Therese Wüthrich (LP21-Redaktion)
Lockdown, Tag eins: Es war Dienstagmorgen. Es war erstaunlich ruhig wie an einem Sonntagmorgen. Ich fuhr mit dem Bus ins Zentrum der Stadt Bern. Bereits auf dem Weg dorthin wurde mir mit aller Deutlichkeit bewusst: Über Nacht hat sich das gewohnte Leben verändert. Nur noch vereinzelt wartende Menschen an den Bushaltestellen, auf einer sonst sehr befahrenen Strasse waren kaum Autos zu sehen. Mit dem Wochenmarkt am Dienstagmorgen pulsiert das Leben im Stadtzentrum intensiver als während der anderen Wochenarbeitstage. Aber an diesem Dienstagmorgen war das Stadtzentrum wie leergefegt. Kein Wochenmarkt, kaum Menschen in den Gassen und auf der Strasse, die Geschäfte geschlossen. Das Zentrum in Bern ist zu einer Geisterstadt geworden. Es mutete an wie in einem Westernfilm, ein paar Minuten vor dem Ansturm.
Ich begab mich in die Apotheke: Als erstes springt ein unübersehbares Plakat ins Auge: „Bitte bleiben Sie zu Hause, wenn sie 65-jährig und mehr sind, auch wenn Sie sich gesund fühlen.“ Ja, ich gehöre zu dieser Gruppe, fühle mich nach wie vor gesund und bei Kräften. Trotzdem verlasse ich die Apotheke mit einem mulmigen Gefühl.
Es waren vor allem die Medien, die mir die Corona-Katastrophe in mein entschleunigtes Leben (auch eine Folge von Corona) und in meine Stube brachten: Unter anderem Bilder von Spitälern in Italien und Spanien, in denen zu Beginn der Katastrophe Chaos herrschte und es an medizinischem Material und Hilfsmitteln mangelte. – Folgen von Sparmassnahmen der vergangenen Jahrzehnte, in denen die Gesundheitssysteme an die Wand gefahren wurden. Oder Menschen, die stundenlang für Essenspakete anstehen mussten – und das nicht nur in südlichen Regionen, sondern auch in Genf, wo viele Menschen als sogenannte „ohne Papiere“ („sans-papiers“) und demzufolge ohne Krankenversicherung leben müssen.
Zunehmend wird offensichtlich, dass beinahe flächendeckend Ungleichheiten zwischen Regionen und Gemeinden, wie zwischen Armen und Reichen, sich vergrößern. Viele Menschen haben Angst, ihre Erwerbsarbeit zu verlieren und sorgen sich um ihre Existenz. In Spanien machen sich verschiedene Leute bereits Gedanken, wie der soziale Friede in den nächsten Jahren der Krisenbewältigung bewahrt werden kann.
Es ist aber auch ein Umdenken festzustellen. Verschiedene Umfragen zeigen, dass viele Menschen nicht mehr gewillt sind, Produkte von Firmen zu kaufen, die ihre Profite über das Allgemeinwohl stellen. Auch erhöht sich in der Schweiz die Zustimmung für die Konzernverantwortungsinitiative, wie eine Umfrage in der ersten Hälfte des Mai 2020 ergab. Bei dieser Initiative geht es darum, dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz verpflichtet werden, Menschenrechte und die Umwelt auch bei ihren Engagements im Ausland, insbesondere im Süden, zu respektieren.
Dank den neuen Medien ist das Leben nicht einfach stillgestanden. Mit Videokonferenzen konnten Diskussionen und Sitzungen durchgeführt und politische Interventionen geplant werden, unter anderem das breite Frauenbündnis mit seinem Appell „Die Frauen* reden mit ihren Forderungen bei der Bewältigung der Krise mit“.