Dem Vergessen entreißen –

Buch von Klaus Gietinger zum Kapp-Putsch

Am 13. März 1920 fungierte Wolfgang Kapp, Aufsichtsrat der Deutschen Bank, als Frontmann eines Militärputsches gegen die Weimarer Republik bzw. gegen die „Weimarer Koalition“ aus SPD, Liberalen und Katholiken. Durch die Novemberrevolution 1918 an die Macht gekommen, stellte die SPD den Regierungschef sowie den Reichswehrminister Gustav Noske und den Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Zusammen mit Freikorps hatte die SPD-Führung Generalstreike, Räte und Räterepubliken meist blutig zerschlagen und war im Februar 1919 die „Weimarer Koalition“ eingegangen. Trotz des verlorenen Weltkrieges hatten die Militärs, auch hier tatkräftig von der Regierung unterstützt, einen gigantischen militärischen Apparat aus Reichswehr, Freikorps und Sicherheitspolizei aufgebaut. Der Versailler Vertrag machte dem ganzen Spuk ein Ende, die Alliierten Sieger verlangten die Reduzierung der Reichswehr auf 100 000 Mann und die Auflösung der Freikorps etc. Die Regierun g musste sich fügen. General Lüttwitz wollte dies nicht. Er putschte mit Marinebrigaden, die schon das Hakenkreuz am Stahlhelm trugen, und vertrieb die Koalition aus Berlin, da General Seeckt sich weigerte, die Reichswehr auf die Obristen schießen zu lassen. Die SPD-Führung rief den Generalstreik aus und floh nach Stuttgart.

Es kam zum größten Generalstreik, den es je in Deutschland geben hat. Die Vorgeschichte, den Ablauf des Putsches und vor allem auch die Abwehrreaktionen des Proletariats schildert Klaus Gietinger anschaulich und reich bebildert. In den Industriegebieten Mitteldeutschlands, in Sachsen, im Ruhrgebiet, kam es zu bewaffneten Kämpfen von Arbeitern mit den Putschisten und der sympathisierenden Reichswehr, in Mecklenburg/Pommern sogar zu Aufständen der Landarbeiter. Nach vier Tagen brach der Putsch zusammen.

Die Regierung, die vor der Reichswehr den Aufruf zum Generalstreik leugnete, konnte zurück nach Berlin. Sie schickte nun aber die Putschisten gegen die bewaffneten Arbeiter, was vor allem im Ruhrgebiet zu unvorstellbaren Massakern führte. Dort hatte die spontan von unten aus allen drei Arbeiterparteien (SPD, USPD, KPD) gebildete Rote Ruhrarmee, gemeinsam mit den Syndikalisten, zwei Wochen lang das Terrain beherrscht und versucht, mit den wiederbelebten Räten sozialistische Politik zu betreiben. Vor allem aber forderte man die Zerschlagung der Reichswehr, eine demokratische Milizarmee.

Carl Severing (SPD) wurde losgeschickt, um mit Versprechungen und faulen Kompromissen (Bielefelder „Abkommen“) die Arbeiter zur Waffenabgabe und Unterwerfung zu überreden bzw. zu zwingen. Schließlich fielen die Putschisten im Ruhrgebiet ein und zerschlugen jeden Widerstand mit offenem Terror. Das Ergebnis war eine starke Traumatisierung der Arbeiterbewegung und eine Verschärfung der Spaltung.

1933 gab es einen solchen Generalstreik nicht mehr. Eine sehr große Zahl ehemaliger Freikorps-Offiziere wurden wichtige Nazis und SS-Offiziere. Gietinger konzentriert sich in dem Buch intensiv mit der Vorgeschichte des Kapp-Putsches und widmet Hauptmann Pabst, dem Luxemburg-Mörder, viel Aufmerksamkeit. Möglicherweise zu viel. Er beschreibt umfassend die Militärpolitik. In einem großen Teil des Buchs – auf mehr als 100 Seiten – geht Gietinger auf den Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution in einzelnen Regionen und Städte ein. Das mehr als 300 Seiten starke Buch ist gut lesbar und spannend. Es entreißt ein verschüttetes Kapitel der Arbeiterbewegung dem Vergessen.

Klaus Gietinger, Kapp-Putsch. 1920. Abwehrkämpfe. Rote Ruhrarmee, 328 Seiten, Stuttgart 2020, Schmetterling Verlag

Von demselben Autor erschien im selben Verlag: Klaus Gietinger, Blaue Jungs mit roten Fahnen. Die Volksmarinedivision 1918/19, 304 Seiten, Stuttgart 2019

Klaus Gietinger · Winfried Wolf, Der Seelentröster. Wie Christopher Clark die Deutschen von der Schuld am Ersten Weltkrieg erlöst, 345 Seiten, Stuttgart 2017 und 2018