Aufstiege und Niedergänge einer Institution
Die Deutsche Bank wurde vor 150 Jahren in Berlin gegründet. Obgleich das deutsche Kaiserreich Anfang 1870 noch nicht existierte, war sie von vornherein national und „cosmopolitisch“ zugleich, sollte sie doch den Missstand beheben, dass der deutsche Überseehandel seine Geschäfte weiterhin über London abwickeln musste. Aber gerade auf diesem Feld ergaben sich in der Anfangsphase durchaus Schwierigkeiten: Berlin erwies sich als ein für das „Cosmopolitische“ wenig geeigneter Standort, und so mussten rasch Filialen in Bremen und Hamburg gegründet werden; die Gründung der „German Bank of London“ erwies sich als Flop, und die Anteile mussten mit Verlust verkauft werden, in Shanghai und Yokohama errichtete Filialen wurden bald geschlossen und in Paris und New York erworbene Bankanteile wieder verkauft. Wirklich erfolgreich hingegen agierte das neue Bankinstitut im Inland, wo es als erstes privates Bankhaus in den Depositenhandel einstieg und auf diese W eise schnell zur größten Privatbank in Deutschland aufstieg.
Diese Entwicklung ähnelte der der deutschen Industrie während der Großen Depression (1873—94). Da die Produkte letzterer im Ausland kaum Absatz fanden und noch Ende der 1870er Jahre als „billig und schlecht“ beurteilt wurden, mussten andere Wege aus der Krise gefunden werden. Sie wurden gefunden, indem man nicht, wie England, „neue Märkte für alte Produkte“ suchte, sondern „neue Produkte für alte Märkte“ und auf diese Weise im Inland ganz neue Industriezweige aufbaute (insbesondere Chemie-, Elektro- und Stahlindustrie), mit denen sich dann auch im Ausland reüssieren ließ. Da aber das Kapital der neuen Industrien zumeist in Form von Aktiengesellschaften organisiert war und das der alten sich mehr und mehr in dieser Form zu organisieren begann, stellte sich auch die Frage der Finanzierung dieser großindustriellen Betriebe in neuer Weise. Die Antwort der Banken erfolgte prompt, sie beteiligten sich an der Finanzierung in steigendem Maße und erlangten so eine beherrschende Stellung in der Industrie – das Finanzkapital war entstanden. Bei der Bank selbst kam der Aufbau eines großen Filialnetzes hinzu, das sie zur größten und einflussreichsten deutschen Bank avancieren ließ.
Von einer solchen Basis im Inland aus konnte die Bank auch ganz anders ins Ausland expandieren, insbesondere beim Überseehandel nach Lateinamerika, zugleich verbunden mit neuen Industriebeteiligungen, sowie in das Osmanische Reich, wo sie führend am Bau der Bagdad-Bahn beteiligt war. Damit stellte sie nicht nur alle ihre inländischen Konkurrenten in den Schatten, sie war 1914 sogar zur weltgrößten Universalbank geworden, summa summarum: die Deutsche Bank war damals die deutsche Bank.
Der Erste Weltkrieg beendete diese goldenen Zeiten, zumindest im internationalen Maßstab. Gleich zu Kriegsbeginn wurde ihre wichtigste Auslandsniederlassung, die in London, geschlossen und nach Kriegsende abgewickelt, Auslandsinvestitionen mussten verlustreich aufgegeben und internationale Geschäftsbeziehungen nach dem Ende der Inflation neu aufgebaut werden. Statt an der Spitze stand die Deutsche Bank nun am Ende des ersten Dutzends der weltweit führenden Banken.
Dagegen änderten Weltkrieg und Inflation nur wenig an ihrer dominierenden Position innerhalb des deutschen Bankwesens, ja diese wurde durch die 1929 erfolgte Einverleibung der „ewigen“ Konkurrentin Disconto-Gesellschaft bedeutend gestärkt. Die Deutsche Bank war auch die einzige, die die Bankenkrise von 1931 ohne jede Staatshilfe überstand und ihre Position gegenüber ihren Konkurrenten weiter ausbauen konnte. Dies war ein wesentlicher Grund dafür, dass sie – im Unterschied etwa zu Dresdner Bank und Commerzbank – nicht auf die Errichtung einer faschistischen Diktatur drängte, was sie aber nach deren Installierung nicht daran hinderte, sich rasch aller (nach Nazi-Definition) jüdischen Führungskräfte zu entledigen, in den darauf folgenden Jahren sich aktiv am „Arisierung“ genannten Raub jüdischen Eigentums in Deutschland und den okkupierten Ländern Europas zu beteiligen und die Errichtung des KZ Auschwitz mitzufinanzieren.
