Reichtum und Fluch der Energievorkommen. Griechenland und die Ressourcenkontrolle im östlichen Mittelmeer

Aus: LunaPark21 – Heft 31

Griechenland könnte offenbar – ebenso wie viele andere Staaten im östlichen Mittelmeer – große Mengen Öl und Gas fördern. Die Rede ist von einem „neuen Persischen Golf“. Doch das Thema ist nicht wirklich neu. Schon seit vielen Jahrzehnten kommt es immer wieder zu Ankündigungen zur Vergabe von Förder-Konzessionen, nicht aber zur Energiegewinnung im großen Stil. Offenbar soll das so sein.

Der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei hat historisch weit zurückreichende Wurzeln. Kaum jemand versteht aber, warum sich die beiden NATO-Staaten auch heute noch immer mit Feindseligkeiten begegnen.

Der griechisch-amerikanische Ökonomie-Professor Theodore Kariotis von der Universität Maryland hat eine einfache Erklärung: „Der Hauptgrund für den Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei sind die Ölvorkommen im Ägäischen Meer.“ Griechenland betone seit mehr als 30 Jahren, dass die einzige Auseinandersetzung mit der Türkei rein rechtlicher Natur sei und es hierbei um die Abgrenzung des Festlandsockels in der Ägäis gehe. Die Türkei sei strikt gegen eine Aufteilung des Meeres aufgrund des Konzepts der „ausschließlichen Wirtschaftszonen“, welches Griechenland große Teile des rohstoffreichen Meeresgebietes zuteilen würde. Die potenziell ausweisbare ausschließliche Wirtschaftszone des Landes ist mit 496000 Quadratkilometern gigantisch groß, etwa dreimal so groß wie die Landfläche Griechenlands.

Kariotis steht mit seiner Auffassung nicht alleine. Auch nach Darstellung des Circle for Hellas & Israel (CHI) hindern militärische Drohungen der Türkei Griechenland seit rund 50 Jahren daran, die eigenen Energieressourcen in der Agäis fördern zu können. Als Griechenland 1995 dem Seerechtsabkommen UNCLOS der Vereinten Nationen beitrat, erklärte die türkische Regierung, sie würde weitere griechische Ölbohrungen im Ägäischen Meer als Kriegshandlung betrachten. Jeder Vorstoß Athens, seine Rechte durchzusetzen, wäre für die Türkei ein Grund für Krieg. Die Türkei vertritt den Standpunkt, dass die Gebiete zur Türkei gehören und droht seit rund 20 Jahren, der Versuch, „neue Grenzen zu schaffen“, könne zu Krieg führen.

Auch der frühere griechische Industrieminister Evangelos Kouloumbis sagte wiederholt, das einzige Hemmnis für die Erschließung der Offshore-Ölvorkommen in der Ägäis sei der Widerstand der Türkei.

Dabei wäre einiges an Öl zu fördern: 2009 nahm das privatwirtschaftliche Unternehmen „Energean Oil & Gas“ die Produktion für die Ölfelder „Prinos-Nord“ und „Epsilon“ in der nördlichen Ägäis auf. Die Ölproduktion in Griechenland stieg damit von 1000 auf 5000 Barrel pro Tag.

Ähnliche Erfahrungen macht die Republik Zypern. Nachdem der Inselstaat im September 2011 angekündigt hat, südlich von Zypern nach Öl und Gas bohren zu lassen, drohte der türkische EU-Minister Egemen Ba˘gi¸s mit einer militärischer Aktion. „Für diesen Zweck haben wir die Kriegsmarine“, so Ba˘gi¸s. 2013 kündigte der türkische Energieminister an, die Regierung würde (zur Strafe) einige in der Türkei geplanten Projekte mit dem Ölkonzern ENI aussetzen, um die Expansion von Energieinvestments in umstrittenen zypriotischen Gewässern zu verhindern.

Im Herbst 2014 schickte die Türkei ein Forschungsschiff in Begleitung von zwei Fregatten in die umstrittenen Gewässer südlich von Zypern zum Erkunden von Gasvorkommen. Im November 2014 soll es zwischen Griechenland und der Türkei erneut militärische Scharmützel in der Nähe von Zypern gegeben haben. Griechische und israelische Schiffe patrouillieren in der Region.

