Kommunistin ist Bürgermeisterin in Graz

Gegen Ungerechtigkeit und Ausbeuterei

Am 17. November 2021 wurde in Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs, zugleich die Landeshauptstadt der Steiermark, die Kommunistin Elke Kahr mit den Stimmen von KPÖ, Grünen und SPÖ zur Bürgermeisterin gewählt. Vizebürgermeisterin wurde die Grüne Judith Schwentner. Elke Kahr regiert in einer Koalition mit Grünen (17 Prozent) und SPÖ (9,5 Prozent).

Sieben Wochen zuvor hatten 29 Prozent der wählenden Bürgerinnen und Bürger der KPÖ ihre Stimme gegeben und die jahrelang regierenden ÖVP (Österreichische Volkspartei) mit 26 Prozent der Stimmen auf den zweiten Platz verwiesen. Überraschung allerorten, auch bei KPÖ und Kahr selbst: Einen „sanften Zugewinn“, ja das hat man sich vorstellen können, aber nicht diesen „massiven Zuspruch“.

Der FPÖ, der Freiheitliche Partei Österreichs, die mit dem bisherigen ÖVP-Bürgermeister die Regierungskoalition gebildet hatte, entzogen große Teile der Bevölkerung das Vertrauen. Nur mehr elf Prozent (zuvor 16) gaben ihr eine Stimme. Die Neos (Das Neue Österreich und Liberale Forum) erhielten fünf Prozent, die restlichen neun Parteien erhielten zusammen 2,5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 54 Prozent.

Bereits am 13. November legten die drei Parteien ihren Koalitionsvertrag vor: „Gemeinsam für ein neues Graz. Sozial – Klimafreundlich – Demokratisch“. Die Mitglieder von KPÖ und Grünen hatten dem zu 100 Prozent zugestimmt, bei der SPÖ gab es 82 Prozent Zustimmung. „Wir wollen Solidarität und Gemeinschaftlichkeit leben und auf Seite jener Menschen stehen, die es sich nicht richten können“, erläuterte Kahr. Zusammenhalt und Teilhabe am Leben der Stadt soll für alle Menschen in Graz möglich sein. Ein „neues Kapitel in Graz“ sei eröffnet – „gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung“. Kahr unterstrich, dass das Programm „in der Tradition des Antifaschismus, der Friedensbewegung, der Frauenbewegung und der Umweltbewegung“ stehe: „Das ist unser Kompass.“

Konkret bedeutet das die Schaffung von leistbarem Wohnraum durch den Bau neuer Gemeindewohnungen, die Erhöhung des Zuschusses zur Jahreskarte Graz und zum Klimaticket Steiermark sowie die Ausweitung der Sozialcard und soziale Ausgleichsmaßnahmen gegen Teuerung. Sanfte Mobilität, Bürgerbeteiligung bei Platzumgestaltungen, eine neue Straßenbahnlinie bis 2025, ein autofreies Stadtzentrum stufenweise umsetzen. In Zukunft soll der Ausbau der Bürgerinformation Vorrang und die Selbstdarstellung von Politikerinnen und Politiker ein Ende haben. Personalbesetzungen werden transparent entschieden.

KPÖ und Grüne verantworten vier Ressort, die SPÖ erhält wichtige Ausschussvorsitze, aber auch ÖVP und FPÖ erhalten nach dem geltenden Proporzprinzip Ressorts mit Verantwortung für die Grazer Menschen. Auch der Gemeinderat wird viel mehr in die Entscheidungen über das öffentliche Leben in Graz involviert.

Kein Sprint, sondern ein Marathon

Wie konnte es zu einem solchen Ergebnis kommen? Was ist das Erfolgsrezept der Kommunistinnen und Kommunisten in Graz?

Seit knapp 40 Jahren haben ihre Mitglieder, Abgeordneten und Stadträte (Bürgermeistern vergleichbar) immer ein offenes Ohr für die Probleme der Menschen. Sie diskutieren mit ihnen auf Augenhöhe, beraten sie, weisen sie auf ihre Rechte hin, suchen mit ihnen gemeinsam nach Lösungen und helfen ganz konkret. Dabei wird nicht nach Parteipräferenz gefragt. Mit dem Geld, das Stadträte für ihre politische Arbeit aus Steuergeld erhalten, wird ein Sozialfonds gefüllt. Das dort gesammelte Geld wird Menschen gegeben, die um dringende Unterstützung bitten, für eine kaputte Waschmaschine, eine offene Heizkosten- oder Stromrechnung, geschuldete Miete, Kaution, um eine Wohnung zu erhalten, Lebensmittel, einen Schulranzen. Rund 5000 Menschen haben im vergangenen Jahr mit Elke Kahr und Robert Krotzer (KPÖ-Stadtrat für Gesundheit und Pflege) in ihren Büros gesprochen. Von den 6100 Euro, die Kahr und Krotzer für ihre Mandate im Stadtrat netto erhalten, b ehalten sie nur jeweils 1950 für sich. Seit 1998 hat die KPÖ so 2,5 Millionen Euro an etwa 19 000 Familien, Einzelpersonen, Institutionen und Vereine zur Verfügung gestellt.

