Mais ist in Mexiko Kulturgut
Gerold Schmidt. Lunapark21 – Heft 22
Nirgendwo auf der Welt ist die genetische Vielfalt von Mais so groß wie in seiner Wiege, dem heutigen Mexiko und der mesoamerikanischen Region. Antonio Turrent, Vorsitzender der Vereinigung Gesellschaftlich Engagierter Wissenschaftler (Uccs), spricht von „einem Megaexperiment autochthoner dynamischer genetischer Züchtung, das es in der Welt kein zweites Mal gibt. Es wird ohne Unterbrechung seit 6000 Jahren von den Bewohnern Mesoamerikas durchgeführt.“
Ursprünglich aus dem Wildgras Teosinte weiterentwickelt sind in Mexiko heute 59 einheimische Sorten registriert. Es gibt hunderte Varietäten, angepasst an die spezifischen örtlichen Bedingungen. Die Kleinbauern tauschen ihr Saatgut innerhalb der Gemeinde aus, andere verkaufen es auch auf lokalen oder regionalen Märkten. Millionen von ihnen bringen ihr traditionelles Maissaatgut Jahr für Jahr auf dem Feld aus.
„Einzig Maismasse trat in das Fleisch unserer Ahnen.“ So steht es im Popul Vuh, der Schöpfungsgeschichte der Mayas. Der Mais und der aus ihm geschaffene Mensch, sie galten als Einheit. Die „Pflanze der Götter“ ist nach wie vor das wichtigste Nahrungsmittel in Mexiko. Und ein Kulturgut.
Die schmutzigen Sechs
Doch das interessiert die Gentechnik-lobby wenig. Seit Mitte der 1990er Jahre drängt sie darauf, das Land mit dem großflächigen kommerziellen Anbau von Genmais zu beglücken. Die Multis sind in der Vereinigung Agrobio zusammengeschlossen. Monsanto und vier weitere Giganten der Biotechnologie: Bayer, Dow, Dupont-Pioneer und Syngenta. Von den sechs Konzernen, die weltweit das Geschäft mit transgenem Saatgut kontrollieren, fehlt nur BASF. Laut Agrobio-Direktor Alejandro Monteagudo „kann Mexiko keine weiteren 17 Jahre auf Genmais warten“. Monteagudo bezeichnet den Genmais als nachhaltig und behauptet, er könne „zum Erreichen der Ernährungssicherheit und dem wirtschaftlichen Wachstum der Landwirte beitragen“. Es seien Ertragssteigerungen pro Hektar um 15 bis 20 Prozent möglich. Der Lobbyist gehört zu den sogenannten „Paternoster-Funktionären“, die den Aufzug auf der einen Seite als staatliche Funktionsträger betreten, um ihn dann auf der anderen Seite als Beschäftigte der Privatindustrie zu verlassen – und umgekehrt.
Bevor Monteagudo hinter dem Schreibtisch von Agrobio die Geschäfte führte und im Namen der Multis sprach, war er im mexikanischen Wirtschaftsministerium mit Handelsfragen beschäftigt. Und zwar genau in dem Zeitraum, in dem der Rechtsrahmen für die Biotechnologie diskutiert und verabschiedet wurde.
Schritt für Schritt arbeiteten sich die Konzerne vor. Bereits 2005 verabschiedete die mexikanische Regierung unter dem Präsidenten Vicente Fox das Gesetz über Biosicherheit und gentechnisch veränderte Organismen. Im Volksmund heißt das Regelwerk aufgrund der Formulierungshilfe aus seiner Rechtsabteilung bis heute Monsanto-Gesetz.
2009 hob die Regierung unter Präsident Felipe Calderón dann trotz weitreichender Proteste das seit 1998 geltende Moratorium für Genmaispflanzungen in Mexiko auf. Damit schaffte sie die Voraussetzung für die folgenden systematischen Genehmigungen für den kleinflächigen experimentellen sowie den sogenannten Pilotanbau von Genmais. Im September 2012 beantragten die Konzerne Monsanto, Du Pont-Pioneer und Dow erstmals die Genehmigung für die kommerzielle Aussaat auf über einer Million Hektar Land in den nördlichen Bundesstaaten Sinaloa und Tamaulipas. Dabei handelte es sich um die gesamte Fläche für den Bewässerungsfeldbau in dieser Region. Monsanto legte im März 2013 noch einmal kräftig nach: In den Bundesstaaten Chihuahua, Coahuila und Durango möchte der Multi gleich auf 12 Millionen Hektar Genmais pflanzen.
Doch gleichzeitig wächst der Widerstand gegen diese Pläne enorm. Die
Gegner des Genmais halten eine Verunreinigung der einheimischen Maissorten für unvermeidlich, ist der kommerzielle Anbau einmal auf den Weg gebracht. Das wäre nicht nur ein Angriff auf die biologische Vielfalt des Mais in seinem Ursprungszentrum. Sie sehen auch andere Konsequenzen: weiter zunehmende Abhängigkeit der Bauern von internationalen Saatgut- und Biotechkonzernen im Zuge von Lizenzgebühren, die Zerstörung der kleinbäuerlichen und indigenen Kultur, verstärkter Pestizideinsatz und potentielle Gesundheitsrisiken.
