Marke nicht funktioniert, kaufen sie die nächste, haben sie damit keinen Erfolg, die nächste, und so weiter. Sie geben immer mehr Geld aus. Sie sind hoch verschuldet und was sie bekommen, ist einzig das Saatgut von Monsanto. Monsanto kam mit seiner Genbaumwolle und kontrolliert nun 95 Prozent des Baumwollsaatguts in Indien.

Wir haben gesehen, wie diese Zerstörung der Saatgut-Freiheit in Indien zu einem Genozid geführt hat. 270000 indische Bauern, weitestgehend aus den Baumwollregionen, haben Suizid begangen, weil sie aufgrund der Ausgaben für Saatgut und Nutzungsgebühren verschuldet waren. Es kommt der Tag, an dem die Unternehmensvertreter am Ziel sind: Die Menschen unterschreiben ein Stück Papier, in dem steht: „Ich akzeptiere alle Kreditbedingungen und belaste mein Land mit einer Hypothek“. Und wenn er das Land für den Kredit hergeben muss, dann geht der Bauer auf das Feld und trinkt große Mengen Pestizid, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Warum? Weil sein Land, seine Mutter Erde ihm entrissen wurde. Vielleicht betrieben 30 oder 40 Generationen auf diesem Boden Landwirtschaft.

Aber es lassen sich doch nicht alle Bauern auf die Logik von Monsanto und anderer Gentechnikkonzerne ein.

Es wird immer noch ein paar Bauern geben, die Nein sagen. Die sagen, ich will mein eigenes Saatgut. Ich werde eures nicht kaufen. Darum bereiten die Konzerne einen neuen Angriff vor, in Form der Meldegesetze für Saatgut, die auf industriellen Kriterien beruhen. Welche Normen gibt es für die obligatorische Registrierung? Die Uniformität. Wenn also eine Person z.B. mit traditionellem Mais ankommt, dann wird es heißen, „tut uns leid, das ist nicht uniform“ und sie werden die Genehmigung verweigern. Eine neue Taktik, unsere Vielfalt zu zerstören, sie zu kriminalisieren.

In der Vergangenheit hat es Freiheitsbewegungen gegen den Feudalismus und den Kolonialismus gegeben. Aber Monsanto hat eine neue Art Imperialismus definiert, einen Bioimperialismus, eine neue Versklavung des Lebens. Wir brauchen Saatgut-Souveränität, wir brauchen Saatgutvielfalt. Beim Saatgut beginnt die Freiheit.

Das Interview führte Gerold Schmidt im April 2013 in Mexiko-Stadt.