Corona-BGE

Das Bedingungslose Grundeinkommen als Krönung des Neoliberalismus?

Viele Vertreterinnen und Vertreter eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) sehen in der Corona-Pandemie eine willkommene Gelegenheit, um endlich einen Probelauf zu starten. So wird beispielsweise in einer offiziell beim Deutschen Bundestag eingereichten Petition (die bereits nach wenigen Tagen von mehr als 100.000 Menschen unterzeichnet wurde) gefordert, „dass aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona Pandemie und der damit verbundenen Einkommensausfälle für viele Bürgerinnen und Bürger, kurzfristig und zeitlich begrenzt, aber solange wie notwendig, ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt wird.“

In der Petition offenbart sich das grundlegende Problem aller Konzepte eines bedingungslosen Grundeinkommens: Die Einkommensausfälle von vielen sollen durch ein Grundeinkommen für alle kompensiert werden. Bei den angedachten 1.000 Euro pro Monat würde eine Summe in Höhe des Bundeshaushalts von 2019 (362 Milliarden Euro) nur für 4,3 Monate reichen.

Dabei sind, wie vielfach belegt, die Folgen des coronabedingten Lockdowns für die Einzelnen höchst unterschiedlich:

Manche erleiden einen totalen Einkommensausfall, der aller Voraussicht nach lange andauern wird und nach dem (erhofften) Ende der Pandemie kaum nachgeholt werden kann. Dazu gehören viele mit freien Berufen, u.a. in den Bereichen Konzert und Theater, alle im Hotel- und Gastronomiebereich, in Clubs, Tourismus und Großevents Tätigen sowie die vom Lockdown betroffenen Beschäftigten im Einzelhandel. Wie gravierend die Einkommensausfälle sind, ist allerdings höchst unterschiedlich und hängt sowohl von der Dauer des faktischen Arbeitsverbots ab als auch von der Möglichkeit, die Einkommens-ausfälle in späteren Phasen durch erhöhten Umsatz zu kompensieren – was z.B. bei verderblichen Waren unmöglich, bei haltbaren Waren und nicht zeitgebundenen Leistungen immerhin denkbar, allerdings von der zukünftigen (Einkommens-)Entwicklung abhängig ist. Einen zwar nicht totalen, aber spürbaren Einkommensausfall haben auch die in Kurzarbeit Geschickten und die Beschäftigten, die ihren Job verloren haben.

Die staatliche Unterstützung dieser Gruppen ist sicherlich in vielen Fällen unzureichend bzw. verbesserungsbedürftig. Doch auch wenn die Segnungen des BGE meistens am Beispiel einer Vertreterin dieser Gruppe geschildert werden, überzeugt das nicht, ist doch eine gezielte Unterstützung der von den Corona-Einschränkungen am meisten Betroffenen zweifellos wirksamer als ein über alle ausgegossenes Grundeinkommen.

Denn längst nicht alle Bundesbürgerinnen und -bürger, für die das Grundeinkommen (mit-) gefordert wird, erleiden durch die Anti-Corona-Maßnahmen Einkommenseinbußen. Keine Einbußen haben z.B. die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die Arbeitskräfte in den wenig oder nicht vom Lockdown und den globalisierungsbedingten Folgen der Pandemie betroffenen Branchen, wie z.B. dem Handwerk und dem Baugewerbe, die nach den Informationen des Statistischen Bundesamts „stabilisierend“ auf die Wirtschaftsleistungen wirken (destastis Presssekonferenz 15.5.2020). Auch auf die Renten hat Corona zumindest zunächst keine Auswirkungen – die Diskussionen um die seit langem avisierte Grundrente (starke Kräfte in der CDU wollen sie mit Hinweis auf die coronabedingten Staatsausgaben verhindern) lassen jedoch ahnen, welche negativen Auswirkungen ein zeitlich befristetes Corona-BGE auf die Durchsetzungschancen einer dauerhaften Erhöhung der zu niedrigen Renten insbesondere älterer Frauen hätte.

Und dann gibt es die nicht unbeträchtliche Zahl der Menschen, die in den sogenannten „systemrelevanten“ Bereichen arbeiten. Allen voran die Krankenschwestern und -pfleger in den Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten, die häuslich Pflegenden, aber auch die Kassiererinnen in den Supermärkten, die Beschäftigten bei der Post, der Müllabfuhr, im öffentlichen Verkehr und im Güterverkehr, Erntehilfskräfte (die im Übrigen von dem beantragten BGE nichts hätten) – kurz: all diejenigen, die „den Laden am Laufen halten“, und zwar für eine in vielen Fällen beschämend geringe Entlohnung bei extremem Arbeitsstress und erhöhtem Ansteckungsrisiko. Eine zeitlich befristete staatliche Zuwendung, die nicht ihre besonderen Leistungen belohnt, sondern allen Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen zugutekommt, ohne Ansehen ihres jeweiligen Beitrages für die Gesellschaft, könnte von ersteren sehr leicht als Verhöhnung empfunden werden.