Kaum Förderung trotz Lizenzvergabe

Dass Hellas über Erdöl verfügt, wussten schon die alten Griechen. So berichtete Herodot über „Teer, der wie Asphalt riecht und besser ist als der persische“. Spätestens seit 1929 spekulierte auch die griechische Wissenschaft der Neuzeit über Ölvorkommen im gesamten östlichen Mittelmeerraum. Während des Zweiten Weltkrieges förderte die deutsche Besatzungsmacht Öl in Griechenland, um ihre Panzer zu betanken; Pläne für großangelegte Bohrungen bei Thassos in Griechenlands nördlicher Ägäis wurden entwickelt.

1968 übertrug die griechische Militärjunta transnationalen Ölmultis wie British Petroleum (BP), Esso (Exxon), Texaco, Chevron und Conoco die Förderrechte auf insgesamt etwa 60.000 Quadratkilometern für 26 bis 36 Jahre, also bis 2004. Nach einer kurzen Zeit mit Ölförderung Anfang der 1980er Jahre wurde diese wieder eingestellt, obwohl der griechische Staat nur 25 Prozent der Erträge verlangte (gegenüber einer in anderen Ländern üblichen Marge von 50% bis 70%) und obwohl die Fundstellen bei Thassos in nur 50 Metern Wassertiefe oder sogar an Land ausgesprochen attraktiv waren. Ende der 1960er Jahre hatte auch die Türkei offiziell bekannt gegeben, sie habe der türkischen Mineralölgesellschaft das Recht zur Ausbeutung möglicher Ölvorkommen an 27 Stellen der Ägäis übertragen – vor den Küsten von sieben griechischen Ägäis-Inseln.

Als wenn man nicht wollen dürfte …

Es ist bemerkenswert, dass beide Staaten keine einvernehmliche Lösung zu beiderseitigem Nutzen aushandeln. Eine offenkundige Win-Win-Situation wurde von beiden Ländern – scheinbar fahrlässig – verspielt.

Statt sich hinsichtlich der Ägäis mit ihren günstigen Bedingungen zu einigen, verlagerte Griechenland seine betont zögerlichen Aktivitäten auf andere Regionen. So führte die staatliche Public Petroleum Corporation of Greece, die in Griechenland exklusiv verantwortlich für alle Förderaktivitäten ist, vor dem Jahr 2000 gerade mal zwei seismische Offshore-Untersuchungen durch, eine im Ionischen Meer und eine in Nord-Griechenland. Nach einem Bericht im Blatt Focus aus dem Jahr 2012 hat allein Albanien rund 2500 Testbohrungen veranlasst, um Rohstoffvorkommen zu finden, während die Griechen gerade mal 120 Bohrungen durchführten. Griechenland habe sich über Jahrzehnte seiner potenziellen Rohstoffvorkommen „verweigert“.

In den Jahren 2014 und 2015 führte die griechische Regierung mal wieder eine Ausschreibung für Versuchsbohrungen durch. Es ging dabei allerdings um 20 Blöcke in sehr tiefen Gewässern (mit entsprechend hohen Kosten) im Ionischen Meer und südlich von Kreta. Für die Untersuchungsphase stehen acht Jahre zur Verfügung; die Konzerne dürfen dabei diese Frist noch weiter ausdehnen.

Vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit stets „misslungenen“ Versuche stellt sich die Frage, ob nun diese neuerliche Ausschreibung tatsächlich zur Aufnahme einer Öl- und Gasförderung führen soll. Es scheint, als wollte bzw. als dürfte Griechenland nicht. Selbst südlich von Kreta, wo es keinerlei Grenzstreitigkeiten mit der Türkei gibt, kommt es nicht zur Förderung.

Der Verzicht erstaunt, denn die ehemalige griechische Außenministerin Dora Bakojannis sagte, dass Griechenland vergleichbare Erdgasmengen wie Libyen fördern könnte. Demgegenüber behauptete Ministerpräsident Giorgos A. Papandreou 2009: „Wir besitzen kein Erdöl, oder zumindest haben wir noch keines gefunden.“

Der Börsenspezialist Dirk Müller hält es für nicht unwahrscheinlich, dass die neu ausgebrochenen Konflikte im gesamten östlichen Mittelmeerraum wie auch „die Herbeiführung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs Griechenlands und Zyperns“ auf die Entdeckung gigantischer Erdölvorkommen in der Region zurückzuführen sind. Es lassen sich damit zwei Thesen aufstellen: 1. Es könnte darum gehen, eine Rohstoffförderung im großen Stil zu verhindern. 2. Oder es gibt das Ziel, solche nur dann in großem Maßstab durchzuführen, wenn sie unter anderen Bedingungen stattfindet – beispielsweise bei dann eingeschränkter Souveränität des griechischen Staates. Wobei sich These 2 logisch an These 1 anschließen könnte.

