Made in Japan

Godzilla – Monument der Filmgeschichte, Naturwunder

Diesen November ist er 70 geworden, der sagenhafte Godzilla. Man merkt es ihm nicht an – gigantisch und ohrenzerreißend fräst er seine Schneisen der Verwüstung durch weltweite Kinos und Bildschirme, durch bislang 38 offizielle Spielfilme, Science-Fiction/Horror-Abenteuer zwischen bizarrem Kult-Trash und Hochglanz-Monster-Bombast.

Oft lädiert, gelegentlich auch tot, kosmetisch wie charakterlich stets runderneuert, steht Godzilla für zuverlässigen Kintopp-Terror im Kampf gegen oder auch für die Menschheit.

Seit seinem 50sten Geburtstag glänzt Godzillas Stern auf Hollywoods Walk of Fame, zum 67sten hat Nippon seinem pleistozänen Monstre sacré eine feine 4K-Restaurierung des Schwarz-Weiß-Originals von 1954 spendiert, und seit März nun krönt ihn sein erster Oscar – für Beste Visuelle Effekte, im imposanten japanischen Monster-Epos »Godzilla Minus One«.

Reflexion

Früh filmversessen, bin ich Godzilla eher versehentlich begegnet, zu Zeiten der mittleren Wirtschaftswunder-Epoche, als einst nichts für den korrekten Oberschüleranspruch im Kunstfilmtheater lief. Blieb »Godzilla« im Flohkino – breiter Gruselquark, dachte ich.

Doch kein Pappmaché-Fossil kam da angetrabt – atmosphärisch dicht gefilmt entstieg dem nächtlichen Pazifik ein düsteres, grimmiges Ungeheuer, 50 Meter groß, massiv, thermonuklear abrupt aus dem unterirdischen Tiefschlaf gerissen und in vollem Gegenwehrzorn unterwegs. Das Monster versetzte mit seinem radioaktiven Todeshauch das nachkriegsverstörte Japan erneut in Panik, demolierte Tokio und wurde, beinahe tragisch, am Ende per Geheimwaffe Oxygen-Destroyer eliminiert. »Wenn es weiterhin Atomtests gibt, wird irgendwann auf der Welt ein neuer Godzilla auftauchen«, warnte Film-Paläontologe Professor Yamane und garantierte damit ewigen Godzilla-Fortbestand.

Ein starkes Katastrophenstück, dachte ich, als mir aufging, dass der wahre Horror hinter dem Horror nicht Godzilla hieß, sondern Krieg, atomare Bedrohung, Ignoranz und Größenwahn. Der alte Drache, der nur zerstörte, was ihn zerstören wollte, hat mir damals ein paar cineastische Blasiertheiten ausgetrieben und meine Neugier dauerhaft auf oft zu Unrecht despektierte Genre-Filme umgelenkt, besonders auf die Klassiker der phantastischen Filmgeschichte mit ihrer herzhaften handgefertigten Tricktechnik und Animationskunst.

Neun Jahre nach Hiroshima und Nagasaki, noch während der Kernwaffentests im Bikini-Atoll, wurde das Phänomen Godzilla von den Toho Studios in Tokio entwickelt. Die Grundidee, wie einst die Bomben, kam aus Amerika: Schon 1953 war dort »The Beast from 20,000 Fathoms« aufgetaucht, die Verfilmung einer Kurzgeschichte von Sci-Fi-Autor Ray Bradbury (»Fahrenheit 451«): Nach einem Atomtest am Polarkreis vom Eise befreit, zerlegt Ur-Gigant Rhedosaurus New York, entworfen, gefertigt und animiert von Stop-Motion-Genie Ray Harryhausen (»Kampf der Titanen«).