2013 – Jahr des Widerstandes gegen Genmais
Das landesweite Netzwerk zur Verteidigung des Mais hat darum 2013 zum Jahr des Widerstandes gegen den Genmais erklärt. Der Protest vereint kleinbäuerliche und indigene Gemeinden, kritische Wissenschaftler, studentische Initiativen und Umweltorganisationen. Es vergeht kaum eine Woche ohne eine Aktion: teilweise überfüllte Veranstaltungen mit nationalen und internationalen Experten an den Universitäten, Demonstrationen und Hungerstreiks von Bauern, Foren mit mehreren hundert Teilnehmern wie Ende April im Kontext einer Anhörung des Ständigen Völkertribunals zum Thema Mais im Bundesstaat Oaxaca oder der „Maiskarneval“ in der Hauptstadt im Rahmen des weltweiten Aktionstages gegen Monsanto am 25. Mai. Die Stadtbewohner, die als Konsumenten von einer massiven Einführung von Genmais betroffen werden, sollen durch Radiospots und Flugblätter verstärkt sensibilisiert werden. Aus dem Ausland kommen Briefaktionen an die mexikanische Regierung, die die Proteste gegen den Genmais unterstützen.
„Es ist die Breite der Opposition, die eine neue Qualität ausmacht“, sagt Ana de Ita vom Zentrum für den Wandel im mexikanischen Landbau (Ceccam). „Ich glaube, wir gewinnen den Kampf um die öffentliche Meinung. Aber eine Garantie für ein Umdenken in der Regierung ist das noch nicht.“ In der Tat ist nun die seit dem 1. Dezember 2012 amtierende Regierung von Präsident Peña Nieto am Zug. Ihre Position wird eher gentechnikfreundlich eingeschätzt. Doch sie zögert mit einer Entscheidung, misst offenbar noch die politischen Kosten. Landwirtschaftsminister Enríque Martínez y Martínez gab Anfang Mai eine Stellungnahme ab, es sollten erst noch alle wissenschaftlichen Stimmen gehört werden.
Doch die wissenschaftlichen Argumente zum Thema liegen seit langem vor. Nur geben sie der Genlobby zuletzt wenig Positives an die Hand. Dies ist auch der Fall mit der im Herbst 2012 in Frankreich veröffentlichten „Séralini-Studie“, die international für Aufsehen sorgte. Der französische Molekularbiologe Gilles-Éric Séralini hatte nachgewiesen, dass bei Ratten, die mit herbizidresistentem Monsanto-Genmais Mon 603 gefüttert wurden – diesen Mais will Monsanto in Mexikos Norden anbauen – eine verstärkte Tumorentwicklung zu beobachten ist. Die Studie folgte dabei bewusst den Modellanordnungen von Monsanto, mit denen der Konzern die Unbedenklichkeit der Maissorte beweisen wollte. Mit einem Unterschied: Sie hatte einen Versuchszeitraum von zwei Jahren, Monsanto hingegen nur einen von drei Monaten. Die meisten Krankheiten wie Tumore oder schwere Nieren- und Leberschäden traten bei den Ratten erst im späteren Versuchsverlauf auf. „Wir Mexikaner wollen keine Laborratten sein“, sagt Alberto Gómez von der Bauernorganisation Unorca. Die Unorca organisierte im Januar einen einwöchigen Hungerstreik an der Avenida Reforma, der größten Ost-West-Verkehrsader im Zentrum von Mexiko-Stadt.
Die jüngsten Berichte über Resistenzen gegen die angeblichen Wirkungen der Genpflanzen helfen der Bioindustrie ebensowenig (siehe das Interview mit Vandana Shiva auf Seite 31). Auch das oft angeführte Argument der Ernährungssicherheit und der geringeren Abhängigkeit von Importen bei einem großflächigen Genmaisanbau zieht laut Ana de Ita von Ceccam in Mexiko überhaupt nicht: „Die Importe haben mit der Liberalisierungspolitik auf den Agrarmärkten zu tun, die von den neoliberalen Regierungen betrieben wird.“ Im vergangenen Jahr fanden die Landwirte aus dem Bundesstaat Sinaloa keine Käufer für ihren Mais – in einigen Fällen ist er immer noch gelagert –, weil die damals noch amtierende Regierung von Felipe Calderón beschloss, für den menschlichen Verzehr bestimmten Mais, möglicherweise Genmais, zollfrei aus Südafrika zu importieren. Damit befriedigte sie den internen Markt.
Die mexikanischen Genmaisgegner haben bisher einen Etappensieg erreicht. Doch sie setzen lieber weiter auf Mobilisierung als auf den guten Willen des Staates.
Gerold Schmidt lebt als freier Journalist in Mexiko Stadtÿ