Griechenland ist also auch weiterhin massiv abhängig von Energieimporten – zunehmend aus Russland: 75 Prozent des Erdgases werden auf der Basis langfristiger Verträge mit Gazprom aus Russland eingeführt. Seit jüngerer Zeit gibt es auch eine 65-prozentige Abhängigkeit von Erdölimporten aus Russland (Lukoil). Dies liegt am Verlust der traditionellen Öllieferanten Libyen und Iran.

„Unwahrscheinlich“

Das gängige Denken, mit der „Entdeckung“ von Öl oder Gas, beginne üblicherweise die Förderung, ist ein Trugschluss. Das Gegenteil ist scheinbar der Fall. Es wird häufig alles dafür getan, dass es eben nicht zur Nutzung der Bodenschätze kommt, notfalls auch mit militärischen Mitteln.

Im gesamten östlichen Mittelmeerraum wurden in den vergangenen Jahren Hoffnungen geschürt, durch die Förderung von Öl und Gas zu mehr Wohlstand zu kommen. Nicht nur in Griechenland, Zypern und in der Türkei, auch in Israel, Palästina, Syrien und im Libanon gibt es diesen Hype. Nach gutinformierte Kreisen sind derartige Hoffnungen oftmals Illusionen: Unsicherheiten über Investitionen in die erforderliche Infrastruktur wie Pipelines und Flüssiggasanlagen, Verzögerungen bei der Produktion, verstärkte Gasförderungen in anderen Weltregionen und die Unbeständigkeit der internationalen Energiemärkte „machen es unwahrscheinlich, dass der östliche Mittelmeerraum in absehbarer Zukunft Erdgas nach Europa liefern wird“, schreibt der German Marshall Fund of the United States in einer Analyse vom März 2015. Der Washingtoner Think Tank verweist beispielsweise auch auf ein 20-Jahres-Abkommen von Gazprom für den exklusiven Bezug von Flüssiggas (LNG) von den israelischen Gasfeldern Tamar und Dalit und prognostiziert ebenso nüchtern wie vermutlich zutreffend: „Die Produktion von LNG aus den Gasfeldern Tamar und Dalit ist nicht mehr als eine theoretische Möglichkeit und es ist unwahrscheinlich, dass sie realisiert werden wird.“ Entgegen der gängigen Vorstellung, die Öl- und Gasmultis würden sich mit großer Begeisterung auf jede „neu enddeckte“ Quelle stürzen, betont der German Marshall Fund, dass die „Spannungen“ und Kriege in der Region sowie „Zweifel der Investoren“ zu den Hemmnissen zählen.

Die „Zweifel der Investoren“ sind durchaus verständlich. So scheint gar nicht das Ziel der Multis zu sein, überall Öl und Gas in großen Mengen zu fördern. Denn ein Überangebot würde zu einem massiven Preisverfall führen und das Geschäft ruinieren. Ein Argument, dem angesichts der seit geraumer Zeit außerordentlichen niedrigen Ölpreise besonderes Gewicht zukommt. Wenn sich Länder wie Griechenland selbst mit Öl und Gas versorgen würden, würde das das Aus für die Lieferanten bedeuten. Es kann also nicht das Ziel der Konzerne sein, dass die Anrainerstaaten des östlichen Mittelmeeres allesamt zu großen Öl- und Gasproduzenten werden.

Viel „Bewegung“ im östlichen Mittelmeer

Als Auslöser für den jüngsten Rohstoff-Hype im östlichen Mittelmeer gilt eine 2010 veröffentlichte Untersuchung des Geologischen Dienstes der US-Regierung (United States Geological Survey). Der Hype führt seitdem zu einer massiven Ausweitung der militärischen Aktivitäten im östlichen Mittelmeer.