Was eigentlich schon lange bekannt ist, aber jetzt deutlicher zutage tritt: Die systemrelevanten Tätigkeiten sind ganz überwiegend die schlecht bezahlten. Sie werden zu 75 Prozent von Frauen geleistet. Das jetzt in den Blick zu nehmen und anzugehen (und zwar in ganz anderen Dimensionen als die jetzt angekündigten einmaligen steuerfreien! 1000 Euro an (Vollzeit-)Altenpflegerinnen) wäre u.E. eine der wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise.

Nun behaupten diejenigen, die ein BGE propagieren, dieses helfe doch allen, die schlecht bezahlt werden, da sie mit dem Grundeinkommen ohne Gefährdung ihrer Existenz den Job aufgeben oder versuchen könnten, einen besseren Lohn durchzusetzen. Doch warum dieser Umweg? Warum nicht alle politischen Anstrengungen auf ein besseres Gesundheitssystem mit mehr und besser bezahlten Pflege- und Reinigungskräften konzentrieren anstatt das dem Markt zu überlassen?

Denn darauf läuft ein BGE doch hinaus. Es ist ein zutiefst neoliberales, kapitalismusstützendes Konzept. Es ist kein Zufall, dass eine Reihe namhafter Fürsprecher eines BGE, wie Götz Werner und Carsten Maschmeyer, sehr erfolgreiche Kapitalisten und stramme Neoliberale sind. Ein aktuelles Beispiel hierfür liefert der Artikel des Leiters des Wirtschaftsressorts der ZEIT vom 26. März 2020, in dem er für ein zeitlich befristetes Corona-BGE plädiert und dabei deutlich macht, warum die staatlichen Zahlungen (ihm schwebt eine halbe Billion Euro vor, das sind 150 Prozent des Bundeshaushalts eines Jahres) nicht nur den Ärmeren bzw. den Corona-Geschädigten zukommen sollen, sondern ausdrücklich auch den Reichen, damit sie nach Ende der Pandemie in den Fernurlaub fliegen und damit die Wirtschaft ankurbeln (vom Kauf eines neuen Autos spricht er zwar nicht, doch auch das wäre ganz im Sinne seines Konzepts). Abgesehen davon, dass für Reiche ein BGE von 7200 Euro in sechs Monaten letztlich mehr oder weniger Peanuts sind, macht der Autor in aller Deutlichkeit klar: Ein BGE ist vor allem anderen ein Konjunkturprogramm zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Wirtschaft ohne jede staatliche Steuerung. Klimaschutz ade!

Und wo bleiben Solidarität und Gerechtigkeit? Was es bedeutet, wenn für alle das Gleiche gilt, unabhängig von ihren Lebensumständen (was ja das BGE ausdrücklich anstrebt), erfahren derzeit viele Menschen ganz konkret: Das „zu Hause bleiben“ zu dem alle gleichermaßen aufgefordert sind, reicht vom Rückzug der Verlegerin einer Philosophie-Zeitschrift auf ihren Landsitz, in dem sie in aller Ruhe (endlich!) Zeit für lange aufgeschobene Projekte findet, bis zum (vergeblichen) Versuch, Homeoffice und Homeschooling in einer beengten Wohnung ohne Balkon oder Garten einigermaßen zu bewältigen. Dass das viel zu oft nicht funktioniert, belegen die Berichte über die zunehmende „häusliche Gewalt“ – ein Euphemismus für die ganz überwiegend von Männern gegen Frauen ausgeübte Gewalt –, sowie die steigende Zahl von „Straßenkindern“, die der Gewalt in ihrem „Zuhause“ entfliehen und wegen des Lockdown kaum Unterstützung in den sozialen Einrichtungen finden. Ein BGE schafft keinen Zugang zu einer sicheren Bleibe.

Solidarischer wäre statt eines Corona-BGE zumBeispiel eine Rekommunalisierung der in den letzten Jahren privatisierten Krankenhäuser mit einem verbesserten Betreuungsschlüssel, einer tariflichen Bindung der Gehälter und einem vollständigen Verzicht auf das Outsourcing von Tätigkeiten wie Reinigung und Verpflegung.

Für die Schulen, deren jahrzehntelange Vernachlässigung der Politik jetzt heftig auf die Füße fällt, wäre ein Corona-BGE vermutlich eher schädlich. Denn statt der notwendigen Instandsetzung der Klos und der Verbesserung des Lehrkräfteschlüssels würde ein BGE höchstens die Beschaffung energiefressender elektronischer Geräte zur Sicherstellung von Homeschooling ankurbeln. Das stärkt vor allem Anbieter von Video-Konferenzsystemen, die sich in die Phalanx der Pandemie-Gewinner Amazon, Palantier und andere Giganten der Digitalisierung einreihen können.

Ruth Becker ist Volkswirtin und war bis zu ihrer Pensionierung Professorin für Frauenforschung und Wohnungswesen an der TU Dortmund.

Eveline Linke ist freie Autorin. Neben einigen Artikeln zum Bedingungslosen Grundeinkommen (u.a. Lunapark 21) erschien zuletzt ihre gemeinsame Publikation Mehr als schöner Wohnen. Frauenwohnprojekte zwischen Euphorie und Ernüchterung, Ulrike Helmer Verlag, 2015, 258 Seiten, 19,95 Euro.

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