Auch kollektive Probleme geht die KPÖ gemeinsam mit der Bevölkerung an. So wurde der Verkauf von Gemeindewohnungen mit der Mobilisierung der Bevölkerung, vor allem aber der Betroffenen, mit Versammlungen, Unterschriften und einer Großdemo von der Tagesordnung der Immobilienwirtschaft gewischt. Obwohl dieser Kampf um den Erhalt der Gemeindewohnungen, dem noch einzigen öffentlichen Besitz der Stadt Graz, bereits über zwanzig Jahre zurück liegt, war er so eindrücklich, dass es bisher keine Stadtregierung gewagt hat, das „heiße Eisen“ – Privatisierung von Gemeindewohnungen – noch einmal anzufassen. Auch die in jüngster Zeit geplanten „Leuchtturmprojekte“ des Ex-Bürgermeisters für die Bauwirtschaft, eine Winterolympiade in Graz, Seilbahnbau auf den Naherholungsberg der Grazer, um dort ein internationales Seminarhotel zu bauen, wurden mit tausenden Unterschriften, zahlreichen kontinuierlichen Infotischen in allen Stadtteilen, Versammlun gen, Demos und Petitionen von der KPÖ, gemeinsam mit der Bevölkerung, zu Grabe getragen.

Diese Vorgehensweise ist über 40 Jahre geübte Praxis. Als Ernest Kaltenegger 1983 mit 1,8 Prozent als einziger KPÖ-Gemeinderat im Grazer Kommunalparlament tätig war, kümmerte er sich um die Probleme von Mieterinnen und Mietern. Der Mieternotruf wurde eingerichtet. Eingeschüchterte Menschen sollen ihre Rechte erfahren und ermutigt werden, sich zu wehren. Dazu war Geld notwendig. Eine Rechtshilfe für „Spekulantenopfer“ wurde ins Leben gerufen, gespeist durch die Gelder, die die Mandatsträger für ihre politische Arbeit erhielten. Diese Praxis führt das Arbeiterkind Elke Kahr unermüdlich weiter, treibt aber auch Partei und Sympathisierende dazu an. Damit hat sie sich hohe Reputation in der Stadt erworben.

Dekrete der Pariser Commune

Immer wieder wird versucht, diese politische Arbeit mit dem Begriff „Caritas“ zu entpolitisieren. Wer das tut, vergisst, worum es Kommunistinnen und Kommunisten in ihrem Kampf gegen das kapitalistische System geht: um die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen. In den Dekreten der Pariser Commune finden sich Forderungen wie »offene Mietzahlungen erlassen« oder »die Kürzung des Gehalts aller Beamten auf die Höhe eines herkömmlichen Arbeiterlohnes«. Kommunalpolitik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung ist kein politischer Selbstzweck. Als erstes geht es darum, die materiellen Interessen derjenigen, »die nicht auf die Butterseite gefallen sind«, durchzusetzen.

Der erste große Wahlerfolg kam dann 1998. Dem neuen Mitglied in der Stadtregierung, Ernest Kaltenegger, der mit acht Prozent der Stimmen gewählt wurde, wies die Mehrheit im Gemeinderat das Wohnungsressort zu, in der Hoffnung, er würde scheitern. Er jedoch besuchte die Substandard-Wohnungen, setzte Verbesserungen durch. U.a. erhielt jede Gemeindewohnung im Kulturjahr 2003 ein Bad, weil auch ein Bad „zur Kultur“ gehöre. Bei der Wahl 2003 kam die Partei dann auf 21 Prozent. Diese Kombination aus Beratung, konkreter Hilfe und rechtlicher Unterstützung, an der viele engagierte Beschäftigte in den Parteibüros, Genossinnen und Genossen und Sympathisierende beteiligt sind, führten zum guten Ruf der KPÖ in der Stadt, nicht nur in Arbeitervierteln, sondern auch in bürgerlichen Stadtteilen – und zu den nachhaltigen Erfolgen.

Das Beispiel Graz zeigt, wenn Kommunistinnen und Kommunisten die alltäglichen Sorgen der Menschen aufnehmen, sich in der Lösungssuche und -umsetzung mit der Bevölkerung verbinden, können sie auch im rechten Umfeld erfolgreich sein. Dazu braucht es Kontinuität über Jahrzehnte. Graz zeigt auch, dass parlamentarische Arbeit, durch außerparlamentarischen Druck unterstützt, zu Erfolgen bzw. Abwehrerfolgen führen kann, die sonst unter den herrschenden Kräfteverhältnissen nicht möglich wären.

Anne Rieger ist Mitglied im Bezirks- und Landesvorstand KPÖ Graz bzw. Steiermark