Dabei lässt sich der Bezug zur Rohstoffsicherung herstellen. Im Frühjahr 2012 beispielsweise führten Griechenland, Israel und die USA eine gemeinsame Übung der Luft- und Seestreitkräfte durch. Als Zweck wurde genannt, es sei um die „Verteidigung“ von Ölplattformen im Mittelmeer gegangen. Der Ex-Verteidigungsminister Griechenlands, Panos Kammenos, führender Vertreter des damaligen und heutigen SYRIZA-Koalitionspartners ANEL, erklärte im März 2015 nach einem Treffen mit Victoria Nuland vom US-Außenministerium, es sei um Möglichkeiten für die Zusammenarbeit in den Bereichen Energie und Verteidigung gegangen. Auch die russische Marine ist seit kurzem im östlichen Mittelmeer mit rund 16 Schiffen, drei Hubschraubern und mit ihrem einzigen Flugzeugträger „Admiral Kusnezow“ dauerhaft präsent.

Statt eigene Förderstätten zu betreiben und zu verteidigen, soll Griechenland offenbar in erster Linie die Energievorkommen anderer Länder militärisch sichern. So schrieb Niklas Anzinger vom American Enterprise Institute 2013, Griechenland solle gemeinsam mit Großbritannien und den USA im Rahmen der Eastern Mediterranean Defense Partnership „die Explorationsrechte“ von Israel und Zypern schützen. In vergleichbarer Weise schrieb Jale Nur Ece vom türkischen SeaNews Magazin, auch die Türkei schütze in den öl- und gasreichen Gebieten des Mittelmeers und der Ägäis nationale sowie „andere ökonomische Interessen“. Haben Griechenland und die Türkei lediglich die Aufgabe, die Ressourcen dieser Meere militärisch zu sichern?

Der griechisches Vize-Admiral E. Apostolakis H.N., bezeichnete „das Interesse an internationaler Kooperation bezüglich der aufgefundenen Öl- und Erdgaslagerstätten des östlichen Mittelmeeres „als größte aktuelle Herausforderung“. In diesem Sinn werden in einem Beitrag des Fachblattes Hellenic Naval Academy der Schutz der Energieinfrastruktur auf hoher See sowie die Verhinderung „illegaler Aktivitäten“ als wichtige Ziele einer maritimen Sicherheitsstrategie vorgeschlagen. Zur Verhinderung von „Terrorismus, Sabotage und Piraterie“ wird der Ausbau einer hochseetüchtigen griechischen Marine gefordert. Der zitierte Vize-Admiral kommt dabei auch auf die hohen Ausgaben für Griechenland zu sprechen: Angesichts der enormen räumlichen Ausdehnung einer (potenziellen) ausschließlichen Wirtschaftszone Griechenlands würde die Sicherung der bevorstehenden Förderung von Öl und Gas zu hohen Kosten führen. Für die Finanzierung von Kriegsschiffen mit großen Reichweiten, Flugzeugen, Überwachungseinrichtungen per Satellit und Küstenwache etc. solle daher auf einen Teil der staatlichen Erdöleinnahmen zurückgegriffen werden.

Das bedeutet, nicht nur in Griechenland: Staatseinnahmen aus der Rohstoffförderung werden dann zu erheblichen Teilen für die militärische Ressourcenkontrolle vergeudet.

Bilanz: Es wird ein erheblicher Aufwand getrieben, um die Ressourcen Griechenlands und des östlichen Mittelmeers zu kontrollieren und den Energiefernhandel aufrechtzuerhalten, von dem am Ende vor allem die großen Energiekonzerne profitieren. Im übrigen könnte es einen Zusammenhang geben zwischen der Abstufung Griechenlands auf eine Art EU-Protektorat, wie dies im Rahmen der Griechenlandkrise erfolgt, und den Öl- und Gasvorkommen im griechischen Teil der Ägäis.

Ausgewählte Quellen:

Theodore C. Kariotis, A Greek Exclusive Economic Zone in the Aegean Sea, Mediterranean Quarterly, Volume 18, Number 3, 2007 | Focus, Erdgas und Rohstoffe. Sitzen die Griechen auf immensen Reichtümern, 17.11.2012 | Dirk Müller Showdown, Der Kampf um Europa und unser Geld, 2013 | The German Marshall Fund of the United States, Gas Discoveries in the Eastern Mediterranean, Implications for Regional Maritime Security, March 5, 2015 | Niklas Anzinger Will the Eastern Mediterranean become the next Persian Gulf? American Enterprise Institute; July 25, 2013 | Elias Konofagos/Konstantinos Karageorgis (East Mediterranean Gas Discoveries, Offshore Security Challenges and „The Greek Case“, Hellenic Naval Academy, 2014.

Henrik Paulitz schrieb zuletzt in Lunapark Nr. 30 über die energiepolitischen Hintergründe und Motive im Ukraine-Krieg.