Nach dem verlorenen Krieg drohte faktisch allen deutschen Großkonzernen die Zerschlagung, und so auch der Deutschen Bank. Obgleich der bald begonnene „Kalte Krieg“ derartige Bestrebungen in den Westzonen rasch ins Leere laufen ließ, wurden einige Großkonzerne wie die IG Farben, die Deutsche Bank und andere in mehrere kleinere Einheiten zerlegt. Jedoch erforderte der „Kalte Krieg“ einen forcierten Neuaufbau der westdeutschen Wirtschaft, der unter Führung des alten Personals stattfand. So wurde Hermann Josef Abs, bis 1945 das für „Arisierungen“ zuständige Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, als „entlastet“ eingestuft und 1948 Vorstandsvorsitzender der damals wichtigsten westdeutschen Bank, der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Mit der beginnenden Rezentralisierung der Deutschen Bank wurde er 1952 Vorstandsvorsitzender der Süddeutschen Bank AG und 1957 des wiedervereinigten Bankhauses (Chef des Aufsichtsrats wurde übrigens Oswald Rösler, der bis 1945 Vorstandssprecher im selben Haus gewesen war). Als Finanzberater der Bundesregierung handelte Abs das Londoner Schuldenabkommen aus, das die Bundesrepublik bis zum Abschluss eines Friedensvertrages von allen Reparations- und Entschädigungszahlungen freistellte.
Unter seiner Führung expandierte die Bank zunächst in althergebrachter Weise, durch Filialgründungen und Kapitalverflechtungen mit der Industrie im Inland, in den 1970er Jahren durch Filialgründungen im Ausland und in den 1980er Jahren durch den Erwerb ausländischer Bankhäuser. Hinzu kam ab 1990 die Übernahme des Filialnetzes der Staatsbank der DDR und die Gründung bzw. Übernahme von Banken in ehemals sozialistischen Ländern. Krönender Abschluss dieser Erfolgsgeschichte war die 1999 erfolgte Übernahme von „Bankers Trust“, der achtgrößten Bank in den USA (zum Preis von 16,5 Mrd. Dollar) und deren vollständige Integration in das Imperium der Deutschen Bank.
Im Rahmen dieser Entwicklung wurde auch beschlossen, sich von vielen als weniger lukrativ angesehenen Industriebeteiligungen zu trennen, das Geschäft mit über wenig Vermögen verfügenden Privatkunden auszulagern und die Zahl der Filialen drastisch zu reduzieren. Dies resultierte aus der allgemeinen Durchsetzung des Shareholder-Value-Konzepts, wonach der Wert eines Unternehmens sich aus dem Produkt von Anzahl der ausgegebenen Aktien und ihrem aktuellen Kurswert ergibt. Infolge dieses allein an den Shareholders (Aktionären) und deren Bewertungen orientierten Ansatzes verloren die Banken gegenüber den Börsen an Bedeutung. Ein weiterer bedeutsamer Konkurrent erwuchs den Banken in Gestalt der berüchtigten Hedgefonds, die mit ihrem ganz anders gearteten Risikomanagement die Profitabilität der Banken ins Hintertreffen geraten ließ. Die Banken traten dem mit einer erhöhten Risikobereitschaft entgegen und gaben in verstärktem Maße Darlehen an sowieso scho n verschuldete Kreditnehmer aus (sog. sub-prime credits), die sich über kurz oder lang als „faul“ herausstellten. Die Weltfinanzkrise von 2007/8 traf daher die Banken besonders heftig. Eine ganze Anzahl von Banken wurde zahlungsunfähig und ging pleite, andere konnten nur mit Hilfe des Staates gerettet werden, in Deutschland etwa die seither – so lautet der banktechnische Ausdruck – „notleidende“ Commerzbank. Ganz so schlecht erging es der Deutschen Bank zwar nicht, sie verblieb als einzige deutsche Firma auf der Liste der weltweit „systemrelevanten“ Banken, deren Zusammenbruch mit allen Mitteln zu verhindern sei, aber seitdem geht es ihr, von kurzzeitigen Erholungen abgesehen, immer schlechter, so dass sie im September 2018 aus der Liste der fünfzig wertvollsten börsennotierten Unternehmen Europas (Euro Stoxx 50) herausflog. Wenn das „Handelsblatt“ vor wenigen Tagen (am 13. Februar) ihre „Wiedergeburt“ an der Börse vermeldete, so übersah es wohl, dass der Kurs zwar seit Jahresbeginn um vierzig Prozent gestiegen und damit ganz knapp im zweistelligen Bereich gelandet war, damit aber immer noch um rund neunzig Prozent unter dem von 2007 liegt.
In gewisser Weise hat die Deutsche Bank ihren Symbolcharakter für Deutschlands Wirtschaft behalten, denn der einzig ihr verbliebene Stahlkonzern (ThyssenKrupp) schwächelt seit Jahren, die Computerindustrie existiert nicht mehr, die Eisenbahninfrastruktur befindet sich in einem desolaten Zustand usw. usf. Gewiss, sie ist immer noch die stärkste und einflussreichste Wirtschaft in Europa, und das wird wohl auch so bleiben. Aber was bedeutet das schon in einer Weltwirtschaft, in der Europa zwar noch nicht unter „ferner liefen“ rangiert, aber doch auf dem Wege dorthin ist.
Thomas Kuczynski lebt und arbeitet in Berlin