Ideologie mit anderen Mitteln


Verständnis und Missverständnis des Kriegs in der Ukraine


Der russische Angriff auf die Ukraine wird von verschiedenen Seiten als imperialistisch bezeichnet. Auf der 1.-Mai-Kundgebung des DGB in Düsseldorf erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz, um Imperialismus handele es sich, wenn „mit Gewalt Grenzen verschoben und Territorien erobert werden“ – eine Definition, die banal ist und wenig zur Analyse der politischen Konstellation beiträgt.
Vor solcher Banalisierung über historische und gesellschaftliche Spezifik hinweg hatte Lenin schon 1917 in seiner Schrift über den „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ gewarnt. Für ihn war der Imperialismus die Konsequenz des Konkurrenzkampfes der nationalen Kapitalfraktionen um die letzten vom Kapitalismus unberührten Territorien. Zwischen 1876 und 1900 hätten sich die sechs größten Mächte England, Russland, Frankreich, Deutschland, USA und Japan die Welt quasi aufgeteilt. In dieser Phase sei die Kooperation von Staat und Kapital zum Aufbau der jeweiligen nationalen Industrie und zur Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise über den Erdball eminent wichtig gewesen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts aber behinderten Landesgrenzen, Lohnstandards und Ertragssteuern der westlichen Staaten in zunehmenden Maße die Kapitalakkumulation. Für den britischen Historiker Eric Hobsbawn (1917-2012) war das „Zeitalter des Imperiali smus”, mit dem Ersten Weltkrieg abgeschlossen, ein richtiger Weltmarkt etablierte sich jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

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