Beste Toho-Routiniers waren auch in Tokio für die Umsetzung des »Godzilla«-Scripts zuständig: Inspirator, WW2-Offizier und Produzent Tomoyuki Tanaka, Regisseur Ishiro Honda und Hauptdarsteller Takashi Shimura, letztere beide aus dem Team von Großmeister Akira Kurosawa (»Rashomon«, »Die sieben Samurai«). Trick-Techniker Eiji Tsuburaya kreierte den spektakulären Mix aus Modellbau, Stop-Motion-Animation, Vorsatz-Malerei, und, neu, Suitmation: Hier und für spätere Monsterspektakel krochen Stuntleute in zentnerschwere Monsterkostüme, um lebensnah durch Miniaturmodelle zu stapfen, was flotter vonstatten ging, als die aufwendigen Bild-für-Bild-Objekt-Verschiebungen der Stop-Motion-Spezialisten. »Godzilla« war damals der teuerste Film Japans und sein größter Erfolg. Eine US-Version wurde politisch entschärft und amerikanisch zurechtgetrimmt, für Darsteller Raymond Burr eine zusätzliche Rolle eingearbeitet; die deutsche Fassung, b asierend auf dem japanischen Original, kam 1956 um zwölf Minuten gekürzt in die Kinos.

Variation

Längst ist Godzilla seinem alten Ego entwachsen. Letzte Messungen haben eine lichte Monster-Höhe von etwa 120 Metern ergeben. Dem Zeitgeist folgend kann er mittlerweile menschenzugewandter agieren, auf seine Art. Seine Digital-Inkarnationen und die zahlreicher Monster-Kollegen, allen voran Koloss King Kong, überwältigen allerdings mehr durch hyper-perfektionierte Brachial-Action und Gebrüll, als durch komplexe Handlung. Wogegen Apple TV+ eine Godzilla-Serie im Programm hat, die weniger auf monströsen Krawall als auf familientaugliche Inhalte setzt; eine zweite Staffel ist in Arbeit.

Auch im wirren Hollywood-Popcorn-Blockbuster »Godzilla x Kong: The New Empire« jagt der aktuelle Godzilla, unverdient auf eine Nebenrolle reduziert, keineswegs Leute, sondern riesige Scheusale, während der vorjährige japanische Kassenhit »Godzilla Minus One« klassisch zurückgreift auf chaotische Nachkriegszeiten, wo wie vor 70 Jahren ein aggressiver Retro-Godzilla gegen Mensch und Maschine wütet.

»Godzilla Minus One« lief ab Dezember 2023 hier nur kurz in wenigen Kinos, steht aktuell auch auf keinem Spielplan – wohl aufgrund von Absprachen zwischen den Toho Studios und Hollywood, die verhindern wollen, dass ein Ost-Godzilla im selben Jahr die Kassen stürmt wie ein West-Godzilla. Zur Überraschung der Fangemeinde aber, und dank dem unverhofften Streaming-Plazet vom 1. Juni, zeigt Netflix das sensationelle Oscar-Werk nun doch dem Rest der Welt/minus Japan und Frankreich. Im Januar erschien zusätzlich die schöne Schwarz-Weiß-Version »Godzilla Minus One/Minus Color«. Sie ist inzwischen gleichfalls bei Netflix zu finden.

Nicht unterschlagen werden soll hier Dänemark, das in Anlehnung an »Godzilla« schon 1961 das  Unwesen »Reptilicus« dem Permafrost Lapplands entrissen, aufgetaut und weiterbelebt hat, worauf der Kopenhagen verwüstete. Dito wünschte sich Filmfreund Kim Il-sung einen eigenen nordkoreanischen Godzilla, ließ Regisseur Shin Sang-ok aus Südkorea entführen, sperrte ihn lange ein und durfte sich 1985 über den eisenfressenden »Pulgasari« freuen.

Godzilla selbst nun hat sich vorläufig nach Rom verzogen, müde nach all dem internationalen Getümmel und stressvollen Wiedersehen mit Kong. Momentan ruht er im etwas zu kleinen Colosseum.

Ilse Henckel hat als Dokumentarin, Übersetzerin und Filmkritikerin für den Spiegel-Verlag gearbeitet. Sie lebt in Hamburg.

Auf Youtube findet sich ein programmatisches 6-Minuten-Trickfilmchen von 1915: »The Dinosaur and the Missing Link – a Prehistoric Tragedy«. Mit zwei prä-nuklearen Urahnen von Godzilla und King Kong: https://www.youtube.com/watch?v=BOD8ZS4drWU